Zum Schluss liebt der Kammerdiener die Zofe und der Graf die Gräfin. Ob der S., zwei Parkettplätze neben mir, geliebt wird, ist indes nicht zu erkennen. S. ist allein gekommen.
„Was macht die Mitbewohnerin?“, fragt die C. daher im Taxi. S. murmelt irgend etwas, was „Zuhausegeblieben“ heißen kann oder auch „Zurhöllegefahren“. Wie er zwanzig Minuten später beim Wein berichtet, ist die zweite Alternative allerdings in hohem Grade unwahrscheinlich.
Von einer Mitbewohnerin höre ich zum ersten Mal. Die 80 m², die der S. in der Sophienstraße bewohnt, dürfte er problemlos sowohl selber nutzen wie auch bezahlen können. „Wieso hast du überhaupt jemanden mit ´reingenommen?“, frage ich den S. deswegen.
Der S., so erfahre ich, sei vor einigen Monaten nach Norwegen gefahren, der erste Urlaub nach Aufnahme einer Tätigkeit als Anwalt in einem außerordentlich langweiligen Rechtsgebiet. S.´ langjährige Freundin hatte seinerzeit auf die Unterzeichnung dieses Arbeitsvertrages keineswegs mit dem Freudenausbruch reagiert, der nach S. Auffassung dem Anlass angemessen gewesen wäre. Statt ihm um den Hals zu fallen, stellte sie ihn vor ein Ultimatum: Berlin oder sie. Berlin hat gewonnen.
Im Urlaub wandelte der S.´ daher in blendender Einsamkeit entlang der majestätischen Fjorde, aß die kargen, aber ehrlichen Spezialitäten des nordischen Paradieses und sprach tagelang mit keiner Seele. In einem Gasthofe am Ende der Welt, kristallklare Bergseen zu seinen Füßen, traf der S. erstmals wieder auf menschliche Gesellschaft. Eine norddeutsche lustige Runde nahm S. in ihre Mitte. Aus dieser Mitte wiederum traf es sich, dass eine junge Dame ohnehin wenig später ein längeres Praktikum in Berlin absolvieren würde. Das Mädchen war hübsch und schien vergnügt, S. war einsam und Mieter einer wohngemeinschaftstauglichen Wohnung.
Man wurde schnell handelseinig. Voll der schönsten Hoffnungen kehrte S. zurück nach Berlin.
Einige Wochen später zog das Mädchen ein. Sie nannte viele bunte Gegenstände ihr eigen, brühte regelmäßig Früchtetees auf und stellte S. sogar belegte Brote in den Kühlschrank, wenn er abends aus der Kanzlei kam. Die Mitbewohnerin brachte ihre Gitarre mit und spielte S. zur Aufmunterung gern etwas vor.
Am ersten Sonntag, den die Mitbewohnerin nicht nach Hause fuhr, erwachte S. in einer leeren Wohnung. Die Mitbewohnerin, so stellte sich später heraus, war zum Gottesdienst gegangen. Überdies hatte sie Anschluss gefunden und blieb jetzt öfter die ganze Woche. Manchmal saßen abends, wenn der S. nach Hause kam, fröhliche junge Mitglieder eines christlichen Zusammenschlusses junger Menschen in der Küche, die sangen, Tee tranken und den S. fragten, ob er am Sonntag mit in den Gottesdienst käme.
Zuerst ärgerte der S. sich ein wenig über den Fehlschlag bezüglich seiner nach wie vor einsamen Lagerstatt. Nach und nach begann der S. aber, die Mitbewohnerin zu vermissen, wenn sie doch einmal ein Wochenende in die norddeutsche Tiefebene fuhr. Nachts stand er vor ihrer Tür und horchte, ob sie schlief. Als der S. einige Tage beruflich in London weilte, verlängerte er den Aufenthalt nicht übers Wochenende und kaufte der Mitbewohnerin ein kleines Geschenk.
