Wie mir scheint, gehört es zu den ersten Verbalhandlungen der Kleinstkinder, unmittelbar nach der ersten Anrufung der Erzeuger sich auf dem Spielplatz zusammen zu rotten und eine neue Generation auszurufen. „Generation Kollwitzplatz“ oder so, vielleicht auch „Generation Sportbuggy“.
Einige Jahre später, gegen Mitte des zweiten Lebensjahrzehnts, genauer gesagt: Mit 16, stellt sich die Lage etwas differenzierter dar, genauere Analysen müssen her, und so versinkt auch mein kleiner Lieblingscousin gelegentlich in ausführlichen Betrachtungen seiner generationsspezifischen Eigenarten.
„Ihr wart ja immer noch zu zweit.“, meint der Kleine, und malt für die Zukunft ein gräßliches Szenario von beziehungsunfähigen Einzelkindern aus, in denen Papas kleine Prinzessinnen und Mamas kleiner Liebling sich gegenseitig mit Schaufeln auf den Kopf hauen, wenn einmal irgendetwas nicht klappt. Man sei ja so wenig gewöhnt, Kompromisse zu schließen. „Hmmm“, murmele ich ein wenig uninteressiert vor mich hin und schaue bedauernd auf den nackten Grund meiner Teetasse. Überhaupt, fährt der Kleine fort, die Kompromissfähigkeit sei ein generelles Problem. Man sei so oberflächlich geworden. „Ganz anders als deine alte Cousine und Konsorten, was?“, ätze ich ein wenig in der Struktur dieses nicht besonders reizvollen Gesprächs herum. Der Kleine lässt sich indes nicht beirren und erzählt eine fürwahr erstaunliche Geschichte über seinen Freund H.
H. als ein ambitionierter junger Mensch, zugetan den schönen Künsten und insbesondere der Literatur, musste irgendwann feststellen, im Klassenverband irgendwie ins Hintertreffen geraten zu sein. So in amore. – Interessentinnen habe es aber schon gegeben, der H. sei nämlich sportlich und sehe gut aus, aber ein bißchen idealistisch sei er veranlagt, und ein Perfektionist dazu offensichtlich. Eine ernsthafte Sache wie die Uraufführung des H.´schen Liebeslebens habe H. daher nur mit einer absoluten Starbesetzung erleben wollen, denn, und so sagt mein Cousin in ernsthaftem Tonfalle, man eröffne ja auch die Scala nicht mit einer Performance der Waldshuter Liedertafel von 1904. Überhaupt, ein so prägendes Ereignis, das man nie vergesse, und dass im Fall des Fiaskos schwerwiegende Folgen zeitigen könne für die Psyche eines Menschen….der H. habe also lange geschwankt. Eine Kandidatin, mit der er es sogar schon ins Kino geschafft hatte, habe sich als ausschließliche Leserin billiger Kriminalromane entpuppt. Eine andere sei bei näherem Hinsehen irgendwie zu kräftig gewesen, „so der Typ Frauenfußball“, sagt mein Cousin, und man hört, wie es ihn ein wenig schüttelt. Schließlich habe H. eine Wahl getroffen, die Wahl war angetan, und die Dinge nahmen ihren ordnungsgemäßen Verlauf.
Später aber, nach dem Ereignis, wie mein Cousin mit hörbarem Bedauern ausführt, habe H. seine Gefährtin irgendwie nicht mehr so besonders gemocht, versucht, diese auch für ihn irritierende Empfindung zu verbergen, und sich schließlich offenbart. „Wie krank ist denn das?“, frage ich nach. Der H. sei halt nicht verliebt gewesen, und dann sei das eben so bei ihm, sagt mein Cousin, und verbietet mir, ehrliche Empfindungen anderer Menschen zu sezieren. Vermutlich, so seziert mein Cousin selber, habe H. im Nachhinein erkannt, dass sein Ideal der göttlichen Verschmelzung mit diesem Mädchen doch nicht zu verwirklichen gewesen sei, und er sich somit in der Auswahl seiner Premierenpartnerin geirrt habe. Zuviel Perfektionismus sei eben schädlich.
Das Mädchen jedoch habe diese Abfuhr schwer genommen und angekündigt, sich demnächst zu entleiben. „Das hätte die eh nie hinbekommen.“, meint mein Cousin, und erwähnt ihren kurzfristigen Aufenthalt in einer Klinik, die sich ausschließlich solchen Problemen widmet. „Der reinste Wedekind.“, ächze ich in den Hörer und freue ich meines Erwachsenseins.
„Ja, und wenn das schon so losgeht.“, meint bekümmert mein Cousin.