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Journal :: 17.05.

Zwischen des Fresken der Casa Bartholdy bleibe ich stehen. Schön ist es hier, denke ich, und bis der R. und die I. erscheinen, habe ich noch eine Menge Zeit. Genug für ein paar Stunden Augenlust und ein bißchen Spargelschälen und Erdbeerputzen dazu. Ruhig bin ich trotzdem nicht.

Irgendwo knapp unterhalb des Zwerchfells schlägt ein kleiner Hammer, schätzungsweise Metall, die ganze Zeit gegen die Rippen, etwas schneller als mein Herz und sehr irritierend. Wie immer, wenn ich angespannt bin, reibe ich Daumen und Zeigefinger der linken Hand gegeneinander, unwillkürlich, nichts dagegen zu unternehmen, und beschleunige und verlangsame meinen Schritt ohne rechten Anlass. Nach oben zu Liebermann, nach hinten zur Düsseldorfer Schule, zurück, und dann wieder nach unten. Sehr ruhig, gelöst und gelassen sitzt der J. im zweiten Stock auf einer steinernen Bank, wartet auf mich und lächelt mich an, als ich abwärts steige. Als wir die Alte Nationalgalerie verlassen, hört das Hämmern und Klopfen nicht auf.

Auch auf dem Heimweg höre ich die raschen, dröhnenden Schläge. Verschwinde, fahre ich den lumpigen Tambour an, der auf meinen Rippen reitet, aber der grinst nur und schüttelt den Kopf. Du bist mein, sagt er und fletscht die gelben, entblößten Zähne, dass es mich schaudert. Lass mich in Ruhe, bitte und bettele ich vergebens, noch Stunden später daheim, den Sparschäler in der Hand.

Irgendwann abends, zwischen Hauptgang und Dessert, geht der Hammerschlag schlafen, viel zu spät. Lachend und essend, trinkend und debattierend sitze ich am Tisch. Die britischen Abgeordneten. Das deutsche Umweltrecht. Italo Calvino und Christoph Ransmayr, meine Mutter und R.’s Tante, und die Fahrstuhlmusik, die der Vater vom J. macht, seit er Rentner ist und den ganzen Tag daheim.

So könnte es immer sein, halte ich mir vor, lausche in eine Gesprächspause dem eigenen Herzschlag nach, und höre mit leichtem Frösteln – weit entfernt, aber gut vernehmbar – den Tambour leise höhnisch lachen.

Journal :: 16.05.

Die Entscheidung fällt schwer. Rechts von mir steht auf dem Schreibtisch eine Blaubeertarte, die sehr gelungen wirkt, wie ein Kuchen aus Kochbüchern. Die Urheberin, wie ich ein wenig später vernehme, ist Köchin. Hinter der Blaubeertarte steht ein Rhabarberkuchen mit Baiser obendrauf, der auch großartig aussieht, zudem liebe ich Rhabarber, aber Rührkuchen (und so scheint mir der Teig) ist bekanntlich der ärgste Feind der Taille, gleich nach Buttersaucen und Mascarpone, und so lasse ich das am Besten sein. Ansonsten passe ich irgendwann (und der Tag kann nicht mehr weit sein) nicht mehr in die Sitze im Flugzeug.

Direkt vor mir befindet sich eine Tarte Tatin. Ich liebe diese Königin der Apfelkuchen, habe aber gehört, diese Speise sei fett, und überhaupt sei Obstkuchen nicht so harmlos, wie man gern annimmt, wenn man Kuchen essen will, aber sich vor den Folgen fürchtet.

Um den Kuchen zu vermeiden, rauche ich extra viel. Das ist zwar nicht gesund, aber macht wenigstens nicht dick. Auch Sekt geht bekanntlich immer, und so stehe ich auf meinen bequemsten hochhackigen Schuhen vor dem Buffet, bemühe mich, an den Kuchen vorbeizuschauen, und rauche, rauche, rauche. Zwischendurch trinke ich Sekt.

Eine Ecke des Rhabarberkuchens esse ich dann doch, weil der J. ein Stück auf dem Teller hat. Er schmeckt großartig. Weil ein anderer Gast sich von der Blaubeertarte nimmt, stecke ich mir ein Stück, das beim Schneiden abgefallen ist, in den Mund, und ein kleines Stück Tarte Tatin (etwa 1,5 Zentimeter auf der Tortenrandseite) esse ich ganz. Es schmeckt toll. Verstohlen betaste ich meinen Bauch. Ja, sage ich mir: Du hast hinsichtlich deines Gewichts einen echten Schaden.

