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Frau ohne Eigenschaften

Zuerst fiel es mir im Studium auf.

Man hat im Jurastudium jahrelang ohne Ende Zeit; und so tat ich mich ein bißchen um. Einzelne Veranstaltungen in der Philosophie, ein bißchen Germanistik, alte Geschichte und zwei politologische Seminare später war ich zumindest um die Erkenntnis einer Armut reicher: Mir fehlt ein Standpunkt. Ein fester. Das, was man eine Weltanschauung nennt.

Der Hedonismus Birnbachers schien mir einleuchtend. Die Kritische Theorie aber auch. Die Frankfurter Schule beeindruckte, aber ich hatte selten mehr Spaß als beim Seminar zu Schmitts „Politischer Theologie“. –

Gegen den Gottesgedanken habe ich auch nichts einzuwenden. Was ich glaube, ist tagesformabhängig. – Zwar bestach insbesondere das Colloquium zum Kirchenrecht nicht durch besondere intellektuelle Brillanz, aber sei´s drum: Als eine der wenigen Nichtkatholiken dieser Welt verfüge ich über einen Seminarschein, den ich für eine Arbeit über die verfahrensrechtliche Seite der Heiligsprechung erworben habe.

Irgendeine Art des inneren Widerwillens gegen in sich schlüssige Ideen habe ich nie verspürt. Virtuosität einer Gedankenführung imponiert mir, noch mehr indes die des sprachlichen Ausdrucks.

Meine Umgebung, sofern überhaupt in der Lage, nachvollziehbare Positionen zu artikulieren, hatte sich frühzeitig festgelegt. Ich war und blieb für so gut wie alles begeisterungsfähig, und selbst für den baren Humbug blieb mehr über, als ein rein dokumentarisches Interesse.

Gegen Ende des Studiums begann mir dieses Defizit aufzufallen. Ich grub, aber da war nichts. Am Schlimmsten war, dass dieses Fehlen einer Weltanschauung sich auch auf allen anderen Gebieten bemerkbar machte. So gibt es kaum k.o.-Kriterien, mit denen man sich aus meiner Wertschätzung endgültig verabschiedet. Vielleicht abgesehen von Fällen extremer Geschmacklosigkeit und erdrückender Langeweile. Meine persönliche Moral hängt im wesentlichen an der Wertschätzung, die ich demjenigen entgegenbringe, um den es gerade geht.

Praxiserfahrung vermochte an dieser Indifferenz nichts zu ändern. Noch als Sitzungsvertreterin der Staatsanwaltschaft war mir ungefähr jede Position gleich recht. Als Freundin bin ich für meine Freunde, als Familienmitglied für die Familie, und als Liebende für den jeweiligen Mann, solange die Liebe dauert.

Bemühungen, sich auf einer rationalen Grundlage einen Maßstab zu schaffen, bleiben erfolglos. Ich bin und werde zum Glück nicht Richterin, Abwägungen liegen nicht in meiner Hand. Die Diss, die ich schreibe, könnte auch zu einem völlig anderen Ergebnis kommen – es wäre mir egal.

Im Rahmen von Diskussionen bin ich im Allgemeinen für das Gegenteil dessen, was mein Gegenüber vertritt. Oder zumindest für die Minderheit der Anwesenden. Ich bin die geborene Opposition und finde meistens das Haar in der Suppe. Und es ist nicht meine Schuld, dass in den meisten Suppen ganze Perücken schwimmen. Nur – einen festen Standpunkt, den habe ich immer noch nicht. Vielseitig verwendbar nennt man das wohl, und für einen Juristen mag dies gleichermaßen Chance und Gefahr bedeuten. Can´t help it.

Und alles Leben wäre unser eigen

„Der da“, sagt T.
„Nein,“ sage ich. Zu jung. Ein Mann soll es sein, kein Junge. Und der da, der zwei Tische weiter seine Reisschüssel isst, ist ein reizender Ephebe, schlank und feingliedrig. Nichts für mich. Ein Prada-Hermes mit einem koketten Armreif.

