Siegerin

„Als Kind“, sagt Schwesterchen, „habe ich dich beneidet, bis ich bemerkt habe, dass du von deinen Erfolgen nichts hast.“ Ich widerspreche ein bißchen, meine Schwester lacht, hell, gurrend und wie ohne Häme, und ich sehe aus dem Fenster den Wolken zu, wie sie um den Alex wehen. Schwesterchen wechselt das Thema und spricht über eine Freundin, die so schrecklich zugenommen habe und nun aussähe wie eine Wurst, alles von Tabletten, den Arzt müsste man verklagen, das sei ja schlimmer als…. also, was die Freundin eben hatte, bevor der Arzt ihr das Katastrophenmedikament verschrieben habe. Das habe sie jetzt vergessen, aber wenn es schlimm gewesen wäre, dann wüsste sie es bestimmt noch.

Am Wochenende plane sie übrigens mit ihrem Freund einen kurzen Besuch bei unserer Mutter, die den Freund richtig ins Herz geschlossen habe. Ich denke einen Moment kurz an die Männer, die ich meiner Mutter irgendwann einmal vorgestellt habe, und die sie alle miteinander als nette, weichliche Versager betrachtete. „Modeste traut sich ja nicht an richtige Kerle.“, oder so ähnlich. „Weißt du,“, unterbricht Schwesterchen meine Überlegungen, „als Kind habe ich immer gedacht, ich müsste mehr leisten oder mehr wissen, aber dass es darauf nicht ankommt, das hat mir keiner gesagt.“ – Tja, denke ich. Darauf kommt es wohl wirklich nicht an. „Ich muss los.“, sage ich Schwesterchen nach einem Blick auf die Uhr. Und: „Süße, mach´s gut.“

Unbedingt wieder einmal treffen – ewig nicht gesehen – öfter mal anrufen. Ich hab´ dich auch lieb. Dann laufe ich los.

Mag sie recht haben, denke ich, die Schwedter Straße hinauf. So gut wie alles, was ich weiß oder kann, nützt mir beruflich nicht die Bohne, und erweist sich privat eher als störend. Selbst diejenigen Menschen, von denen man annehmen würde, sie unterhielten sich gern über das Spätwerk Gottfried Benns, die geliebten Bilder des Hieronymus Bosch oder mittelalterliche Gottesbeweise, ziehen es meiner mühsam erworbenen Erfahrung nach vor, sich von einer schönen, vergnügten Person auslachen zu lachen, die neckend und rein rhetorisch fragt: „Muss ich das jetzt wissen?“ – Im Berufsleben werden alle Kenntnisse, Fertigkeiten und Interessen, die nicht unmittelbar der Berufsausübung dienen, ja ohnehin eher mit Misstrauen beobachtet: Könnte, so fragen sich die Kollegen, das Fräulein Modeste vielleicht Zeit und Energie auf den Besuch öffentlicher Opernhäuser verschwenden, die doch von Rechts wegen der Firma zustünden? – Werde man älter, so spekulierte meine Freundin J. einmal, fände die Bevorzugung der Schönheit und guten Laune doch vermutlich ein natürliches Ende. Indes liegt der Denkfehler dieser Annahme natürlich in der Tatsache begründet, dass zu diesem Zeitpunkt dann eben nicht mehr gleichaltrige plappernde Schönheiten, sondern entsprechend jüngere die begehrten Pokale des Soziallebens nach Hause tragen werden.

Mag es sein, wie es ist. Schon im Mauerpark schwinden die schwarzen Gedanken, und schließlich sitze ich zu viert auf einem knallgrünen, fleckigen Sofa, trinke Bier und esse Chips und schaue mir hintereinander Kill Bill I und II nochmal auf DVD an.

Und fühle mich wohl als Zweitplazierte.

20 Gedanken zu „Siegerin

  1. Hab jetzt erst die Nachlese zum Schwester Thema bei ihnen erledigt und vermute folgernd: ein kontestäres Verhältnis gibt es wohl eher unter gleichgeschlechtlichen Geschwistern. Glaube auch, sowas aus der Ferne bei meinen Schwestern beobachtet zu haben. Ich hingegen, familiär nahezu allein unter Frauen, hab noch keine Sekunde über Platzierungen nachgedacht. Vielleicht doch kurz, als mir eine meiner zauberhaften Schwestern ihre Schwangerschaft gestand. Der Vorsprung im durch-Enkel-machen-bei Mama-einschleimen war nicht mehr aufzuholen. Vermutlich ist nicht mal mehr der dritte Platz drin, wenn’s so weitergeht.