Ich will nach Hause, fällt es mir etwas später ein. Ich bin müde, so müde, so unendlich schläfrig, dass rein gar nichts mehr hilft, und so krieche ich noch vor dem Haus in ein Taxi. Noch schmecke ich die karamellisierten Äpfel der Tarte, bilde ich mir ein, lecke mir sorgfältig die Mundwinkel aus und bedaure, der Gastgeberin kein Stück für den Heimweg abgeschwatzt zu haben, nur ein kleines, nur ein halbes von mir aus, aber dann bin ich schon zu Hause.

Kuchen ist keiner im Haus.

Journal :: 14.05.

Die Holzvertäfelung ist tatsächlich aus Kiefer. Auch die Möbel sehen aus, als hätten die Besitzer des Jessner-Eck sie in irgendeinem Möbelmarkt gekauft, und einen Moment bin ich ein bißchen enttäuscht. Eine Eckkneipe sieht in meiner Vorstellung anders aus, wie das Alt Berlin in der Münzstraße vielleicht.

Ein paar Minuten später aber steht die Wirtin vor dem Tisch, blond gefärbt, vielleicht fünfzig mit einer Tätowierung auf der Wade, schäkert mit meinem Begleiter, bringt mir einen warmen, süßen Piccolo, den man nur trinken kann, wenn man die Luft anhält, und im Hintergrund singen die ganze Zeit irgendwelche Sänger auf deutsch wirklich schlechte Lieder von Liebe, Sonnenuntergang und Delphinen. Vor dem Tresen hängen einige Wracks schwer abzuschätzenden Alters. Noch ein paar Minuten später kommt die Wirtin und ein Mann mit Schnäuzer und schlechten Zähnen und einem großen Kreuz mit Strasssteinen auf der Brust und wollen tanzen. Ich tanze also, bewundere den A. um seine rheinische Fähigkeit, mit nahezu jedermann Konversation zu betreiben, und dann trinke ich noch sehr schnell einen weiteren Sekt und einen Gin Tonic. Wodka trinke ich auch, das mache ich nur ganz selten. Ich vertrage eigentlich keinen Schnaps.

Kurz vor dem Aufbruch am Tresen trinke ich noch einen Likör, der Pfeffi heißt (oder so ähnlich), und schmeckt wie Mundwasser mit Alkohol drin. Den schmeckt man aber nicht, den Alkohol, und als wir gehen, sitzen immer noch ein paar der fertigsten Friedrichshainer der Welt vor dem Tresen, liegen sich in den Armen, und ihre gute Laune wirkt nicht einmal gekünstelt.

(Am Prenzlauer Berg dagegen ist es kalt, und zu essen gibt es nichts mehr außer Falafel.)

Journal :: 12.05

Mir ist kalt. Die beiden Herren an meinem Tisch zeigen keinerlei Anzeichen von Unbehagen an den rapide sinkenden Temperaturen, aber ich friere wie der sprichwörtliche Schneider.

Die anderen Tische auf dem breiten Bürgersteig vor der Bar haben sich geleert. Nur auf unserem Tisch brennt ein Windlicht. Auch gegenüber sind die Tische leer. Nur der Kellner kommt ab und zu vor die Tür, um zu rauchen, und trotz Mantel, trotz Pashmina dringt mir die kühle Luft bis an die Knochen. Ich möchte rein. Noch besser: Nach Hause.

Die letzten Nächte, fällt mir ein, habe ich erbärmlich geschlafen. Gestern nacht habe ich Magenschmerzen bekommen, Schüttelfrost, eine Wärmflasche habe ich mir geholt gegen zwei, und morgens um neun im Büro gesessen und sehr, sehr viel Energie aufwenden müssen, um Dinge zu tun, die getan werden müssen. Dass ich hier sitze, Wein trinke und Tapas esse, ist der schiere Leichtsinn.

Immerhin. Der Wein schmeckt. Der Abend mäandert durch die Gespräche leicht, ohne zu stocken. Man erzählt dies, man erzählt das. Urlaub. Wohnungen und Theater. Bücher und der Job, und wäre es nicht so kalt, nicht so elendig kalt in diesem kühlen Mai, ich würde noch lange sitzen und dem Abend zuschauen, wie er träg und zufrieden durch die Straßen vom Prenzlberg fließt.

So aber gehe ich heim und bade. Ich bin müde, aber schlafen kann ich noch nicht.

