Wer immer es ist, den ihr sucht

Null und eins, schwarz und weiß: Die Schatten auf der weißen Wand des Höhlentheaters blitzen auf, werfen grelle, scharfe Schatten und verschwinden wieder im Dunkel. Haben Sie den Schatten der gekrümmten Hand des Direktors gesehen, der das Theater betreibt? Was wissen Sie von der Frau, deren Silhouette durch den Mauerpark läuft? Weit sind die Maschen, in die Sie nicht schauen können, weil das Licht ausgeschaltet bleibt, und der Vorhang geschlossen.

Null und eins. In den Zwischenräumen mag alles passieren oder nichts. Verbirgt sich die blutige, lodernde Liebe hinter dem geschlossenen Vorhang, Krankheit, harte Arbeit, oder bloß ein grauer, trister Regentag, an dem die Lampe nicht brennen will? Strahlt der Lichtkegel auf eine Figurengruppe am äußeren Rand der Bühne, mögen an der Rampe Reden gehalten und Herzen gebrochen werden.

Nach der Aufführung fängt das Publikum an, mit den Figuren auf der Bühne weiterzuspielen. Das Licht mag verloschen sein, der Direktor nach Hause gegangen, aber die Vorstellung läuft weiter. Mit eigenen Geschichten, Wünschen, Bildern wird die Aufführung zu Ende gespielt, verschmolzen das eigene und fremde Stück. Die Realität aber ist ganz woanders.

Greifen Sie, kündigt der Direktor an, ruhig nach den Figuren. Sie werden nur Schatten in den Händen halten.

Ich bin es nicht.

33 Gedanken zu „Wer immer es ist, den ihr sucht

  1. Man nimmt, was man an o und 1 bekommen kann. Und das ist auch schon sehr schön.

    Und was den Schatten angeht: Eine der schönsten Szenen der Filmgeschichten ist in „Diva“, und die ganze, unendliche, unerfüllte Gechichte wird darin von einem Schatten an der Wand gespielt.

  2. Verehrte Frau Modeste, ich bin etwas sprachlos, aber ich wollte mich doch melden. Sehr Meta-. Wunderbar vieldeutig, genau wie das, was Sie, wie ich glaube, mit dem Text beschreiben. Aber das kann ich ja nicht wissen… Wer in der Literatur nach der Biographie des Autors sucht, blickt an der Literatur vorbei.

    Nur eins: Ist die Realität tatsächlich woanders? Oder ist sie überall und nirgends?

  3. REPLY:

    Realität ist, was hier steht, aber Realität ist auch, was hier nicht steht. Und zur zweiten Kategorie gehört viel, viel mehr, als die paar Minuten pro Tag, die ich hier erzähle. Dass dies von Zeit zu Zeit in Erinnerung gerufen werden muss, tut mir fast leid, das entspricht in keiner Weise meinen Absichten, die ich hier nur mich und eine Handvoll Leser amüsieren möchte, die Verwechslungen zwischen Modeste und der Frau, von der Modeste höchstens einen Ausschnitt abbildet, irritieren niemanden mehr als mich.

  4. REPLY:

    Vielleicht sehen wir alle nicht mehr als Schatten. Vielleicht sind einige Schatten schärfer konturiert als andere. Vielleicht ist die Blogosphäre ein Ort, an dem die Schatten schön, aber unscharf sind.

    Wahrscheinlich macht das einen guten Teil des Reizes aus.

  5. REPLY:

    Tja. Willkommen in der Blogwirklichkeit. Das Medium from which dreams are woven.

    (Haben Sie auch schon die Exegeten, die überall hingebröckelte Hinweise und spezielle Botschaften an sie persönlich zu „entdecken“ meinen?)

  6. REPLY:

    Frau Modeste, kriegen Sie viel fetischistische Fanpost (Leser verliebt, etc)? Weil, dieser Eintrag- Ihre „Blogperson“ als anders-wirklich zu dissimulieren liest sich als gelungene Distanzierungsgeste. Fuer den evtl. Fetischisten aber nicht Klartext genug, weil Meta-ebene da nicht funktioniert. Ein Weg, diese abzulenken waere ueber Merchandising. Wirklich. 🙂
    „Modeste signs T-Shirts in NEUSS! Meet your fav blogger NOW!“
    Wenn ich naechstes Jahr wieder mal durch Ihren Kiez schlender werd ich jeden Tag das T-Shirt tragen und hoffen, dass Sie mich damit mal erblicken…

  7. REPLY:
    Eine großartige Idee

    Von den Lizenzgebühren kaufe ich mir dann ein Jahrestortenabonnement: Jeden zweiten Tag ein Törtchen frei Haus. Das wird ein Leben.

    Nein, ganz im Ernst, wer wird denn die Schatten und Traumbilder so für bare Münze nehmen, und sein Herz an etwas hängen, von dem man doch weiß, dass es nur ein Fragment sein kann. Es erträumt sich doch auch keiner eine Romanze mit der Besitzerin der schönen Hände aus der Pril-Werbung, und ist beleidigt, wenn selbige ein persönliches Treffen ablehnt, oder es bei einem höflichen Händeschütteln belässt.