Schließlich, der Zustand des S. war nicht mehr zu übersehen, nahm die Mitbewohnerin ihn zur Seite. Er habe, so sagte sie, wohl eine Neigung zu ihr entwickelt. Auch sie habe ihn von Herzen gern. Allein, ein wahrhafter Christ sei der S. nicht, und sie könne ihn nicht lieben. Er sei für sie wie ein großer Bruder. Sie werde für ihn beten.
Was blieb dem S.? S. stimmte zu, sagte Ja und – vor allem – Amen. Unterdessen verlängerte die Mitbewohnerin erst ihr Praktikum und wechselt zum kommenden Sommersemester an die FU. Sie ließ sich in den Mietvertrag aufnehmen, sie strich des S.´ Küche in hellen, freundlichen Farben und feierte ihren 22. Geburtstag mit allen jungen Christen von Berlin. Abends kocht die Mitbewohnerin, und am Sonntag holt der S. sie vom Gottesdienst ab.
S. gilt inzwischen in religiösen Kreisen der Stadt als leuchtendes Beispiel der wahren Freundschaft zwischen Mann und Frau. Seine Bekehrung soll unmittelbar bevorstehen. Ausgesprochen weltliche Freunde bekommen ihn nur noch selten zu Gesicht.
das ist aber eine schöne geschichte… mehr davon!
Jetzt hängt alles davon ab, welcher christlichen Ausrichtung die Dame angehört. Sollte sie katholisch sein, sehe ich noch gute Chancen für Leidenschaft und Sinnenfreuden.
Doch die (hinreißene) Beschreibung oben liest sich eher protestantisch wenn nicht sogar wiedererweckt. Dann is Essig.
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Oha! Wiedererweckte Protestantin. Das ist in der Tat sehr sauer. Bleibt nur die Frage, wie es die Protestanten mit der Keuschheit vor der Ehe nehmen.
Wir Katholen suendigen ja wenigstens gerne. Und viel.
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Die genaueren Modalitäten der mitbewohnerischen Religiösität..
habe ich nicht in Erfahrung gebracht. Ich tippe aber auf eine Protestantin, das Mädchen stammt aus der Gegend um Uelzen. Ob der konsequente Protestantismus Keuschheit voraussetzt, weiß ich jetzt gar nicht so. Mich deucht indes, schon einmal mit einem gläubigen Protestanten zufriedenstellend geschlechtlich verkehrt zu haben. Die wirklich interessante Frage ist m. E. vielmehr, ob die Mitbewohnerin den S. denn lieben würde, wenn er christlicher wäre. Vielleicht bekehrt er sich ja ganz umsonst, und sie würde und wird sich überhaupt nie in ihn verlieben. Das wäre wahre Tragik. Aber Gott hat ja schon ganz andere Unannehmlichkeiten zugelassen.
Da ist er wohl …
… an eine waschechte Evangelikale bzw. Charismatikerin geraten. Die Schilderung klingt ehrlich gesagt nicht nach normal katholisch oder evangelisch.
Es gibt einen guten Test: schwärme einfach von der HKM. Reagiert er darauf nicht, ist er noch nicht tief drin in der Szene. Schwärme dann von der „historisch-kritischen Methode“ und wie toll Du Theologie findest. Reagiert er da kritisch bis ablehnend, ist er schon in die ersten Geheinisse der Szene eingetaucht. Reagiert er darauf gar nicht, kann es mit seinem Evangelikalismus noch nicht sehr weit sein.
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Bestimmt ein guter Tip,
allerdings kennt der S. mich nicht erst seit gestern. Dass von meiner Seite aus ernsthafte Beschäftigungen mit den letzten Dingen so gut wie ausgeschlossen sind, dürfte ihm daher klar sein. Als eine Person, die schon immer eine größere Vorliebe für Adonis als für Adonai aufzubringen in der Lage war, bin ich für derartige Schlichen die komplett falsche Person. Vielleicht versucht´s ja bei Gelegenheit jemand anders.
Buharrr
Großartig. Ich hoffe es steckt kein Körnchen
der Wahrheit in diesem Gleichnis!
….habe in WGs ja auch schon „lustige“ Menschen
kennenlernen dürfen, aber Bibel und belegte Brote
klingen nach nem Horrofilm.
…ich werde für ihn beten.
– RebornChristregierung.