Journal :: 11.05

„Nichts besonderes.“, würde ich sagen, wenn mich einer fragt. Morgens ins Büro gefahren mit dem Rad, ein bißchen gefroren. Mittags Häppchen gegessen, nichts Rechtes leider. Zwei Kannen Tee. Viel telefoniert.

Am Abend losgewollt, aber hängen geblieben an einem letzten Schreiben. Viel gegähnt, den ganzen Tag eigentlich, und schließlich im Dunkeln heimgekommen und vor der Tür fünf, zehn Sekunden daran gedacht, weiterzufahren, irgendwohin, und den leeren Tag mit etwas anzufüllen, was nicht auf der Stelle zerfließt, aber was sollte das sein.

Journal :: 10.05

Ich bin der Moderne so müde. Ich habe die Gehirnkunst so satt, diese Installationen, Objekte, Collagen, all diese Dinge, die auf den denkenden Betrachter angewiesen sind, um die Aura zu gewinnen, die Kunst von irgendetwas Beliebigem unterscheidet, das man in Baumärkten kauft.

Ich bin keine Intellektuelle. Ich mag nicht alles, was ich sehe, mit meinen eigenen Gedanken umkleiden. Ich mag nicht all diejenigen Dinge, die landläufig als schön gelten, vor dem abschätzigen Prädikat des „Kulinarischen“ verteidigen müssen. Ich bin den Drang der Moderne über, alle sichtbaren Dinge zu spalten, zu zerlegen, die eigene Reaktion zu prüfen und fein abzuwägen, ob die Dinge sprechen, und am Ende spricht doch immer das eigene Ich, dessen Ennui so abgegriffen ist, so alt und mürbe wie die Moderne, an der es leidet.

Ich mag eure Pilzgerichte nicht mehr essen, sage ich mir und fahre am Hamburger Bahnhof vorbei. Die Galerien von Mitte interessieren mich nicht, und die Keller von Kreuzberg und Friedrichshain – geschenkt. In der Gemäldegalerie am Potsdamer Platz ziehe ich Kreise, langsam, anwachsend vor dem stummen Staunen der Jungfrau, blass, vor goldenem Grund. Die bläuliche Andacht der Heiligen. Die Veduten Italiens mit ihren unfassbaren Wassern. Die Oberflächen fahre ich entlang mit meinen Augen, spüre die Kühle Florentiner Kontore und die Risse im Stein auf der Flucht nach Ägypten. Die fröhlich-rotwangige Kälte der Niederländer. Die knisternden Stoffe, ach: die atmende, erregende Berührbarkeit längst versunkener Haut. Gerührt fahre ich auf den blauen Adern Flanderns entlang Richtung Süden, lehne die Wange in die blutenden Wunden Christi, und stehe – fremd, aber vertraut wie vor lange vermissten Verwandten – vor den verhangenen Himmeln des Rokoko, den gebrochenen Farben.

Ich bin die Moderne so über, steige ich wieder aufs Rad und fahre zur C. Eure Kunst berührt mich nicht, proklamiere ich lautlos in die Luft hinterm Leipziger Platz. Was Ihr tut, bleibt mir nicht im Gedächtnis von Häuten und strömenden Blut. Was Ihr produziert, schleppe ich nicht in das Dunkel von Nacht und von Träumen, und was immer Ihr malt, formt oder denkt, hat mit mir nichts tun.

Journal :: 09.05

Wenn Sie der Taxifahrer sind, der heute gegen sieben eine Frau in Jeans mit geschlagenen sechs Einkaufstüten und erheblichen Problemen, diese in Ihrem Wagen zu verstauen, nach Hause gefahren hat, dann haben Sie von mir einen komplett falschen Eindruck. Gut, die violette Kette musste ich nicht kaufen, aber sie sah halt fabelhaft aus, und ich habe sie auch vorhin schon getragen. Die größte Tüte war nicht mal meine, die gehörte nämlich dem J., der noch zu Saturn musste wegen CD-Rohlingen, und seinen neuen hellgrauen Anzug nicht mitnehmen wollte. In der schwarzen No-Name-Tüte war ein weißer Plastikpudel, aber meine Freundin C. hatte halt Geburtstag letzte Woche, und nur mit dem wirklich hübschen, aber komplett und sagenhaft überflüssigen Geschenk aus dem Lafayette wollte ich morgen abend nicht bei der C. vor der Tür stehen.

