Post Asra

Es muss eine Zeit gegeben haben, als für Ehre noch gestorben wurde, und für Liebe sich die Klippen herabgestürzt, denn die Duelle gab es ja nicht nur auf der Bühne, und das Publikum muss die Rache am Verführer genauso nachvollzogen haben können wie diejenige am Mörder des Vaters. In einer Gesellschaft, zwischen deren Säulen eine Frau in jeder Hinsicht verloren sein konnte, wenn man sie im Zimmer eines anderen antraf, und nicht statt mit X mit Y zukünftig ihre Tage verbringen würde bis auf Widerruf, sondern den Rest ihres Lebens im Kloster verbringen konnte, wenn es denn schlimm kam, muss die Liebe noch etwas wahrhaft Schicksalhaftes besessen haben.

Fern und unverständlich ist nicht der Wunsch der Zerline, Herrin auf einem Schloss zu werden. Vertraut, wenn auch nicht eigen, mag sogar der Don Giovanni sein, der dämonische Verführer und gelangweilte Lebemann. Auch den Zwiespalt, den kennen wir, die Schmerzen der Donna Elvira, den Verbrecher zu erkennen, ihn bekämpfen zu müssen und ihn trotzdem zu lieben, ist uns nicht unvertraut, die wir dort sitzen, Türsteher und Croupiers in jenem Casino, zu dem unsere Welt geworden sein wird in den Augen der Späteren. – Aber dass sie ihn liebt. Dass sie sich nicht abwendet, weil beide doch ersichtlich nicht dasselbe Beziehungsmuster goutieren. Oder weil auf jemanden, der so ist, wie Don Giovanni es idealtypisch eben lebt, doch kein Verlass sein wird, und man sich das nicht antun möchte. Dann trennt man sich eben, ruft alle Freundinnen an, lange Abende bei Rotwein oder Tee, und nach ein paar Wochen geht man wieder vor die Tür, nächtelang durch die Clubs, bis die Ohren schmerzen, und irgendwann wacht man wieder zu zweit auf, oder eben auch nicht.

Wahrscheinlich ist die Operation, die der Liebe den Ernst und das Schwere herausgeschnitten hat, eine gute Sache. Es gibt vermutlich kaum etwas Vernünftigeres, als sich kennenzulernen, ein paar Jahre miteinander gut auszukommen, zusammenzuziehen, und wenn es dann nicht harmonisch zugeht, dann sucht sich jeder wieder eine eigene Wohnung und gibt eine Kontaktanzeige auf. „Wir haben zu unterschiedliche Lebensvorstellungen“, sagt man dann, oder auch „Ich bin mit seinem Beziehungsmodell nicht klargekommen.“ Und alle Freundinnen nicken ernsthaft und sagen, dass die Trennung dann doch wirklich das beste war.

Dann klappt es auch mit dem nächsten nicht. Der übernächste hat ernsthafte Probleme, die man nicht aushält den ganzen Tag. Der drauf ist zu lieb, und seine Witze findet man auch nicht komisch, und die Freunde fangen langsam an zu mahnen, man möge doch seine Vorstellungen einmal langsam der Realität anpassen. Nachts fährt man im Taxi nach Haus, lobt die Besetzung, vergleicht Inszenierungen und lästert ein bißchen über die Kluft, in der die Berliner ihre Opernhäuser besuchen, und heute nacht an der Bar wird man so wenig sein Herz verlieren, wie in allen Nächten davor.

10 Gedanken zu „Post Asra

  1. Weiterführende Literatur: Denis de Rougemont, „Die Liebe und das Abendland“.
    Nettes Büchlein. Habe ich mal aus dem Ramsch gezogen.
    „Leider erfährt man auch von Denis de Rougemont nicht, wie ein solcher Roman zu gestalten wäre, aber Recht hat er wohl, wenn er sagt, dass die Verdammung der erfüllten Ehe eine literarische Konvention und deren Glück somit ein Tabu darstelle.“ Nicht nur die erfüllte Ehe.

  2. REPLY:

    Und als Ergänzung dazu, speziell die eher frustrierenden Komponenten der
    modernen Unverbindlichkeit liebevoll auf die Schippe nehmend: Karma und
    Chaos. Ganz verspannt im Wenn und Aber

    von einem Autoren mit Pseudonym Chilli.

  3. Das sich selbst zugeraunte „Pentite“ entfällt restlos, wenn man statt dessen Cosi fan tutte besucht, wo sich da Ponte nach Herzenslust ohne Leid einer Vorgabe austoben konnte. Und Despina wird am Ende für ihre Leistungen belohnt – vielleicht ein besseres Rollenmodell?

  4. Nicht so in der Hochkultur daheim, fällt mir nur ein, daß das Motto heutzutage ja heißt „Entdecke die Möglichkeiten“. Es ist auch ein Kreuz mit den hunderten von Rollenmodellen die einem heutzutage zur Verfügung stehen. Diese „Freiheit“ hat aber ihren Preis.

  5. REPLY:

    Wenn ich mir in Erinnerung rufe, was bei meinen Diskussionen mit Menschen in
    arabischen Ländern über Liebe, Beziehungen, Ehe und persönliches Glück rumkam,
    kann ich nur sagen: Die Freiheit, die wir haben, ist ein Segen. Andere können sich
    noch nicht einmal die Grundlagen vorstellen, auf denen sie basiert.

  6. REPLY:

    Ach ja, das einerseits und andererseits des Lebens 😉

    Man sehnt sich halt immer nach dem, was man nicht hat. Ich finde dieses Aufrechnen immer gewagt, denn die Tatsache, daß Menschen in Unfreiheit leben, macht die Aussage, daß Freiheit ihren Preis habe, nicht falsch.

    Mein verdorbenes Butterbrot schmeckt nicht besser, nur weil die Kinder in Afrika™ das noch gerne hätten. (Auch wenn man über „Luxusprobleme“ immer wieder nachdenken kann und muß.)

  7. REPLY:

    Alles hat seinen Preis, nicht einmal der Tod ist umsonst, muss er doch im Wortsinn
    erst erlebt werden. Die Kinder in Afrika™ als Moralkeule sind entsetzlich, aber
    wer, wie ich, Dritte-Welt-Elend persönlich erlebt wie auch die gänzlich anderen
    Denk- und Lebenswelten anderer Völker aus der Nähe kennengelernt hat, kann
    nicht unbefangen mit „Selbstverständlichkeiten“ unseres Alltags umgehen, deren
    soziokulturellen Kontext und deren historisches Gewordensein wir gemeinhin
    ausblenden. Auch Gefühle haben ihre Geschichte, insofern haben alle unsere
    Emotionen ihre eigene Kulturgeschichte, und nichts ist so politisch wie die Liebe.

  8. REPLY:

    Na ja, ich glaube, Frau Modeste zielte ein klein wenig dieselbe Richtung, wenn ich das heute morgen zwischen erstem und zweitem Kaffee richtig verstanden habe. 😉

    Ich glaube nicht, daß – wenn es ein Problem ist – dies sich nur auf Männer bezieht. Viele Bloggerinnen singen da ein anderes Lied.

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