Im Skykitchen (der kinderlose Freitag)

Wir ärgern uns. Der R. und die I., die eigentlich immer wissen, wo man gut isst, wollten uns schon vor zwei Jahren ins Skykitchen lotsen, aber einmal war kein Tisch zu unserem Wunschtermin zu haben, dann hatten wir uns in die Cordobar verliebt und waren andauernd da. Schließlich rief ich dann doch an und stand schließlich leicht erschauernd mehrere Wochen später vorm Portal des Andels Hotel. Das Hotel sieht aus, als sei die DDR auf einmal doch zu etwas Geld gekommen, ringsherum stehen scheußliche Häuser, ein Burger King, die Europaschwimmhalle und die S-Bahn Landsberger Allee. In einer solchen Umgebung werden normalerweise Schweine geschlachtet, und zwar nicht die glücklichsten Vertreter ihrer Art.

Ist man oben angekommen und tritt aus dem Fahrstuhl, sieht die Welt wieder anders aus. Bunte, sehr schöne Stoffe, Teppich auf Sichtbeton, so eine gute Mischung aus Moderne und Gemütlichkeit, vielleicht ein bisschen zu konfektioniert, aber auf dem Sofa würde ich mich sofort einrollen und einschlafen. Das Beste ist aber die Sicht. Der J. und ich saßen am Fenster, starrten über Berlin, unter uns eine der großen Straßen, auf denen die Autos stadtauswärts fahren, und all die Lichter der Stadt, die wir lieben.imageWir sind ein bisschen aufgedreht, lachen über nichts, machen Leute nach, loben Lampenschirme und bestellen, weil wir den noch nicht kennen, einen Belsazar Wermut, einen rosé, und sind so begeistert, dass ich gleich am nächsten Tag eine Flasche kaufen muss. Wermut, erzählt der sehr, sehr gute Kellner, sei das nächste große Ding. Auf nächste große Dinger habe ich meistens aus Prinzip keine Lust, aber der Wermut ist so gut, dass jeder, der mich besucht, den jetzt trinken muss, bis keiner mehr kommt.imageDie Menüauswahl ist nicht ganz einfach. Es gibt elf Gänge, von denen kann man sich zwischen drei und elf aussuchen. Wir entscheiden uns für acht, dazu drei Weine für mich, vier für den J., und dann lehnen wir uns zurück. Ich habe richtig Hunger, das Mittagessen ist inzwischen schon lange her, und deswegen esse ich ganz schnell den halben Brotkorb leer. Der J. nimmt die andere Hälfte. Es gibt vier verschiedene wahnsinnig gute Brotsorten und Brötchen, zwei Buttersorten, und zu Hause wäre ich jetzt mit dem Abendessen vermutlich fertig. Statt dessen kommen zwei Grüße aus der Küche.imageAls das Maiscremesüppchen mit Kaninchenpraline erscheint, schauen wir uns an. Das ist sehr, sehr gut, genau das richtige Maß an süffiger Fettigkeit, rund, cremig, ich will sofort eine Wanne davon und mich darin wälzen. Statt dessen erscheint ein Labskaus, ein Gedicht aus verschiedenen Konsistenzen, salzig, kross, weich, seidig: Schon weg. Als der Teller abgeräumt wird, habe ich sofort ein bisschen Heimweh nach diesem Essen.imageInzwischen steht auch der erste Wein vor mir. Ich vergesse alle Weine sofort, bis auf den Wein zum Hauptgang. Das liegt aber an mir. Ich trinke ganz gern Wein, kann mir aber nichts merken, außer den Etiketten, und hier vergesse ich auch die. Nur das Essen bleibt hängen, diesmal eine Saiblingsvariation.image Ich würde gern den Teller ablecken, aber statt dessen bringt der Kellner nun einen Teller mit Roter Krabbe, Sardelle, fischig, Käse ist auch dabei, ganz gut, aber nichts, was ich sofort wieder essen müsste, aber dafür ist der nun folgende Gemüsegang der Brüller. Es handelt sich um Blumenkohl, irgendwelche Cremes auch aus Gemüse und in der Mitte ein confiertes Eigelb. Ich bin so hingerissen, ich lasse mir sofort erklären, wie das geht, so ein Eigelb, und wenn ich jemals die Frage, ob ich Vegetarismus attraktiv finde, positiv beantwortet hätte, dann in diesem Moment. Ja, ich will. Den Rest meines Lebens exakt so etwas essen.imageInzwischen bin ich praktisch satt. Es folgt ein Würfel Milchferkel mit einer großen Krabbe, sehr lecker, aber Schweinefleisch und ich werden vermutlich in diesem Leben keine Freunde mehr. Ich mag die Konsistenz nicht, und wieso Schwein verwenden, wenn man auch Kalb essen kann. Ich habe irgendwo gelesen, es gibt eh zu viele Kälber, weil die Deutschen so viel Milch trinken, und deswegen votiere ich dafür, in allen Rezepten der Republik Schwein durch Kalb zu ersetzen. Dann wäre auch dieser Gang vor lauter Perfektion nicht mehr auszuhalten.