Die sieben Zentimeter hohen Kroko-Schuhe musste ich einfach mitnehmen, weil sie fabelhaft aussehen und nicht einmal drücken. Das fliederfarbene Kleid ziehe ich bestimmt den ganzen Sommer an, das ist so wahnsinnig bequem und sieht dazu noch gut aus. Den engen, grau-schwarz paspelierten Rock habe ich erworben, weil ich praktisch nichts mehr im Schrank habe, das zum einen zu mir, und zum anderen zu meinem Job passt. Die beiden Oberteile habe ich zur Kasse geschleppt, weil ich ja nicht nur mit Rock und BH ins Büro kann, und etwas anderes besitze ich gerade nicht, das zum Rock passt. Den hellen Rock habe ich gekauft, weil er da war.

Flache Schuhe brauche ich viel mehr, als ich habe. Na schön, ich trage sie selten, aber was würden Sie machen, wenn Sie 1,68 groß (oder klein) wären, und alle Welt auf Sie herab schauen könnte, als wären Sie ungefähr so hochgewachsen wie ein Dackel? Überall kann man halt trotzdem nicht hochhackig hin, und dann ist man froh, wenn man die Schuhe besitzt, die ich jetzt auch noch habe.

Mit übermäßiger Sorge um sein Äußeres hat das rein gar nichts zu tun. Vielmehr spricht hier nur die angemessene Rücksichtnahme auf das ästhetische Empfinden anderer Leute, und ich hab es doch heute morgen schon nicht zum Sport geschafft, und heute abend mit M., M. und dem J. ziemlich viel Sekt getrunken und den ganzen Abend geraucht.

Aber das verstehen Sie nicht, mit Ihrem Vollbart, Ihrem Kopfschütteln und Ihrem halblauten, aber verachtungsvollen „Frauen“, als Sie anfuhren, heute abend in Mitte.

Journal :: 07.05.

Manche behaupten, die Phase heimlicher Verliebtheit endet mit 15. Bei Spätentwicklern ende sie mit vielleicht 25. Die K. aber mit ihren 35, obwohl augenscheinlich ganz normal entwickelt und ganz und gar nicht übermäßig jugendlich mit ersten Fältchen um den Augen und zehn Kilo zuviel, hat es augenscheinlich erwischt.

„Das ist, als habe man mit 30 Masern.“, gluckst die Dritte am Tisch und gießt mehr Sojasauce über ihr Essen, als diesem zuträglich sein kann. Die K. jedoch nickt nur traurig und stochert mit ihren Stäbchen in einem Huhn Gong Bao. – „Ruf ihn an.“, versuche ich, etwas Konstruktives zu sagen, aber die K. schüttelt so entschieden den Kopf, dass sich jedes weitere gute Zureden verbietet. Dann also nicht.

Keinesfalls könne sie ihn anrufen, unterstreicht die K. ihre Ablehnung, denn schließlich träfe man sich ständig irgendwo, und dann sei sie für den Rest ihres Berufslebens – in dem gelegentliche Zusammentreffen unausweichlich sind – diejenige, die bei der Konkurrenz angerufen habe, um sich zu verabreden. Überhaupt könne man einen Mann nicht einfach anrufen, der keinerlei Anzeichen für Interesse gezeigt habe, und nach einem Treffen fragen, denn das sei erbärmlich. Man sei nicht einmal auf Du. „Wie soll man in einer mündlichen Verhandlung auch Interesse zeigen?“, frage ich quer über den Tisch. Die K. hat die Stäbchen weggelegt.

Ob ich etwas von ihrem Huhn essen könnte, frage ich mich und wische den Gedanken sofort wieder weg. Mein Tofu mit Gemüse ist seit ungefähr einer Viertelstunde Vergangenheit. Mein Gott, denke ich. Als sei man nicht dick genug. Statt dessen ordere ich mehr Tee.

„Der fühlt sich doch bestimmt geschmeichelt.“, rät die F. zu. „Und wenn schon!“, beendet die K. jede Diskussion. Dann werde er erst recht herumerzählen, sie habe ihn angerufen, einfach so, aus heiterem Himmel, und wie stünde sie dann da. „Als jemand, der sich etwas traut?“, fragt die F. vermutlich rein rhetorisch. Auch sie ist seit inzwischen zehn Minuten mit dem Essen fertig. Um ihre knusprige Ente habe ich sie beneidet.

„Noch was bei den Damen?“, fragt der Kellner und schichtet Platten und Teller zu einem bewundernswert hohen Stapel. „Einen Pflaumenwein?“, fragt er auf dem Rückweg in die Küche, und die F. lacht. Die K. bekomme nichts, sagt sie, als der Kellner verschwunden ist. Die sei ja erst 15.