„Dann vielleicht der“
Der auch nicht. Zu wenig Haar ist egal, ein bißchen Körperfülle stört nicht. Ein Genießer soll es sein. Aber das Gesicht ist ein wenig grob, ein bißchen brutal. Jemand, der an die Phrasen glaubt, die er jeden Tag drischt, der keine Frau sucht, sondern ein Accessoire des Lebens, das er sich ausgemalt hat, damals, als er achtzehn war und die Mädchen noch nicht einmal über ihn lachten. Der Mann an der Bar ist kein Herr. Und ein Herr soll es sein.

„Dann doch der K.?“, T. lacht über meine Schulter hinweg einer Frau zu, die er irgendwo schon einmal gesehen haben will. Die Frau schaut stoisch in ihre Bierflasche.

Nein, sage ich. Der K. ist korrekt und untadelig. Er wäre niemals grausam. Aber die Bühne sollte mehr sein als eine halbjährlich absolvierte Pflichtveranstaltung, und die frivolen Plaudereien der Brüder Goncourt eine größere Dichte besitzen als ein Geschäftsbericht. Er sollte das kalte Feuer des Augustinus im Nacken spüren können, und alle Sinnlichkeit der Welt in den ersten Takten des „Tristan“.

T. wiegt lachend das Haupt und bringt einen Toast aus. Auf die eierlegenden Wollmilchsäue unter den Männern. Als er das Glas senkt, wird er ernst. „Du, meine Modeste,“ sagt mir der T., „Du suchst keinen Mann. Du suchst die Erlösung. Du suchst nicht den Ritter, sondern den Gral.“

Nein, sage ich. Und meine es ernst.

Erzieherische Misserfolge

Die Verdammung der 68´er, die ihre Chefsessel einfach nicht räumen wollen, ist ja derzeit sehr en vogue – und so angesagt, dass man sich kaum beteiligen möchte. Nun tritt man in diesem Falle ja keinen Fallenden, im Gegenteil, und so seien nach einer ganzen Reihe von Gesprächen doch ein paar Worte über Sophie Dannenbergs „Bleiches Herz der Revolution“ verloren. Ober besser: Über ihr sujet. Denn das Buch ist schlecht, zu holzschnittartig und alles in allem…nicht sehr interessant.

Kein Zweifel besteht, dass die Autorin keinen ganz kleinen Splitter jenes Zauberspiegels ins Auge bekommen hat, der die Betrachtung auf bekannt unangenehme Art und Weise verzerrt. So war sie nun auch wieder nicht, die befreite Kindheit und Jugend. Oder sagen wir: So war meine Kindheit nicht. So flach und eindimensional sind weder meine Eltern noch ihre Freunde jemals gewesen. Und der Traum von Glück und Freiheit in einem postrevolutionären Arkadien ist mir angenehmer als der Traum von Benz und Villa. Dass es bei den meisten letztlich ein renoviertes Bauernhaus und ein Saab geworden ist…geschenkt.

Besonders antiautoritär war die befreite Kindheit allerdings nicht. Der im Buch beschriebene Befreiungszwang fand im Hause meiner Eltern zwar nicht in dieser Form statt. Der Zusammenprall zwischen den Erwartungen der Erwachsenen und den Möglichkeiten eines Kindes bleibt wohl keinem Kind erspart. Ein wesentlicher Unterschied zwischen den Erwartungen einer konservativen Erziehung und dem familiären Befreiungskonzept dürfte allerdings in der Tatsache liegen, dass sich die konventionelle Erwartung im wesentlichen auf äußere Umstände richtet. Sofern Schulleistungen und sportliche Erfolge einigermaßen hinhauen und die Nachbarn sich nicht beschweren, ist für den Vorstadtrotarier die familiäre Welt in Ordnung. Die Persönlichkeit des eigenen Nachwuchses dagegen ist ihm in aller Regel schon aus Phantasielosigkeit komplett egal.