    Das zweckfreie, lustige Spiel mit Null und Eins verliert stark an Reiz, wenn das Vergnügen am Spiel von den Lesern nicht geteilt wird, nicht die amüsante Geschichte oder die Freude an der sprachlichen Formung gesucht wird. Dass die Verwechlung des Fragments einer Person mit der Person in ihrer Gesamtheit eigentlich ein Problem der Verwechsler darstellt, ist die eine Sache, die andere Sache ist, dass es das weitere Schreiben manchmal belastet, und man manche Dinge schlichtweg nicht mehr schreibt. Ein weiteres Negativum ist, dass der an sich meist wirklich nette Kontakt zu anderen Mitgliedern der Blogosphäre durch derlei Dinge manchmal ein wenig überschattet wird.

    Die Empfänger geheimer Botschaften fehlen mir gerade noch. Dann mache ich hier dicht. Dann macht es keinen Spaß mehr.

  8. Frau Modeste

    Ich suche Sie nicht, ich finde Sie einfach – klasse. Auch wenn Ihre Texte mich als Karohemdentraeger manchmal etwas fordern 😉 , ich moechte sie nicht missen. Auch wenn Sie hier nur Schattenspiele einer Persoenlichkeit veranstalten, die im realen Leben sicherlich andere in den Schatten stellt – machen Sie bitte weiter. Ich geniesse das Licht, das Ihre Geschichten verbreiten.

  9. REPLY:

    Herr Gheist,sagen Sie bloß, Sie waren noch nie im Café. Gehen Sie hin, es wird Ihnen dort sicherlich gefallen. Wenn Sie dem Inhaber ein totes Tier oder ein Bild eines ringelbestrumpften Frauenbeins mitbringen, bekommen Sie auch etwas zu trinken.

    Hat man denn Miss Tillys Hände überhaupt in der Werbung zu sehen bekommen? In dem Zeugs haben doch immer nur die anderen Damen ihre Finger gebadet.

  10. REPLY:
    Wenn ich mich recht erinnere,

    hat sich Tilly die Hände der anderen Damen gekrallt und sie in ein Schälchen getunkt mit den Worten „Sie baden grade Ihre Hände drin.“ Meine kindliche Phantasie haben die Afri-Cola-Nonnen indes wesentlich mehr angeheizt als Miss Tilly. Aber den Slogan „alles ist in Afri-Cola“ fand ich mit Blick auf ein braunes Getränk nicht wirklich verheißend…

  11. REPLY:

    Nun, da ich Miss Tilly noch mal gesehen habe, überlege ich, ob ich nicht vielmehr in eine ihrer Klientinnen verliebt war als Kind. Es hatte jedenfalls mit Händen zu tun.

  12. REPLY:

    Sie haben ja Kindheitserinnerungen, alle miteinander….ojeoje, ich erinnere mich weder an Afri-Cola-Nonnen noch an Miss Tilly, und frage mich, ob der fernsehfreie Haushalt meiner Eltern für die abweichende Natur meiner Jugenderinnerungen verantwortlich zu machen ist, oder nicht doch ein kleiner Altersunterschied. Dass Herr Kid einmal Miss Tilly verfallen war, kann ich aber nicht ernsthaft glauben, Sie wären ein sehr merkwürdiges Kind gewesen.

  13. REPLY:

    @kid: So wie ich Miss Tilly in Erinnerung habe, scheint es mir auch eher unwahrscheinlich, dass Sie in sie verliebt gewesen sein könnten. Und dabei denke ich jetzt gar nicht ans ungeringelte Beinkleid. Meine erste Fernsehliebe (hm, an die blonde Paula aus „Daktari“ kann ich mich nur noch undeutlich erinnern) war wohl Diana Rigg als Karate-Emma in „Mit Schirm, Charme und Melone“…

    @modeste: Vermutlich beides – TV-abstinente Kindheit u n d Altersunterschied. Denn die Afri-Cola-Nonnen hab ich noch als Printanzeigenmotiv vor dem inneren Auge, nicht als Werbespot. Meine Frau ist ja auch paar Jährchen jünger und in einem fernsehlosen Haushalt aufgewachsen, und es setzt mich immer wieder ins Erstaunen, welche Wissenslücken das offenließ. Und damit meine ich nicht nur Spielfilm-, Serien- und Werbespot-Kompetenz, sondern das alles, was man auch aus „Tagesschau“ und „Auslandsjournal“ an innen- und weltpolitischen Info-Bits rausgesaugt hat. Die konnte sie sich natürlich später auf anderen Wegen nachbesorgen und für nen Magister in Politik hats auch so gereicht. Aber die Mühelosigkeit, mit der ich zeitgeschichtliche Ereignisse wie etwa die islamische Revolution im Iran, Russen-Einmarsch in Afghanistan, die Anfänge der Solidarnosc in Polen und all das verorten und rekapitulieren kann, geht ihr völlig ab. Aber dafür gibts ja auf BR-Alpha die „Tagesschau“ von vor 25 Jahren – ein lehrreiche Sache für alle, die damals keinen Fernseher hatten. Und ein steter Quell von dejà-vus für alle anderen…

  14. REPLY:

    Ich habe bis heute keinen Fernseher und habe ein solches Gerät auch noch nie vermisst, aber Sie haben natürlich recht, das eine oder andere zeitgeschichtliche Ereignis fehlt da vermutlich schon. Allerdings ist meine Familie ja ziemlich papieraffin (Zeitungen!), was mir fehlt, sind wohl weniger die Ereignisse an sich als deren Bebilderung.