  2. REPLY:

    Ja, da haben Sie wohl recht: Die Rollenverteilung zwischen andersgeschlechtlichen Geschwistern ist ja naturgemäß eine andere, da balgt man sich dann nicht um die selbe „gute“ Rolle im Familiengeflecht. Da sich bei zwei Kindern ja normalerweise jedes Elternteil „seinen“ Favoriten aussucht (ich bin, wie es sich für die Erstgeborene gehört, Papas Liebling), ist das innerfamiliär auch gar nicht so wild.

    Im Verhältnis zwischen Schwesterchen und mir spielt natürlich ein bißchen die direkte Konfrontation mit einem Frauentypus mit, den ich ansonsten ja selten um mich versammele, und der, so sieht es zumindest aus meiner schlechtgelaunten Außensicht aus, ein weitaus leichteres Leben vor die Füße gelegt bekommt, als dies bei mir der Fall ist. Da hadere ich dann weniger mit Schwesterchen, die ich wirklich von Herzen mag, als mit der Ungerechtigkeit der Welt, die ausgerechnet meine Vorzüge irgendwie nicht würdigen will. Wenn ich wider Erwarten doch jemals Kinder mein eigen nennen sollte, sollen die hübsch und doof sein, da hat man mehr von.

  3. Tja, so einfach ist es bei mir und meinen drei Brüdern (2 älter, 1 jünger) nicht zu sagen, wer sich wo auf dem Treppchen sieht. Meine pole position in Sachen IQ ist eigentlich relativ unumstritten, dafür trage ich vom social-security- und Karrierefaktor her definitiv die rote Laterne. Umso mehr grübelt nun tout la famille, wie ich auf meine alten Tage noch so ne super Frau klarmachen konnte, um ein weiteres Enkelchen zu produzieren, womit vor zwei Jahren nun wirklich niemand gerechnet hatte. Tatsache ist aber auch, dass ich mich eigentlich nie in direktem Wettbewerb mit meinen Brüdern gesehn habe. Wohingegen bei meinen älteren Brüdern eine ausgeprägte Rivalität vorhanden ist.

    Bei Schwestern ist es wohl weitaus komplizierter. Vielleicht habe ich es deshalb immer wieder mit Einzelkind-Frauen zu tun;-)

  4. REPLY:

    Bei Schwestern ist es wohl weitaus komplizierter. Vielleicht habe ich es deshalb immer wieder mit Einzelkind-Frauen zu tun.

    Nein, wahrscheinlich eher, weil Sie ein jüngeres Geschwisterkind sind. Sozialwissenschaftlichen Studien zufolge kommen Einzelkinder und Erstgeborene eher mit Leuten klar, die selbst ältere Geschwister haben (oder sogar die jüngsten sind), während die Kombination zwei Einzelkinder oder Erstgeborene als nicht so erfolgversprechend gelten.

    Im übrigen glaube ich auch nicht, dass es bei drei Schwestern komplizierter ist als bei drei oder vier Brüdern. Wirklich bedauert habe ich immer meine älteste Freundin, die hat eine jüngere Schwester und einen jüngeren Bruder. Und jetzt raten Sie mal, wer von beiden Eltern immer vorgezogen wurde… Es war widerlich (ihr Vater wollte sie nicht einmal Abitur machen lassen, da musste sie hart drum kämpfen – der Sohn bekam später zwei Studiengänge finanziert).

  5. Auf lange Sicht kann „hübsch und doof“ aber auch nicht glücklich machen. Doof kann man ja bleiben, aber (äußerliche) Schönheit vergeht. Und dann?

    Was die Platzierungen angeht:
    Bei uns war/ist das eher so, dass der (in meinem Fall „die“) Vernünftigere die vorderen Plätze belegt. Und da kann ich mich dann ohnehin hinten einreihen. Fühle mich dennoch gleichviel geliebt.
    Wobei meine Elternliebe sich auf „Hauptsache-ihr-vertragt-Euch“ reduziert.

    Essen. Trinken. Fröhlich (tun) sein.

  6. REPLY:

    Bei uns (ich habe zwei jüngere Brüder) hat es lange gedauert bis jeder sich mit seiner Position arrangiert hatte. Für jeden von uns wurde eine Rolle definiert, der jüngst ist der wissbegierige, intellektuelle, theoretisch und dabei unpraktisch. Der nächste ist handwerklich begabt, langsam aber immer gut gelaunt und ich soll „bitte schön“ ein Vorbild für beide sein, typisch große Schwester. Und dabei alles organisieren.
    Hätte ich mir eine Rolle aussuchen dürfen, sähe die anders aus. Das hätte auch meine Brüder gefreut, sie leiden unter der Konkurrenz mehr als ich.

