Das Geheimnis der Komik, sagte mir mal einer, sei eigentlich simpel: Scheitern, ohne dass etwas Schlimmes passiert. Beides gehöre stets zusammen. Erfolg einerseits sei nämlich nicht lustig. Wenn also einer einen Kuchen backt, den alle mögen, sei das schlechthin nicht komisch. Wenn der Kuchen aber so grotesk missrate, dass jeder, der davon esse, in hohem Bogen gegen die Wand, na, Sie wissen schon, dann sei das in gewissen Kreisen sozusagen abendfüllend. Andererseits sei es natürlich auch nicht lustig, wenn jeder, der vom Kuchen nimmt, tot zusammenbreche.
Gemessen an diesem Maßstab lachen Sie bitte jetzt, denn der J., mein geschätzter Gefährte, der vielgeliebte J., hat sich gestern vormittag in Rosenheim ein paar schwarze Schuhe von Jack Wolfskin gekauft.
Die Schuhe sind natürlich hässlich wie die Nacht. Nirgendwo auf der Welt, stelle ich mir, haben Leute absichtlich so etwas an den Füßen. Es handelt sich um Schnürschuhe aus einem leichten Material aus Kunststoff, nicht unähnlich grau-blauen Turnschuhen, und als der J. gestern Nachmittag das erste Mal mit den Schuhen in den Kuhstall des Bauernhofs gegangen ist, in dem wir gerade Urlaub machen, sah er schon ganz schön belämmert aus.
Belämmerung aber ist noch nicht Scheitern. Scheitern, so sagt man, kann man ja stets nur an den eigenen Erwartungen. Zum Beispiel an den Erwartungen des J. an sich als einen gutgekleideten Mann. Also einem Mann, der auch bei 40 ° C ein weißes Hemd trägt. Und kein T-Shirt auf dem irgendetwas Idiotisches steht. Wir haben solche Leute gesehen. Auf ihren Shirts stand allen Ernstes irgendein erfundener oder auch nicht erfundener Ortsname oder eine Universität, die sie mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit nicht besucht haben, meistens, weil eine Bildungseinrichtung dieses Namens nicht existiert. Oder Aussagen, die nicht einmal dann Sinn ergeben, wenn sie nicht aufgedruckt, sondern ausgesprochen werden. „Talk To My Paw“, ich bitte Sie. Oder „High Five Mountain“. Oder auch der Hersteller. Der J. und ich sind ja in den Achtzigern sozialisiert und haben ein BOSS-T-Shirt-Trauma. Hemden sind also weiß. Oder blau. Und es steht auch nichts drauf. Hosen sind blau oder beige. Pullover haben einen V-Ausschnitt, und Schuhe sind aus Leder. Plastik sollte es in Zusammenhang mit Bekleidung gar nicht geben. Bei Regen geht ein vernünftiger Mensch einfach nicht raus, und für ganz kurze Strecken gibt es Schirme und die Barbourjacke des J.
Diese nicht allzu ehrgeizig formulierten Erwartungen des J. erfüllte dieser Jahr für Jahr solange ich ihn kannte. Zeitweise besaß er gar keine Kleidungsstücke, die nicht beige, blau oder weiß waren. Wenn er doch einmal etwas anderes kaufte – ein rosa-weiß-kariertes Hemd etwa – dachte der J. lange darüber nach. Dann aber fuhren wir eines Tages ins Krankenhaus Friedrichshain und kamen mit dem F. wieder.
Zu Anfang war er noch ganz klein und störte die Bekleidungsvorstellungen des J. eigentlich gar nicht. Also, wenn man mal von der bespuckten Windel auf der Schulter absieht, aber die kann man ja abnehmen, wenn man vor die Tür geht. Als der F. ein Jahr alt wurde, saßen wir uns also gegenüber, der J. und ich, und versicherten uns, dass die Leute, die alle behaupten, mit Kind werde alles ganz anders, Quatsch erzählt hätten. Urlaube, Kleider, Freizeitverhalten: Wir saßen uns im Cavallino Rosso in Mitte gegenüber, waren angezogen wie immer, im Buggy neben uns schlief der F., und wir hatten gesiegt. Dachten wir. Damals.