Der Versuch, die Befreiung des Menschen am eigenen Nachwuchs auszuprobieren, soll prächtige Ergebnisse gezeitigt haben – allerdings nicht bei mir. Ob man diesen Misserfolg dem Konzept vorwerfen kann, oder mein etwa vierzehnjähriges Selbst einfach befreiungsresistent war – ich kann es nicht mehr sagen. Ich war einfach nicht Pippi Langstrumpf. Ich war nicht laut, frech und rebellisch. Ich war krankhaft schüchtern und äußerst kompliziert und habe mich für so gut wie alles geschämt. Insbesondere für die eigene Kompliziertheit, von der ich annahm, sie stünde mir aus irgendwelchen Gründen nicht zu. Wenn es nach mir gegangen wäre, wäre ich zwischen zwölf und 22 unsichtbar gewesen. War ich aber leider nicht.

Wieso die Befreiung der eigenen Körperlichkeit dermaßen schiefgegangen ist, weiß ich nicht. Ich habe nie ein selbstverständliches Verhältnis zum nackten Körper entwickelt. Und jeder, der unbekleidet durch unseren Garten gelaufen ist, hat mir nicht die Freude am eigenen Körper vermittelt, sondern das Gefühl einer Schamverletzung. Ich würde niemals eine gemischte Sauna aufsuchen und nicht nackt baden. Und die gönnerhaften Komplimente meiner Onkel und diverser Gäste für meinen Körper, gehören zu den peinlichsten Erinnerungen meiner Kindheit. Allerdings habe ich auch nicht den Mumm aufgebracht, als einzige einen Badeanzug zu tragen. Klar, dass es mit dem Ausleben einer entspannten Sexualität entsprechend auch nicht geklappt hat. Zum einen wollten nie diejenigen, in die ich verliebt war, das Reich der Erotik mit mir erobern. Zum anderen hat die Überfrachtung des Sexuallebens als eines Refugiums absoluter Freiheit und unglaublicher Ekstasen bei mir in erster Linie einen Leistungsdruck ausgelöst, der der ganzen Angelegenheit nicht gutgetan hat, als es dann soweit war.

Ob der pädagogische Misserfolg dem Konzept antiautoritärer Erziehung zur Last gelegt werden kann, dürfte allerdings eher zweifelhaft sein. Vielleicht bin ich einfach so. Vielleicht ist die Erziehung für die persönliche Entwicklung einfach ziemlich egal. Vielleicht liegt der einzige Sinn der Pädagogik in dem Bemühen, die Jahre, in denen man so ausgeliefert ist, wie später nur noch in der Liebe, nicht über Gebühr quälend zu gestalten.

Ostdeutsche Mädchen

Die Menschen in meinem Leben, die ich in meine Wohnung lasse, weisen einen eher weniger umfangreichen Alterskorridor auf – und so ist G. minor der erste Minderjährige, der jemals mein Bad benutzt. Frischgeduscht und halbbekleidet spaziert der zwölf Jahre jüngere Vetter meines weiland Tanzstundenfreundes G. maior also durch meine Wohnung.

„Das ist furchtbar nett, dass ich bei dir wohnen kann.“, bedankt sich der kleine G. und plaudert mir ein bißchen vor. Lateinlehrer Dr. D. scheint in den letzten zehn Jahren nicht unbedingt zur Altersmilde gefunden zu haben; der dicke Herr L. ist schon wieder pleite, und die Ex-Frau des Gynäkologen ist knappe vier Monate nach der Scheidung schwanger, und keiner weiß von wem.

Dann wird es ernst. Mit zerfurchter Stirn referiert G. minor den Stand seines personal Uni-Contests. Hier werden wichtige Entscheidungen getroffen, ich werde also angemessen ernst und rate dringlich von Berlin ab. Hier kann man gar nicht studieren. Bonn vielleicht, vielleicht Passau. Oder in die neuen Bundesländer? Macht sonst keiner, aber wieso nicht Jena oder Greifswald?

