„Als Frau hat man´s gut!“, jammert mein kleiner Cousin, und ich schaue ein wenig gelangweilt aus dem Fenster. Gemöcht, denke ich, und wie schön eine heiße Tasse Tee an diesem kalten Nachmittag wäre, legte der Kleine mal so langsam auf. „Als Junge hat man doch immer den schwarzen Peter.“, lamentiert mein jugendlicher Vetter weiter, und erläutert ausführlich die Ungerechtigkeit, die in der Verpflichtung des Mannes läge, das menschliche Liebesleben durch Worte und Taten zu leiten und zu lenken. Als Frau könne man mit enigmatischem Lächeln daneben stehen, dem armen Kerl beim Schwitzen zusehen, und die Bemühungen je nach Laune gnädig annehmen oder abschlägig bescheiden.
„Das ist doch der schiere Blödsinn.“, sage ich, und beobachte die Wolkenbildung über dem Hinterhaus: Kann gut sein, dass es heute noch regnet. – „Hast du jemals einen Mann angesprochen?“, ereifert sich der Kleine, und reagiert auf mein „Nein“ mit einem triumphierenden Ausruf.
„Das ist doch nicht bloß positiv.“, sage ich, und versuche das jugendliche Weltbild ein wenig zurechtzurücken. Man kann abwarten, so weit hat der Kleine recht. Die Kehrseite der Medaille indes, die dunkle und kalte Seite des Mondes, liegt aber in der Unmöglichkeit, seinerseits initiativ zu werden. In einer Bar beispielsweise, auf einer Party oder im Foyer der Staatsoper zu einem gefälligen, aber fremden Herrn zu spazieren und ihn anzusprechen, wirft in den Gehirnen vieler Herren ein gar nicht gutes Licht auf die eigene Gesamtpersönlichkeit. Vom unverbindlichen Gespräch zu Tätlichkeiten überzugehen, ist als Dame dann noch einmal um ein vielfaches riskanter als als Herr.
„Ihr seid doch alle so wahnsinnig emanzipiert!“, stichelt mein kleiner Cousin, und fragt nach den Gefahren, die denn da lauern sollen, greift man selber nach seinem Gegenüber. „Versucht mich einer zu küssen, und ich will nicht, dann geht er nach Haus, und hält mich für eine Zicke, die ihn ohnehin nicht verdient hat. Versuche ich, einen Mann zu küssen, und er will nicht, dann hält er mich für eine mannstolle Furie und erzählt die ganze Geschichte angewidert allen seinen Freunden.“, versuche ich, den Realitäten in dieser – in Gleichberechtigungsfragen bedauerlicher Weise doch durchaus defizitären – Welt Eingang in die sechzehnjährigen Hirnwindungen des mir verwandten Knaben zu verschaffen.
„Wenn einer so denkt, ist der Kerl doch eh ein Trottel.“, argumentiert der Kleine, und hat vermutlich durchaus recht. Die Welt, so erläutere ich, bestehe leider aus einem ganzen Haufen Trottel, und da sich die Trottel selten direkt zu erkennen geben, so ist Vorsicht geboten, die mit den Jahren erst zur Gewohnheit und dann zur Unmöglichkeit werde.
Mein kleiner Cousin glaubt mir kein Wort.
Erst recht, so lege ich nach, bestehen diese Hemmnisse im Bereich der eher plötzlichen Entschlüsse. Eine Frau, die einen Herrn aus einem spontanen Entschluss heraus in die eigenen vier Wände mitzunehmen beabsichtigt, hat kaum eine Möglichkeit, dies in einer Art und Weise zu tun, die ihr im Falle der entrüsteten Zurückweisung den ehrenhaften Rückzug ermöglicht. Die an sich unkomplizierten Worte vor dem Heimweg, „Kommst du noch mit?“, werden die Lippen auch der eloquenten Person weiblichen Geschlechts daher keinesfalls verlassen.
„Auf die Idee muss man ja auch erst einmal kommen.“, qualifiziert mein kleiner Cousin spontane Damen in einer Art und Weise, die wohl mitnichten schmeichelhaft gemeint ist. „Ist ja wohl eh alles mehr ein Problem der älteren Generation.“, schließt der Kleine das Telephonat und überlässt eine leicht irritierte Endzwanzigerin einer Kanne Tee und der Kälte vor den Fensterscheiben.