  15. REPLY:

    Tja, Herr ? Gheist, Sie finden mich tief erschüttert. Ich hatte wirklich nicht im Traum gedacht, dass irgendein Mensch vor mir dazu was gebloggt haben könnte. Den Link haben Sie nicht zufällig parat, damit ich einen Trackback setzen kann?

  16. REPLY:
    Ups,

    den hab ich übersehen, sorry. Text sah so unverfänglich aus – und faul wie ich bin rutsch ich nicht permanent mit dem Mauszeiger die Textzeilen entlang.

    Die barmherzigen Schwestern von der Koffeinbrause sind ja noch viel lasziver als ich sie in Erinnerung hatte. Da sag ich doch: Danke für die Erfrischung!

  17. REPLY:

    Wir bringen hier ja völlig Frau Modestes Theam durcheinander. Obwohl, Fernsehlieben sind natürlich auch nur virtuelle Schatten. Paula, oh ja. Wenn ich nicht gerade in den Affen… nein, also Paula auf jeden Fall.

    Die Afri-Cola-Nonnen habe ich als Kind gerne gesehen. Aber trotz allem Angedeuteten und Nackten (heute würde das ja sofort verboten, es könnten ja Kinder zusehen!), war ich zu sehr von den wirren Bildern und dem Stakkato-Text abgelenkt. Was da alles drin war in dieser Cola!

    Der erste nackte Busen kam, wenn ich mich recht entsinne, in der Fa-Werbung vor. Die habe ich immer bis zum Ende geguckt.

    Ich glaube, heute bin ich aber normal. Bis auf die Nonnen, da habe ich noch was nachzuholen.

  18. REPLY:

    O mein Gott. Ich kann mich noch an die Fa-Werbemelodie erinnern! Sowas ist wohl unauslöschbar. Neulich sah ich einen Beitrag im Dritten über die Ausmusterung des Zerstörers „Lütjens“ (btw.: die alte Dame war mein Baujahr!), bei der ein Lied gespielt wurde, das ich als Kleinkind immer geliebt habe (James Last, „Morgens um sieben ist die Welt noch in Ordnung“), das peinlicherweise heute noch bei mir Endorphinstürme im Kopf auslöst.

    Reizvoll wäre es übrigens, einmal den kompletten Soundtrack von „Väter der Klamotte“, dem in den 70ern ausgestrahlten legendären Vorabend-Slapstick, in die Finger zu bekommen.

  19. REPLY:
    Sie meinen

    diese spezielle Mischung aus Klaviergeklimper und komischen Geräuschen (Gong, Kuckuckspfeife etc.), die so ähnlich auch beim Nachfolger-Format „Männer ohne Nerven“ unterlegt war? Wenn ich schon allein dieses „Kuck-kuck“ höre, könnte ich mich wegschmeißen vor Lachen.

    Fa („die wilde Frische“?) hab ich komischerwise nicht mehr so im Präsenz-Speicher. Mir ist eher eine unbekleidete Dame in einer Glas- oder Acryl-Badewanne in Erinnerung geblieben, die sich in gelber (oder hellgrüner) Schaumbad-Brühe aalte. Die Wanne stand auf der Spitze einer Wanderdüne in der Wüste. Von der Seite waren da weder sekundäre noch primäre Merkmale zu erahnen – aber das Wissen, dass die da nackt drin war, genügte ja damals schon.

    Aber Herr Kid hat recht – wir driften etwas arg weit ab vom Ursprungsbeitrag…

  20. REPLY:
    Ohrwurm

    Der junge Che auf dem Weg zum Zivildienst hörte
    im Autoradio immer „Möbel Unger, Möbel Günter, lalalalla“,
    das ging so in den Kopf, dass ich es beim Krankentransport weiterdudelte.

  21. REPLY:

    Ich bin ebenfalls weitgehend fernsehlos aufgewachsen (einen Fernsehapparat gab es erst, als ich sechs war, Tageszeitung dann erst mit 18), soll heißen, wir durften nur selten schauen, aber an die Badewanne in der Wüste erinnere ich mich auch. Die Strahler-Küsse, die besser schmecken, haben aber einen noch bleibenderen Eindruck hinterlassen. Da wurden immer nur die Goldmedaillen-Gewinner gern und mehrmals geküsst.

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