Heiligabend, hört man, isst die Nation einträchtig Kartoffelsalat und Würste. Der eine oder andere ist auf Fondue umgestiegen, bisweilen werden Räucherfischplatten bestellt, aber wenn man nicht daheim ist, weil das Weihnachtsritual der Familie des geschätzten Gefährten geeignet ist, auch robuste Gemüter dem Nervenzusammenbruch einige entscheidende Meter näher zu bringen, und die eigene Familie weihnachtstechnisch unergiebig (und zumeist nicht da) ist, dann, meine sehr verehrten Leserinnen und Leser, dann kann es passieren, dass man, so circa 17.30 Uhr, perhorresziert von der Vorstellung, sich vom Zimmerservice ein paar belegte Brote schmieren lassen zu müssen, auf seinem Hotelzimmer sitzt und verzweifelt versucht, den letzten freien Platz der ganzen Stadt zu reservieren.
Nicht, dass man anspruchsvoll wäre. Vielleicht war man’s noch zwei Stunden vorher, inzwischen indes wäre alles recht, fast alles vielleicht, alles jedenfalls, was festlicher anmutet als ein Clubsandwich aufs Zimmer.
Sie seien restlos ausreserviert, bescheiden hintereinander fast alle Restaurants der Stadt. Sie seien über die Feiertage geschlossen, bedauern andere. Man möge es bei einer anderen Nummer versuchen, da sei der Geschäftsführer mit dem Reservierungsbuch erreichbar, rät ein weiteres Lokal, aber unter der angebenen Nummer nimmt keiner ab.
Immer verlockender werden die Speisekarten im Netz. Immer tiefer sinkt die Stimmung, und in dem Spiegel über dem Schreibtisch des Zimmers sieht man eine mürrische, dickliche Frau telefonieren, die ich auch nicht bei mir verköstigen würde.
„Gar nichts?“, seufze ich in den Hörer, und der geschätzte Gefährte ächzt ein bißchen mit. „Nicht einen Tisch? Auch nicht später?“, bohre ich nach, aber alle, alle, alle Wiener Wirtshäuser sind gebucht bis auf den letzten Platz.
„Sind sie so nett…“, bitte ich die freundliche Concierge eins- ums andere Mal um verstärktes Engagement um einen Tisch und eine warme Mahlzeit. Vergebens ruft die blonde Dame mit den sehr, sehr schmalen Augenbrauen ein Restaurant nach dem anderen an, und abwechselnd dringen die Erfolglosigkeitsmeldungen der Rezeption und die Absagen der Wiener Gastronomen an mein Ohr. Im Hintergrund sitzt, schon reichlich resigniert, der geschätzte Gefährte und spielt mit seinem Handy.
Am Ende aber hat die Congierge Erfolg. Auf 22.00 Uhr, verkündet sie mit gut hörbarem Stolz, hätte Sie den letzten freien Tisch der ganzen Stadt für uns reserviert, und als der Taxifahrer uns vor der Tür der Kuchlmasterei absetzt, stört weder die abstruse Dekoration aus Kupferpfannen, Mühlrädern, künstlichen Blumen und goldbesprühten Schaufensterpuppen, noch gibt das – mäßig kreative, aber tadellose – Essen Anlass zu Ärger. Mit einem Gefühl unendlicher Erleichterung, Dankbarkeit gar, kaue ich kurz vor elf auf einer dicken Scheibe Gäsestopfleber herum, schütte eine Maronensuppe hinterher, verschlinge ein Kalbssteak, einen Obstsalat, ein par Kekse, und liege um eins mit dem angenehmen Gefühl des Davongekommenseins im Bett.
Lautlos, denn der Ton ist abgestellt, zelebriert Papst Benedikt XVI. die Weihnachtsmesse im Petersdom.