REPLY:
Tasse Mokka am Morgen
@moccalover: Ich komme da von einer speziellen Startposition her. Das ist die des
ursprünglich und von Haus aus schüchternen Mannes, für den in jungen Jahren
sexuelle Kontakte nur möglich waren, wenn er, ganz passiv, von Frau aufgerissen
und abgeschleppt wurde, was schon mal ein anderes beiderseitiges Rollenverhalten
zur Voraussetzung hat, als es in dieser Gesellschaft gemeinhin üblich ist. Dabei war ich
dann auch noch geprägt durch eine damals sehr dominate gr0ße Schwester, die mir so
im Alter um 20 sogar eine moralische Standpauke hielt, weil sie sich in meinem Alter
„durch sämtliche Betten der Stadt gehurt“ habe und ich das nicht tun würde. Sexuelle
Promiskuität war für mich also ein positiver Wert, mein eigenes Rollenverhalten zugleich
passiv, die Frauen, mit denen ich so zu liegen kam, höchst straight und selbstbewusst.
Später änderte sich das, in dem Maße, in dem ich an Selbstbewusstsein gewann und meine
Schüchternheit überwand. Aber vor diesem Hintergrund bin ich nicht unbedingt die
beste Adresse, um zu erklären, warum viele Männer vor sexuell aktiven bis aggressiven
Frauen Angst haben, weil ich diese Angst eben nicht habe, ja, eine Zeit lang auf solche
Frauen angewiesen war.
REPLY:
… vertreibt geschickt Geschlechtersorgen!
@che: OK, ich verstehe. Danke trotzdem für Deine interessante Geschichte. Fürwahr nicht alltäglich, immerhin aber ein wertvoller empirischer Beleg – nämlich gegen die Erklärung, die meine besonderen Freunde, die Evolutionspsychologen, wohl anführen würden: dass der Mann wirbt und die Frau passiv bleibt, liege in der Natur von uns Menschen und könne sich daher nicht ändern. Früher sagte man „gottgegeben“, heute heisst’s „evolutionspsychologisch begründet“. Jedenfalls zeigst Du, dass es auf beiden Geschlechterseiten eben auch andere Phänotypen gibt. Das bringt mich dazu, in angelernten Rollenbildern nach Gründen zu suchen.
Mir ging gestern noch durch den Kopf, dass es wohl einen Zusammenhang zwischen der gesellschaftlich gewollten Passivität der Frauen und der Schönheits- und Modesucht (ja, ich weiss, das ist jetzt stark ausgedrückt) vieler Frauen geben könnte: Wie sollen sie – im klassischen Verteilungsmuster – denn sonst auf sich aufmerksam machen?
REPLY:
Noch einen Keks dazu
Ja richtig, die Evolutionspsychologen, die eigentlich den Sozialdarwinismus in anderem
Gewand fortsetzen. Die sollen mal versuchen, die BDSM- und Fetischwelt evolutionär
zu erklären, oder die Tatsache, dass es in der Südsee Völker gibt, die 7 verschiedene
Geschlechter kennen´, für die es jeweils eigene Fürwörter gibt (also statt ihr und ihm
noch fünf weitere).
Es lohnt sich, hin und wieder Freud (ohne dessen patriarchale Positionen mitzudenken)
und parallel dazu ethnologische Studien zu lesen.
REPLY:
Muss ich als Frau …
nicht nur ein Taschentuch fallen lassen, um die nötigen Signale an den Mann auszusenden? Oder ihm doch den
FederFehdehandschuh vor die Füße werfen?Ich verwechsele das immer wieder …
REPLY:
Zustandsabhängig
nämlich je nach Tagesform. Bei mir hättest Du gute Chancen, wenn Du mir
eine Caipi oder einen Sekt anbietest. Aber bildlich gesprochen, verwechseln
ja auch viele Männer Taschentuch und Fehdehandschuh, wenn etwa ein
Verlegenheitslächeln für eine Einladung oder ein breites, hedonistisches
Grinsen für ein Zähneblecken gehalten wird.