Im nächsten Winter froren wir eigentlich schon sehr, als wir bei 4° C auf dem Spielplatz standen. Und meine hochhackigen Schuhe trug ich eigentlich nur noch selten. Dafür hatte der J. verhältnismäßig oft eine hässliche, blaue Jacke an, die er sich eigentlich nur für eine einzige Wanderung gekauft hatte. Aber noch waren wir ganz obenauf. Der Winter war auch ziemlich warm, und besonders schmutzig kann man sich in Berlin ja auch gar nicht machen.
Die Wochen aber schwanden. Die Monate zogen vorbei. Der F. wurde größer und frecher. Der F. plantschte im Meer, der F. begann, ziemlich viel zu sprechen. Inzwischen spricht er eigentlich ununterbrochen, außer, er schläft. Das ist unpraktisch, denn eigentlich ist das schon eher mein Part. Seit er sprechen kann, hat er natürlich auch Interessen. Baumaschinen gehören dazu. Die Zubereitung von Speisen. Und nicht zuletzt: Die Landwirtschaft. Also so eine idealisierte Landwirtschaft, wie sie in Kinderbüchern vorkommt.
Wer kann seinem Erstgeborenen widerstehen. Wir buchten eine Woche Bauernhof. Hier sitzen wir nun, irgendwo in Oberbayern, unweit des Tegernsees. Der Hof liegt einsam wie nur was, es gibt Kühe, Pferde und Katzen, es riecht nach tierischen Exkrementen und Milch, und der Hof ist zwar einerseits so gespenstisch sauber wie ganz Bayern, aber andererseits reicht auch der sehr wenige Schmutz und der gestern einsetzende Regen, um des J. Red Wing Schuhe ganz und gar zu durchnässen.
Einen Tag und eine Nacht dachte der J. nach. Ideale wirft man nämlich nicht so einfach über Bord. Dann setzten wir uns in unseren Mietwagen, fuhren nach Rosenheim und betraten eins dieser Geschäfte, von denen wir gedacht hatten, sie besuchten immer nur die anderen.
Jetzt lachen Sie bitte. Denn das ist Scheitern. Oder lachen Sie auch nicht. Denn komisch, wir erinnern uns, ist etwas nur dann, wenn es nicht schlimm endet. Und Sie haben des J. Schuhe noch nicht gesehen.
Ich hoffe, der kleine Racker hat die Location genossen. Am Rande von Berlin (z. B. in Falkensee oder Dallgow) gibt es auch Pferdegestüte und Pferdeweiden und so Zeugs. Falls mal Bedarf vor Ort besteht. Man muss ja nicht gleich komplett die Zivilisation verlassen. Und Miezekatzen gibt es ja auch in der Stadt. O.k. Kühe – Kühe hier sind ein kleines Problem. Man könnte von einer Marktlücke sprechen. Aber da empfehle ich einen Tagesausflug in die Schorfheide. Da gibt es so alte Kuhsorten und sogar einen Elchwald (ich hab den Elch und seine Frau sogar schon mal getroffen, aus Versehen).
Oh, einen Elch habe ich auch schon einmal getroffen. Er stand auf der Straße zwischen Pärnu und Tallin, und als der Bus kam, stand er keineswegs auf. Wir haben dann also auf der Strecke gestanden, und irgendwann stand das riesige Tier auf und ging ganz, ganz langsam in den Wald.
P.S. http://www.wildpark-schorfheide.de/
(und eine Bisonherde und ein Wolfsrudel gibt es auch, ein bißchen „Dances with Wolves“…)
Da ich mich in Sachen Bauernhof zumindest in Teilzeit sehr berufen fühle, in Sachen Mode jedoch null und überhaupt nicht, möchte ich Ihrem geschätzten Gefährten die folgenden Schuhe ans Herz bzw. Bein legen.
Sommers trage ich den Grisport Contractor, winters den Grisport Combat, auch wenn er sich recht martialisch anhört. Im Forst taugt der Haix Protector Alpin hervorragend.
Und nicht zuletzt wären Schuhe dieser Art noch komischer als das behelfsmäßige Wolfskindergetüddel: Wer zu Ferien auf dem Bauernhof blitzsaubere Arbeitsschuhe trägt, scheitert geradezu grandios und exzellent.
Ich glaube, er kauft sich jetzt einfach Gummistiefel von Dunlop.
