Als ich einmal 18 war

Mozarts meinten wir, alle miteinander so ungefähr 18, überdrüssig zu sein. Verdi? Ein Fall für´s Abonnementspublikum. Beethoven – „meine Liebe, Beethoven ist ausgeschöpft“.

Schlechte Bücher, so glaubten wir überdies, verdürben den Charakter. Wir lasen Wilde und Céline, Jünger und Benn, und hegten schon deshalb kaum einen Zweifel an unserer Perfektion. Die Welt, so glaubten wir allen Ernstes, habe ein Rausch aus Gold, Blut und Rosen zu sein, Gott war ein toter Hund, und Nietzsche dafür um so lebendiger.

Es liegt an eines Menschen Schmerz, an eines Menschen Wunde nichts, sagten wir uns vor, und als die Mutter eines Kameraden Schlaftabletten nahm, und eine Woche später begraben wurde, lobten wir, noch etwas weiß um die Nase, die Schönheit dieses Todes, die den Abschied in Würde dem Verlassenwerden vorzog. Den moralischen Rigorismus der Jugend, den sich andere gehalten haben mochten, meinten wir, schon von vornherein überwunden zu haben. Im weißen Kleid mit Lochstickerei ging ich zu der Einladung, die die Geliebte des Vaters eines Freundes für jenen gab, und trank Krimsekt. Mundus vult decipi, zuckten wir die Achseln, und lachten ein bißchen über Regierung und Opposition gleichermaßen und über die, die dumm genug waren, gar nicht gehört zu werden, noch ein bißchen mehr.

Statt der Ungerechtigkeit der Welt hassten wir ihre Hässlichkeit, und stellvertretend jene Kameraden, die das Unglück hatten, mangels anderer geeigneter Ziele in jenem windstillen Winkel der Welt für uns deren Grobschlächtigkeit zu verkörpern: Der dicke, immer etwas schwitzende Junge mit dem Aktenkoffer. Die blonde, ordinäre Bauerntochter, die sich aus der Stadtbücherei Liebesromane entlieh, die „Stürme der Leidenschaft“ hießen oder so ähnlich. Als der Direktor der blonden Bäuerin nahelegte, die Schule nach der U I zu verlassen, hatten wir gesiegt.

Zehn Jahre ist das her. Das Mädchen, das ich einmal war, ist mir fremd geworden, die Sorglosigkeit und die Arroganz, auch der selbstgerechte Äthetizismus, sind mir hoffentlich ferngerückt. Ihre Bücher aber sind die meinen geblieben, und beim Wiederlesen bin ich so bei mir, dass das Mädchen von früher noch in einer meiner Ecken sitzen muss, irgendwo. Neben die gepflegten Ekstasen der letzten Jahrhundertwende sind indes andere Vorlieben getreten, und der jugendliche Snobismus, der alles gesehen und gekannt haben wollte, und dem kaum etwas exklusiv und gesucht genug sein konnte, ist einer Demut gewichen, von der ich mir wünsche, das sie nicht nur die Kunst umfasst.

An die Stelle der Schönheit der Welt als Maß und Regel ist eine Komplexität getreten, vor der wohl nicht nur ich ein wenig ratlos stehe. Schwierig ist die Welt bisweilen geworden, und ich urteile zunehmend weniger und stets ein wenig ungern.

Für die Verwirrung über die Kompliziertheit der Dinge, für den Verlust der Sicherheiten des jugendlichen Selbst, schenkt einem die Welt indes manchmal die Momente, die der Achtzehnjährigen in ihrer Hybris nicht gegeben worden wären: In der Staatsoper zu sitzen, Daniel Barenboim die Sonaten Beethovens spielen zu hören, und vor der Erhabenheit des tausendmal Dagewesenen in Demut zu erzittern, und im Innersten berührt zu sein:

Gebadet – nein: getauft – in den reinen Wassern der Kunst, in denen wir immer wieder neu und rein werden, wenn wir ihr gesenkten Hauptes nahen.

10 Gedanken zu „Als ich einmal 18 war

  1. So macht das Alter – zumindest so manchen – bescheiden. Und das ist m.E. auch das Geheimnis von Älterwerden. Nicht mehr „nie“ zu sagen und statt hart zu verurteilen, Güte und Nachsicht walten zu lassen.

    Die Weisheit ist doch die Erkenntnis über unsere eigene Unzulänglichkeit.

  2. Mit Verlaub: Die reinigende Wirksamkeit kultureller Taufsakramente scheint mir doch ziemlich fragwürdig angesichts der Tatsache, dass auch der kultivierte Doktor Mengele seinen Mozart so sehr liebte, dass er sich von ergreifend gespielten Stücken zu Tränen rühren ließ.