Das Maishähnchen ist makellos. Ein zartes Stück Brust, ein wenig Keulenfleisch in einer leider etwas zu heißen Frühlingsrolle, hauchdünner Kürbis, und es tut mir um jedes Gramm leid, dass auf dem Teller bleibt, weil ich mich nicht traue, ihn abzulecken oder zumindest mit dem Finger rückstandslos zu leeren. Mein Gott. Dieses Huhn ist für einen guten Zweck gestorben.imageDas gilt auch für den Hauptgang, Rib Eye mit Langos, also so kleinen Langoskugeln, mit Paprika paniert, was ein etwas seltsames Mundgefühl hinterlässt. Vielleicht wäre hier ein etwas saftigerer Überzug von Vorteil. Das Gemüse ist auch hier grandios, das Fleisch sehr präsent, sehr verdichtet. Der Wein, von Born von der Saale-Unstrut, passt perfekt. Ich hätte niemals einen so nördlich angebauten Rotwein bestellt, ich würde noch ein Glas bestellen, wenn ich noch etwas trinken könnte, aber statt dessen ächze ich dem Nachtisch entgegen.imageDer Käse jedenfalls, eine Zusammenstellung eines sehr cremigen und eines festen, gehobelten Käses auf einer Pumpernickelcreme mit rohem, knackigem Gemüse ist so fein, dass ich eigentlich aufhören könnte. Statt dessen folgt ein Predessert. Der Pflaumentee ist okay und sieht schön aus. Das Kalamansisorbet ist aber so dicht, so eine Explosion von Frucht, Süden, barfuß tanzen, dass ich nahe dran bin, meinen Nachtisch abzubestellen und statt dessen noch zwei von diesen Gläschen zu verlangen. Der Nachtisch – es nennt sich Müsli und ist natürlich keins – ist aber auch nicht schlecht. Noch besser die Beerenvariation, die der J. bestellt hat. Die Pralinen sind dann sehr in Ordnung, aber nicht so herausragend wie der Rest. Auch der Dessertwein ist sehr fein, aber nichts, was man nie getrunken hätte. Konsequent habe ich ihn sofort vergessen.image

Als wir vier Stunden nach unserer Ankunft in den Aufzug steigen, fühlen wir uns grandios. Die Stadt flackert und leuchtet uns entgegen. Wir schlendern nach Hause, das sind nur knapp 30 Minuten, erzählen uns das ganze Essen von vorn bis hinten und umgekehrt noch einmal, schmatzen laut in die staubige Luft der Danziger Straße und schlafen tief, sehr tief, angefüllt mit Essen und Glück.

7 Gedanken zu „Im Skykitchen (der kinderlose Freitag)

  1. Glauben sie mir, dass mir der Sabber aus dem Mund lief, als ich das hier las?
    —————KOMMENTAROMAT—————
    Made my day
    —————KOMMENTAROMAT—————

  2. Ich haette diesen Beitrag nicht lesen sollen, bin jetzt noch neidisch!
    Aber seien Sie ehrlich, das haben Sie nicht alles an einem Abend gegessen – oder?

    Wieder ein richtig toller Beitrag – Danke dafuer.

    1. Oje, jetzt fühle ich mich schlimm verfressen. Wir haben vier Stunden gebraucht, aber wir haben das alles verschlungen. Und nochmal Brot nachgeordert. Gut, danach war ich für 24 Stunden auch fertig mit Nahrungsaufnahme.

      1. Wollte Ihnen kein schlechtes Gewissen machen. Sah nur so viel aus und las sich wie ein Strom von Koestlichkeiten flankiert von edlen Tropfen – da faellt es schwer mit der Contenance. War gerade in Japan und bin jetzt in China – was soll ich sagen? Ich habe gesuendigt in Gedanken, Essen und Trinken. Ich bekenne, dass ich jeden 2. Abend mehr gegessen habe als Sie an jenem Dezemberabend. Leider
        habe ich keine Bilder machen koennen und do schreiben wie Sie kann ich auch nicht. Aber genossen habe ich es – fuehle ich mich schlecht deswrgen? Noe!
        Schoenen 4. ADVENT.

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