Die K. lacht kein bißchen.

Journal :: 06.05.

Die B. ist von der Beerdigung zurück. Ein bißchen müde wirkt sie wegen des frühen Aufstehens, des Flugs hin und des Flugs zurück, und die Beerdigung war wohl auch kein Spaß. Ihren Onkel haben sie zu Grabe getragen, alle vier Exfrauen waren da und haben teilweise mächtig geweint. Vor allem die zweite sei fast hinterhergestorben vor Entwässerung, erzählt die B. und fährt mit der Gabel in ihre Pasta, weil zu allem Überfluss auch das Essen etwas karg ausgefallen ist.

Die fünf Kinder hätten teilweise einen etwas unbeteiligten Eindruck gemacht. Gerade der älteste Sohn, zehn Jahre älter als die B., sei umhergestanden, als ginge ihn das Ganze nichts an, seine Tochter fest an der Hand, die später Einiges werde erzählen können von dem Großvater, der ein Fresser und Säufer vor dem Herrn gewesen sei, zwei gebratene Hühner auf einmal habe verschlingen können, und Bier dazu zu bestellen pflegte, als wolle er ein Hopfenbad nehmen.

Mit den Frauen sei der Onkel gleichfalls umgegangen wie mit Bier und Geflügel. Nie habe es ihm gereicht, sogar seinen Nichten habe er schöne Augen gemacht, zumindest in dem Maße, wie ein 120 Kilo schwerer Mann eben schöne Augen machen kann. Zum Ausgleich sei der Onkel mächtig katholisch gewesen, viel gespendet habe er auch, und von seinen drei Wagen hat er einen dem kirchlichen Altenheim gestiftet, damit die alten Leute auch einmal Mercedes fahren. Er selbst hat es nicht mehr ins Altenheim geschafft, nicht einmal bis zur Rente.

Um ein Haar habe es noch so eine Art fünfte Witwe gegeben, erzählt die B. Ihr Onkel habe nämlich Beziehungen nach China aufgebaut, wo massenweise junge Frauen einen dicken Deutschen heiraten wollen. Zur Zusammenführung des Onkels mit der neuen Frau sei es aber nicht mehr gekommen. Die Familie hat’s gefreut.

„Keine schlechte Bilanz.“, sage ich und frage mich, was wohl andere über mich erzählen würden, würde auch mich der Blasenkrebs holen. Dass ich eine nette Person war, würde wohl der eine oder andere erzählen, und mancher würde sich still dabei denken, dass das nicht stimmt. Dass ich viel zu viel arbeite, weil ich nichts, was ich liebe, halb machen kann, und dann sind es eben täglich – heute auch – elf, zwölf Stunden. Dass ich eitel bin, launisch, immer hungrig und ein wenig unstet, würde man sich erzählen, und bei meiner Beerdigung hoffentlich so gut essen, dass niemand von der Leichengesellschaft abends bei einem Italiener in Berlin hintereinander Antipasti und Pasta mit Feigen und dann noch eine Panna Cotta hinterher bestellen müsste vor lauter Hunger.

Journal :: 05.05.

Der Kollege kann sich nicht entscheiden. Eine externe Festplatte soll es sein, aber auf mehreren Metern reiht sich Festplatte an Festplatte, und so kehren wir um. Rechts von uns liegen Stapel von Spielen, bei denen man jemand anders sein kann, ein Rockstar beispielsweise oder ein Landwirt, die Betreiberin eines Ponyhofs oder ein Monster oder Held.

Auf der anderen Seite liegen DVDs. Wer sieht das alles, frage ich mich und betrachte die lachenden oder wütenden Gesichter auf den Covern und schaue den Schauspielern in den aufgerissenen Mund. Wer spielt Stunden um Stunden, jemand anders zu sein? Und liegen die Spieler und Zuschauer abends im Bett, wenn es ruhig wird, und fragen sich, wo ihr Leben geblieben ist, die Tage, Wochen und Jahre, die uns zugemessen sind, und frösteln ob des vielen ungelebten Lebens?

Ruhig aber, gemessenen Schrittes, als ob sie wüssten, was sie tun, schreiten die Kunden über den grauen Fußboden, der Rolltreppe zu.

(Sieben weitere Stunden nach der Rückkehr ins Büro werde ich noch arbeiten, telefonieren, mailen, lesen und schreiben. Ein Abendtermin. 22.50 Uhr daheim. Zwei Scheiben Schwarzbrot vor dem offenen Kühlschrank.)