Wir waren vor zwei Jahren in Mailand. Haben schöne Dinge gekauft, ein paar nett anzuschauende Schuhe mit hohen Absätzen für meine Angetraute waren dabei. Sie hat sie bis heute noch nicht einmal angezogen. Weil sie zwar gut aussehen, für das Alltagsleben einer Hausfrau mit zwei Kindern aber unpraktisch sind. Neulich haben wir dann zum ersten Mal eine Kindergärtnerin von Monster Nr. 2 abends zum Aufpassen beauftragt und sind gemeinsam (nur wir beide) zu einem Empfang gegangen. Das erste Mal seit ca. 10 Jahren. Und es wird bestimmt auch mal der Tag kommen, wo meine Frau die Schuhe aus Mailand trägt. Ganz bestimmt.
Schöne Schuhe. Finde ich auch toll. Und hätte ja zumindest beruflich Gelegenheit, sie auch anzuziehen. Oder wir nutzen die Babysitter-Abende auch einmal, um richtig schick auszugehen. Und nicht nur zum Essen gehen oder berlinerisch-verschlampt ins Theater.
Aber, aber – Gummistiefel! Ein Herr trägt Gummistiefel, wenn es zu nass oder schmutzig wird. Mit reingesteckten Bügelfaltenhosen, die die Ausnahmesituation betonen.
Dunlop. Werden es jetzt. Ich werde berichten.
Ich bin ja ein strenger Verfechter der Maxime das die Form sich der Funktion unterordne. Eine stilvolle Apple Maus die mich zu einer verkrampften Handhaltung zwingt ist Abfall. Der Bauernhof änder da die Spielregeln. Besagte hässliche Schuhe erfüllen allerdings auch im städtischen Alltag ihre Aufgabe ausserordentlich gut. So gut, man braucht gute Gründe um auf sie zu verzichten. Zum Alfa Romeo fahren sind sie allerdings ungeeignet. Die Pedalerie ist nur für schmale italienische Schuhe geeignet. Da kommt zusammen was zusammen gehört. Alfas eignen sich ja auch nur bedingt zum Auto fahren.
Für uns als Kleinkindfamilie fallen ja alle nicht in erster Linie praktische Autos aus. Wir fahren also – traurig aber wahr – Kombi.
In den Siebzigern galten weiße Blusen, hellblaue Hemden und beige Hosen als Inbegriff der Anpassung und des Spießertums, bis die Modeindustrie die Protestmode aus den Indien- und Second Hand Läden vermarktete und alle plötzlich wie Clowns aus dem Otto-Katalog rumliefen. In den Achtzigern wurde diese alberne Mode nur noch abgewandelt, die Schulterpolster vergrößert, die T-shirts bedruckt und alles auf edel und teuer getrimmt, die Punks hatten Mühe eine aggressive Gegenströmung zu kreieren. Nur Rechtsanwälte, Bänker und Steuerberater haben den Dresscode ihrer Väter bis heute durchgehalten und nur den Schlips und vielleicht noch die Manschettenknöpfe abgelegt. Revolution!
Ich muss ja gestehen, dass ich Manschettenknöpfe schätze und mich immer freue, wenn der J. diejenigen trägt, die ich ihm geschenkt habe.
Spießerin, ich.
Die Siebziger sind doch längst vorbei und somit auch die Schubladen für Mode. Retro ist cool.
Oh je, ich hoffe sehr, die Verkürzung der Farbpalette auf weiß und blau und beige diente Ihnen lediglich als Stilmittel beim Schreiben. Es gibt doch wirklich mehr, was man tragen kann, ohne wie einer der von meiner Vorposterin zu recht horribil dargestellten 80er Dinos zu wirken. Blicken Sie doch zur Inspiration mal nach England, was die dortigen Herrenausstatter-Versandhäuser dort so alles haben. Kürzer, leider auch den Geldbeutel sehr verkürzend, wäre ein Ausflug zum Chelsea Farmers Club, das wäre im Verhältnis zu Rosenheim doch bei Ihnen um die Ecke.
Dort muss einem nicht alles gefallen, aber viele Stücke dort eignen sich hervorragend, um einen ungewöhnlichen und eleganten Akzent zu setzen. Keine Angst, man wird dort nicht automatisch zum Stutzer.
Den CFC, den schätzt der J. tatsächlich auch sehr. Und seit kurzem ein Label namens El Ganso. Da gibt es eine Filiale in Mitte, sehr nette Sachen.