    Ich will das jedoch nicht als Totschlagargument gegen kulturelles Dazulernen verstanden wissen. Ich finde nur das Pathos mit dem „neu und rein werden“ ziemlich dick aufgetragen. Aber letztlich ist das meine persönliche Geschmackssache ohne Anspruch auf kanonische Unfehlbarkeit. Und so bekenne ich gern, dass ein paar Abneigungen aus meiner 18er-Zeit ziemlich stabil geblieben sind: Mozart saugt größtenteils immer noch, und Fontane ist und bleibt ein Langweiler…

  3. Tja,

    wenn ich Sätze wie

    Ob ich die Meinung auch ernstnehme, hängt natürlich ganz vom Urheber ab, und Physiker sind regelmäßig nicht diejenigen Menschen, die auf meiner Skala der ob ihres Unterhaltungswertes meist geschätzten Gesprächspartner einen der vorderen Plätze einnehmen. Und dann, wenn Intelligenz nicht in Unterhaltungswert umschlägt, handelt es sich doch um eine im wesentlichen sinnlose Veranstaltung.

    lese, dann befürchte ich, daß der Haß des Mädchens auf das Bauernmädchen und den schwitzenden Dicken noch irgendwo sitzt, sich nur andere Objekte gesucht hat.

  4. Mädchen

    Als ich 18 war träumte ich von Mädchen, die dem Mozart überdrüssig waren und mit mir Celine oder Wilde gelesen hätten. Mit denen wäre ich bis ans Ende der Nacht gereist.

  5. REPLY:

    Aber Herr Mark – Sie haben wohl vergessen, wo Sie sind ;-). Nein, im Ernst, dass auch der berauschendste Kunstgenuss keine moralisch reinigende Wirkung besitzt, ist mir selbstverständlich von vorne bis hinten klar. „Rein“ und „Neu“ meint nicht „unschuldig“ in einem quasi theologischen Sinne, sondern bezeichnet einen Zustand der unmittelbaren Erlebnisfähigkeit, der das tausendmal Gehörte, vorgeblich Abgenutzte, Abgedroschene neu erscheinen lässt, und vermittelt über die Unmittelbarkeit des Eindrucks und der Erschütterung auch einen selber in den Zustand versetzt, als höre man ein Stück das erste Mal – sei noch einmal kleines Mädchen im rotes Taftkleid mit Volants und säße vor Überschwang heulend im Kammermusiksaal, zehn Jahre alt. Mit 18 konnte ich das nicht, und diese Fähigkeit wieder zu besitzen, erfüllt mich mit Hoffnung und letztlich mit Dankbarkeit.

  6. REPLY:

    Ach was, Herr Gibsmir – Hass ist doch eine ganz andere Kategorie. Hier ist doch eher Gleichgültigkeit im Spiel oder maximal eine leichte erfahrungsbedingte Antipathie.

  7. REPLY:

    Seien Sie froh, Herr Bandini, auf kein real existierendes Exemplar gestoßen zu sein: Die Neigung Achtzehnjährigen ihre Lektüre auch noch ernst zu nehmen, hätte Ihnen in meinem Fall mindestens ein paar unangenehme Monate beschert. Sensible Gemüter unter den männlichen Gefährten dieser Lebensphase haben sich bei der Gelegenheit gleich eine fette Neurose zugelegt.

    (Und hier in den Kommentaren versteckt, sei es einmal gestanden: Ich war ein K***brocken mit 18. Ungalante Leute behaupten sogar gelegentlich Rückfälle.)

  8. So ein fin de siècle…

    … hat es nun einmal in sich; und wenn man da gerade 18 ist, dann umso mehr.

    Beethoven mit (durch etliche Lebensstürme) runderneuerten Ohren zu hören, war auch für mich erst unlängst eine berückende Erfahrung.

    Wobei ich auch kenne, daß mich etwas, das früher zu Tränen rührte, nicht nur ausgesprochen kalt läßt, sondern sogar abstößt. Rilke z. B. war mir früher in beinahe allen seinen Schaffensperioden lieb und nah. Heute lese ich ihn mit einem geschärften Bewußtsein, das viele seiner Manierismen einfach nicht mehr gelten lassen kann, jedoch umso bewegter von denjenigen seiner Werke ist, die wirklich in die Tiefe der Dinge reichen.

    Gesenkten Hauptes (wie früher meist) kann und mag ich mich allerdings der Kunst nicht mehr nähern. Vielmehr offenen Blickes, nicht mehr so leicht zu beeindrucken wie in der Jugend – aber immer noch gern verzaubert, geweckt, begeistert.

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