Als wir damals nach Berlin kamen, hat der J. sein altes Auto verkauft, und wir fuhren die nächsten 15 Jahre Rad, Bahn oder Taxi. In Berlin ist es wie fast überall nämlich sehr praktisch eingerichtet: Wo man schlecht hinkommt, will man meistens auch gar nicht hin.
Mit Kind änderte sich zwar weniger, als alle immer behaupten, aber zu den Änderungen, die vermutlich jeder konstatieren wird, der ein Kind bekommt, gehört das plötzliche Auftauchen des Umlandes. Berlins Umland ist zwar nicht so besonders schön, aber Kinder finden auch mittelmäßig gutaussehendes Landleben unwiderstehlich. Ins Umland kommt man nun aber wirklich schlecht mit der Bahn, deswegen haben wir seit 2014 ein Auto, seit kurzem einen Volvo. Er ist schwarz.
Ich möchte nicht indiskret erscheinen, aber der geschätzte Gefährte hat diesen Wagen wirklich auffallend gern. Ab und zu steht er in unserer Loggia und betrachtet wohlgefällig das am Straßenrand abgestellte, ansprechend gestaltete Gefährt, und wenn wir das Auto alle paar Wochen bewegen, um einen Ausflug zu machen, freut er sich jedesmal aufs Neue, was das Auto alles kann. Alleine Einparken zum Beispiel. Das neue Auto kann zudem auch sehr gut sprechen.
Den F. allerdings lässt das neue Auto komplett kalt. Er wollte nicht mit zum Autohaus. Er erkennt das Auto nicht, wenn es an der Straße steht, und ich gehe jede Wette ein, dass er nicht weiß, wie die Marke heißt, geschweige denn das Modell. Dabei kennt der F. diverse Pharaonen, Cäsaren, Insekten und Saurier mit Vor- und Zunamen, kann Länder auf Karten zeigen, Preise im Supermarkt vergleichen und Flaggen zuordnen und ist beim Memory unbesiegbar, an mangelnder Gedächtnisleistung liegt es also nicht. Er interessiert sich auch durchaus für Windräder, Flugzeuge und Reaktoren, Interesse an Technik ist also auch vorhanden. Man muss vermutlich konstatieren: Er interessiert sich einfach nicht für Autos. Mit den liebevoll aufbewahrten Matchboxautos des J. spielt er übrigens auch nicht.
Das allein würde mich, wäre ich die Autoindustrie, nicht weiter irritieren. Mein Gott, so ein einzelnes Kind in Berlin Prenzlauer Berg. Es gab schon immer Freaks, die Autos doof finden und nur Fahrrad fahren, gerade in großen Städten, in die so ein Automann schon deswegen nie ziehen würde, weil man da Probleme beim Parken hat. Der Umstand aber, dass auch niemand von den F. Freunden sich für Autos interessiert, tja, der ist immerhin bemerkenswert. Ich übertreibe nämlich nicht. Niemand.
Dabei sind des F. Freunde insgesamt schon Jungen, die zu klassischer, wenn auch sehr kleiner Männlichkeit ein eher ungebrochenes Verhältnis pflegen, also Drachen und Ritter sehr interessant finden und Ballet blöd. Ich habe mehrfach versucht, dem F. und seinem besten Freund zu erklären, dass Mädchen nicht wirklich an Einhörner glauben, aber ich dringe da nicht durch. Wenn von seinen Freunden also niemand an Autos ein gesteigertes Interesse zeigt, sind Autos vielleicht wirklich nicht mehr Teil des für kleine Jungen sichtbaren Männlichkeitskonzepts. Als Automanager würde ich zittern, denn die Väter dieser kleinen Jungen fanden vor 30 Jahren Sportwagen unwiderstehlich, fuhren mit ihren Vätern strahlend zur IAA und träumten von der Formel 1. Heute kaufen sie mit schlechtem Gewissen zu große Wagen. Ihre Söhne aber werden niemals Autoquartett spielen.
Nun mag es auf dem Land noch anders aussehen. Berlin ist ein besonderes Pflaster, was Mobilität angeht. Aber Städte waren noch immer die Labore der Moderne, was hier ausgebrütet wird, breitet sich erfahrungsgemäß aus, und so muss man wohl kein Prophet sein, um zu prognostizieren, dass von diesen kleinen Jungen niemand von einem 911 träumen wird, keiner auf eine S-Klasse sparen will und nicht einmal ein Tesla einen der heute Fünfjährigen hinter dem Ofen hervorlockt. Wenn sie Geld für Fahrzeuge ausgeben, dann wird es um Mobilität und Bequemlichkeit gehen, aber dass ein Auto ein Statussymbol sein kann, ein Faszinosum, etwas, für das Leute sparen und für das sie sich sehr interessieren, das geht wohl gerade zu Ende.
Als Automensch würde ich zittern und als Anleger meine Aktien langsam, nach und nach, verkaufen, wenn ich bemerke, dass die Konzerne keine Antworten auf die Frage haben, wie man mit Mobilität Geld verdient, wenn es Leuten egal sein wird, ob sie ein eigenes Auto haben, wie es aussieht, was es gekostet hat, wer es herstellt, und sie irgendwann sogar in Deutschland nicht verstehen werden, was einer sagt, wenn er behauptet: Ich stehe da hinten unterm Baum.