Der kleine G. wehrt ab. Berlin muss nicht, Bonn ist eine Möglichkeit, aber in den Osten, in den Osten geht er nicht. Denn, so der kleine G. im Tonfall einer Selbstverständlichkeit: „Im Osten gibt es keine Mädchen.“

Nach kurzer semantischer Verwirrung stellt sich heraus, dass der Mädchenbegriff sich in den betroffenen Alterskohorten irgendwann in den letzten zehn Jahren geändert haben muss. Ein Mädchen ist demnach nicht mehr nur ein weibliches Wesen so zwischen 12 und 18. Der Mädchenbegriff unterliegt weiteren positiven wie negativen Tatbestandsmerkmalen.

Mädchen, erfahre ich, sind nie tätowiert. Sie lesen weder Science-Fiction noch Bravo. Sie lackieren nie ihre Fingernägel in Rot oder Pink oder überhaupt sichtbar. Sie spielen nie Fußball. Wenn sie sich für Politik interessieren, dann für die GRÜNEN. Sie sind wahnsinnig musikalisch.

Ich verstehe. Der Mädchenbegriff hat offenbar den Bedeutungsinhalt der „höheren Tochter“ angenommen. Aber im Osten gibt es keine? Ich überlege. Kann ich mir nicht vorstellen. Gegenbeispiele sind mir aber auch nicht bekannt, denn potentielle Mädchen kenne ich ja nicht so besonders viele. An ehemaligen Mädchen kommt zwar eine ganze Menge zusammen. Allerdings kenne ich kaum Ostdeutsche. Das liegt aber an den Ostdeutschen und nicht an mir. Als ich nach hergekommen bin, haben sich mir alle denkbaren deutschen Stämme vorgestellt, aber die ostdeutschen waren nicht dabei. Und nach Brandenburg fahre ich nie aus Angst, dass die Ureinwohner gerade ihre rassereinen Wochen feiern.

G. minor, nun ganz in der Pose des jugendlichen Welterklärers erläutert die historischen Hintergründe des Mädchenverschwindens. Klingt logisch. Die SED hat also nicht nur den kulinarischen Tiefstand der Ostberliner und ihre miesen Manieren auf dem Gewissen. Mädchen müssten erst langsam nach und nach nachwachsen. Wenn aber die Mütter nie Mädchen waren, dann wird die Mädchenproduktion auch in Zukunft spärlich bleiben. Das Mädchendefizit – offenbar der letzte Ausläufer östlicher Mangelproduktion.

The Night Is Thine

Nicht, dass ich ihn geliebt hätte. Als ich ihn das letzte Mal anrief, vor zwei Jahren, hatte ich zwar die ganze Nacht nicht geschlafen. Ursache war aber das Examen ein paar Tage später, mit ihm hatte das rein gar nichts zu tun. Alle waren erleichtert über den Befreiungsschlag, ich war weder erleichtert noch traurig.

An die Details seines Gesichts kann ich mich nicht mehr erinnern. Nach meinen Worten könnte keiner ein Portrait malen, nicht einmal ein Phantombild spränge dabei heraus. Ich kann nicht einmal mehr sagen, ob er Brusthaare gehabt hätte, angewachsene Ohrläppchen und wie er sich angefühlt hat. Photos gibt es nicht für mich. Was ich über ihn geschrieben habe, ein halbes Quartheft voll, hat derjenige zerstört, der Anspruch gehabt hätte auf meine ungeteilte Aufmerksamkeit, und vor dessen Schmerz ich geflohen wäre, wenn er mich gelassen hätte.

Als er nicht mehr anrufen sollte, und alles Spuren seiner Existenz gelöscht waren in meinem Leben, hat er mir nicht einmal gefehlt. Aber dann, wenn ich ihn fast vergessen glaube, wenn ich schon zwei-, dreimal beiläufig und oberflächlich an ihn gedacht habe, wenn ich mich über ihn unterhalten habe, und seine Aufsätze in der todlangweiligen Fachzeitschrift überblättert habe, die auch ich auf den Schreibtisch bekomme –

Dann ist es Nacht, und ich stehe auf der Treppe im neuen Milchhof. Es sind die ersten Stunden des neuen Jahres und ich erörtere, ob wir noch woanders hin fahren. Jemand schiebt sich an mir vorbei, ich drehe mich um, und der Fremde sieht ihm nicht einmal ähnlich. Aber etwas greift mir ans Herz, und für eine Sekunde rieche ich sein Haar.