  7. REPLY:

    Nee, bei uns gibt´s eine saubere Aufteilung: Papas Liebling, Mamas Liebling, oder auch: Die Kluge (das bin ich – gibt ja auch nicht besonders viel Auswahl) und die Schöne (meine Schwester). Innerfamiliär ist damit eigentlich alles in bester Butter, allerdings hat sich in der Außenwelt bedauerlicherweise erwiesen, dass meine Schwester wohl irgendwie besser weggekommen zu sein scheint. Aber wir werden das weiterhin aufmerksam beobachten.

  8. REPLY:

    Die Rollenzuschreibungen innerhalb von Familien helfen wohl bei der Abgrenzung, und verhindern so vielleicht den tagtäglichen Wettstreit. Auf der anderen Seite verhindern sie aber, dass man diejenigen Seiten an sich entwickelt, die schon die anderen „besetzt“ haben. Vielleicht geht das gar nicht anders, aber ich habe auch lange gebraucht, um mich unabhängig von familiären Rollenzuschreibungen zu definieren.

  9. REPLY:

    … dass meine Schwester wohl irgendwie besser weggekommen zu sein scheint.

    Frau Modeste, mit Verlaub, aber manchmal erzählen Sie einen ziemlichen Quatsch. Allein die Verehrer hier in Ihrem Blog… ach, was rede ich 😉

  10. REPLY:

    Allein die Verehrer hier in Ihrem Blog…

    Herr Kid, Sie sind ein kluger Mann, und wissen, wie wenig von den Schatten unserer selbst an den Wänden dieses (zur Schönfärberei ohnehin einladenden) Mediums real wäre, griffe man wirklich danach. Für die Filme im Kopf mancher Leser hat man das Drehbuch geschrieben, die Beleuchtung aber, das ist eine ganz andere Sache. Und dieser Effekt bleibt auch dann nicht aus, wenn man selber keineswegs bemüht ist, seine scharfen Kanten zu verstecken.

  11. REPLY:

    Dann werden die Vergnügten, die sich wohl fühlen in ihrer dekorativen Ignoranz, also vor dem Frühstück hinausgeworfen, und die anderen frühstücken sowieso allein?

  12. REPLY:
    Schatten und Spiegelbilder

    Ich glaube nicht, dass diese „Anbetung“ per Netz in den allermeisten Fällen auch nur ein erstes Treffen überstünde, bei dem Film und Wirklichkeit ja schon einmal heftig zusammenstoßen. In den allermeisten Fällen ist man allein schon deswegen nicht gemeint, weil in dem Film, der in diesem oder anderen Blogs läuft, ja wesentliche Teile der eigenen Persönlichkeit ganz einfach fehlen. Weil sie zu langweilig sind. Oder zu intim. Oder zu schmerzhaft, um sie aller Welt zu erzählen. Und weil die Lücken zwischen dem Erzählten vom Leser natürlich gefüllt werden mit Stoff aus seinem eigenen Kopf.

    Natürlich ist das in vielen Fällen nicht anders, wenn man jemanden in einer Bar kennengelernt hat. Aber anzunehmen, jemanden zu kennen, dessen Texten man liest, und sich in diese Person zu verlieben, ohne ihr gegenüber gestanden zu haben, halte ich für eine zweifelhafte Sache, die eigentlich nur schiefgehen kann. Aber klar, Ausnahmen gibt´s immer.

    Allerdings beruhen eine ganze Reihe der Beziehungen unter Bloggern, was man so hört, nicht auf Empfindungen, die per Lesen und Schreiben entstanden sind, sondern auf Zusammentreffen, die zwar ohne das jeweilige Blog wahrscheinlich nicht stattgefunden hätten, aber für die das jeweilige Blog eben nur der Anlass war, und nicht der eigentliche Gegenstand der Verliebtheit.

  13. Da möchte ich Ihnen, Frau Modeste, wohl zustimmen.
    Man verliebt sich in einen anderen Menschen und nicht
    in Dinge oder Texte.
    Texte mögen einem einen Zugang zu einem Bruchteil der
    Gedankenwelt des Schreibers gewähren, werden ihn aber
    sicher nie als ganzes erfassen.

    Da bleibt dann eben nur sich in Bus , Bar, Bahn kennenzulernen.

    Was doch aber immer im Bereich des möglichen liegt. 😉

    Jetzt hab ich gar nichts zu der Geschwisterproblematik gesagt.

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