Dann ist es vorbei. Aber die Bilder an den Wänden sehen wie Tote aus, wie ein Angriff von rasenden, bewusstlos-blutrünstigen Wiedergängern, und so ziehe ich die Freunde nach draußen und trinke auf der Schwedter Straße ein warmes, bitteres Bier, das mir jemand in die Hand gedrückt hat.

Rauschender Mißerfolg künstlicher Paradiese

K. kommt später, und so lasse ich mir vom Kellner eine Zeitung bringen. Der K. ruft nochmal an, es wird noch später, und so blättere ich ein bißchen in der WELT von gestern. Politik interessiert mich nicht, von Wirtschaft verstehe ich nichts, und das Feuilleton der WELT ist nicht geeignet, die Wartezeit zu verkürzen. Ein beiläufig irritiertes Interesse zieht die Eröffnung des „Tropical-Islands“ in der Wüste um Berlin auf sich, und so lese ich diesen Artikel von vorne bis hinten.

Der K. ist für seine Verspätung keinesfalls selbst verantwortlich, soviel ist klar. Aber als er endlich erscheint, bin ich ein bißchen verärgert in meiner Verfressenheit und schleudere ihm, der entfernt irgendwas mit dieser absurden Veranstaltung zu tun hat, ein lockeres „Das kann doch gar nicht funktionieren“ entgegen.

K. legt die Stirn in Falten, tupft sich sorgfältig unsichtbare Spuren eines Petersilienwurzelsüppchens von den Mundwinkeln und erklärt Gewinnerwartungen und Investitionsstruktur. Der Aal unterbricht seinen Sermon, und so komme auch ich wieder zu Wort.

„Würdest du da hinfahren?“, frage ich ihn. Er verneint. Leute wie er und ich, so erläutert er, seien nicht die Zielgruppe dieses Investitionsprojekts. Die „Ballermänner“ und „DomRepProleten“ seien diejenigen, deren tristen Alltag das Kunstparadies verschönern solle. Der „sehr moderate“ Eintrittspreis von etwa 15 oder 20 € pro vier Stunden sei sozusagen als Basisfinanzierung anzusehen, es sei aber zu erwarten, das jeder Gast ein Mehrfaches vor Ort konsumieren werde.

„Die haben doch gar kein Geld.“, entgegne ich, die ich weder der brandenburgischen Steppe noch den Einwohner des verrottenden Berlins besondere Kaufkraft zutraue. „Du wirst dich wundern,“ erläutert in betont ruhigem und etwas lehrhaftem Tonfall K., „was in diesen Kreisen alles auf dem Konto liegt.“

Es wird wohl am Belehrungsgestus gelegen haben, oder an der Art, wie er „diese Kreise“ intoniert, jedenfalls fasse ich den K. scharf ins Auge, und biete ihm eine Wette an:

Wenn Tropical Islands im nächsten Jahr auch nur zwei von den drei Millionen erwarteten Gästen empfängt, bekommt K. eine Magnumflasche Veuve Cliquot; andernfalls bin ich die Empfängerin.
„Ach,“ sagt der K. und schwenkt das Besteck, „mit schönen Damen soll man nicht wetten.“

Ich schweige und beschließe, den K. sofort von meiner Liste denkbarer Dauerbegleitungen zu streichen. K.´s Vorstoß bezüglich einer gemeinsam besuchten Silvesterfeier wird daher abgelehnt, und auch die Rückreise am Vortag von meinen Eltern nach Berlin wird nicht in K.´s Wagen zurückgelegt werden.

Kurz nach drei, ich sitze wieder am Schreibtisch, ruft K. nochmals an. Was denn nicht stimmen würde. Und: Ob er was falsch gemacht hätte. Von der Wirtschaft verstünde er berufsbedingt mehr als ich, in meinen Interessengebieten wolle er doch auch nicht recht behalten.

Ist schon gut, sage ich und will auflegen. „Wenn es die Wette war,“ ruft K. hinterher, „kauf´ich dir den Champagner natürlich auch einfach so.“

Blauer als blau

Auf dem Heimweg, immer die Seestraße herunter zur S-Bahn, fühle ich mich auf einmal einsam. Im Bett, eine Teetasse in der Hand, rufe ich meinen Vater an. Er klingt verschlafen. Nein, wehrt er ab, er habe noch gelesen, und ich bin dankbar für die kleine Lüge, die mir das schlechte Gewissen ersparen soll. Ich ziehe die Decke über mich, schließe die Augen und flüstere in den Hörer, was an meinem Leben sich falsch anfühlt. Mein Vater beruhigt, begütigt, spricht über schöne Dinge und Menschen, die mich lieben.

Haltung, würde meine Mutter empfehlen, und hätte wahrscheinlich recht. Aber mein Vater beginnt, leise zu singen, und singt, bis ich müde bin von den zwei rüst´gen Gesellen, von den Pflaumenbäumen, die vielleicht noch immer blühen und vom Traum, in dem alles leichter und besser ist, und der Himmel blau.

Mein Onkel haut mich um

Letzte Tagung des Jahres. Vor der Tür stehen die Professoren inmitten ihrer Assistenten und demonstrieren, dass der aktuelle Vortrag sie durchaus kalt lässt. Man tauscht Vistenkarten für die Zeit nach Abschluss der Diss, lacht zu laut über die Witze der Professoren, lästert über die Veröffentlichungen des Jahres und schweigt gekränkt, wenn die eigenen Publikationen nicht einmal der üblen Nachrede gewürdigt werden.

Vor dem Zigarettenautomaten steht mein glatzköpfiger Onkel, seine ausschließlich weibliche Schülerschaft um sich herum. Begrüßung mit großem Hallo, seine Assistentinnen zeigen mir ihre weißen Zähne, und er zieht mich davon. Etwas irritiert winkt aus einer anderen Ecke mein Doktorvater.

Man könne, sagt mein Onkel nach der Begrüßung, sich den Vortrag von Kollege X auch sparen, der sage sowieso immer dasselbe, und so fahren wir zu einem Kaffeehaus in der Innenstadt, bestellen Quark-Sahne und Kännchen Kaffee. Hinter den fast blickdichten Gardinen blinkt der Weihnachtsmarkt des Städtchens, Schwaden von Glühweingeruch ziehen über den Platz. Die Kellnerin trägt ein weißes Schürzchen und eine Haube auf dem dauergewellten Grauhaar.

Mein Onkel fragt nach dem Ende der Beziehung mit I., dem Wohlergehen einer Freundin, die ihm bei einem gemeinsamen Essen gefallen hat und erzählt Klatsch über Professoren und Anwälte. Ich bestelle zwei Würstchen mit Kren, und gebe von Zeit zu Zeit die erwarteten Laute des Verstehens oder der Zustimmung von mir.

Der Onkel berichtet über die Universitätskatastrophen seiner Söhne, von denen der Ältere dazu noch viel zu viel Liebesleben unterhält, und dafür der Jüngere gar keins. Ich trage einen Zwischenbericht über Desaster im Leben meiner kleinen Schwester bei, und dann macht mir mein Onkel doch tatsächlich eine Art Kompliment – ich sei das unproblematischste Wesen, das er kennt.

Ich bin ziemlich selten sprachlos. Aber mein Onkel ist ein Mensch mit ungewöhnlichen Fähigkeiten, und so setzt er sogar noch einen drauf. Ich, so mein Onkel, sei eine Meisterin des Maßhaltens. Ich würde mich für nichts übermäßig interessieren und für fast alles zumindest soweit, dass ich irgendetwas Gepflegtes dazu sagen könnte. Ich hätte ein meistens wohlgeordnetes Privatleben und wohltemperierte Freunde, wäre hübsch genug, aber keine sinnenverwirrende Sirene. Hinreichend intelligent, aber nicht problematisch intellektuell. Eine „postmodern weibliche Ausgabe des Modells Hans Hansen“.

Für die nächsten paar Minuten fiel mir nichts mehr ein. Ich kaute auf meinen Würsteln, kippte Kaffee hinterher, und hatte mich gerade soweit erholt, dass die ersten Argumente der großen Gegen- und Verteidigungsrede in meinem Gehirn Form annahmen, da stand mein Onkel auf. Der Kollege X sei jetzt fertig, noch zwei Stunden bis zum Abendessen, und den Herr Prof. Y dürfe man nicht verpassen.

Psychisch leicht derangiert stolpere ich auf meinen Lehrstuhl zu. Woher ich denn den S. kenne, befragt mich mein Doktorvater mit leicht zusammengezogenen Brauen. Der sei ja ein so unangenehmer Mensch, ein bedeutender Denker, aber charakterlich….Das sei mein Onkel, flüstere ich zurück, und lasse mir von einem wohltemperierten Freund und Kollegen ein großes Glas Wasser bringen.

K. oder nicht K.

Zu den wirklich bedauerlichen Umständen gehört, dass der K. mir so gar nicht gefällt. Ich bin ein bißchen ärgerlich mit ihm – wäre er nur ein wenig anziehender, so würde ich mir den K. ernsthaft überlegen. Würde er sich wiederum nicht so nett bemühen, dann täte es mir nicht leid. Die Kombination von reizender Werbung und unüberwindlicher Abneigung…so etwas sollte verboten sein.

Gestern nachmittag zum Beispiel ruft der K. an, er sei zufällig bei mir um die Ecke. Hätte er einfach geklingelt, wäre ich mir ein bißchen verfolgt vorgekommen. Aber so…

Jedenfalls kommt der K. die Treppe hochgelaufen, erwartungsfrohes Lächeln, aber keine Umarmung. Eine einzelne Amaryllis statt eines üppigen Straußes, dessen Annahme irgendwie verpflichtend wirkt und schon deswegen nicht richtig Freude macht.

K. lobt meinen Tee, und gibt sich offenkundige Mühe zu gefallen. Spürbare Anstrengung hat man eigentlich nicht gern – bei K. wirkt die Unbeholfenheit aber immerhin ganz reizend. Er spricht über Botho Strauß und die Gotik, imitiert die Klavierlehrerin seiner jüngsten Schwester, und bricht, als er einmal auf die Politik kommt, auf der Stelle ab: Frauen interessieren sich nicht für Politik, wie man ihm erzählt hat. Die Blicke werden länger, er wechselt die Themen und spricht über Familie und Glaube. Als ich leichte Anzeichen von Unbehagen erkennen lasse, wechselt er wiederum und preist die mit gebratenem Geflügel verbundenen Freuden.

Nach einer nicht unangenehmen Gesprächspause kommt er auf den Vorfall von letzter Woche. Es sei, sagt er, alles andere als ein Mangel an Respekt. Ich dürfe nicht denken, er halte mich für – leichtlebig.

Süß!, denke ich. In diesem gescheitelten Köpfchen ist die Welt der leichtlebigen Frauenzimmer und ihrer feschen Verehrer noch Realität. Auf meinem Sofa sitzt ein sprechendes Fossil. Wenn mich aber diese groteske Weltanschauung mehr rührt als ärgert, denke ich weiter, könnte ich nicht vielleicht wirklich zumindest ein wenig in den K. verliebt sein?

Ich wäre ganz gerne in K. verliebt, es würde mindestens die Hälfte aller meiner tatsächlichen und eingebildeten Probleme auf der Stelle lösen. Aber schon die Vorstellung, den K. auf den Mund zu küssen, erscheint mir so abwegig, wie ein Kuss mit dem Mann, der die Zigaretten verkauft. Wenn der K. seine Hand auf meinen Unterarm legt, bekomme ich Gänsehaut.

Keinesfalls verliebt. Soviel ist sicher. Aber wenn es möglich wäre, mittels eines Medikaments augenblicklich in ein Objekt eigener Wahl verliebt zu sein, würde ich es derzeit sogar privat bezahlen.