Das Glück des Osama bin Laden

„Manchmal, Verehrtester,“, sage ich also zum geschätzten ehemaligen Gefährten, „manchmal wäre ich schon gern jemand anders.“ „Das sind ja wieder Geschichten.“, seufzt der J. in sein Glas und steckt sich eine meiner Zigaretten mit meinem Feuerzeug an. „Aber wirklich!“, beteuere ich. „Kate Moss zum Beispiel. Einmal so aussehen und so cool sein dazu. Ein ganz anderes Leben wäre das, wenn ich so aussehen würde.“ – „Dann würdest du eben 15 Kilo leichter irgendwo in einer Bar sitzen.“, unterbricht der J. meine Ausführungen über Madame Moss, und die Vision eines Lebens als legendäre Schönheit löst sich in dem Rauch unserer Zigaretten auf, dessen weiße Schlieren sich im Glastisch spiegeln.

„Wirklich reich wäre ich manchmal auch ganz gern.“, sinniere ich weiter. „So Bill-Gates-artig. Ich würde mir noch heute Nacht einen alten Bugatti kaufen und außerdem Raubgräber anstiften, mir einen Etruskerkopf zu besorgen. Und ich würde dem Land Berlin seine Watteaus abkaufen, die sind so unglaublich abgebrannt, und von Kunst verstehen’s ohnehin nichts.“ – Mit einem Ausdruck stummer Verzweiflung über das Ausmaß menschlicher Dummheit in meinem ganz speziellen Fall schaut der geschätzte ehemalige Gefährte einmal demonstrativ an die Decke der Bar, an der eine satellitenförmige Lampe ihr blitzendes Dasein führt.

„Hast recht.“, lenke ich ein. „Das bringt ja alles nichts. Hat man ja nichts von. Was großartig wäre, wäre vielleicht etwas anderes, eher so metaphysischer Natur. So eine Art inneren Plan. Das Gefühl, genau zu wissen, was die Welt zusammenhält, und einen sinnvollen Platz in dem ganzen Gefüge. Papst zum Beispiel. Papst wäre cool. Meinst du, der Ratzinger ist ein glücklicher Mensch?“ – Um nichts in der Welt, versichert der katholischen Umtrieben völlig abholde schönste Niedersachse Berlins, wolle er Papst sein, und auch mir sei ein solches Dasein eher nicht zu empfehlen. „Außerdem“, spielt der J. einen wirklich stichhaltigen Trumpf aus, sei beim aktuellen Heiligen Vater nun weder von gutem Aussehen noch von exorbitantem persönlichem Reichtum die Rede. Mit einem Bugatti durch Rom zu rasen, verbiete sich aus verschiedenen Gründen, die mit der Ehre des Amtes zu tun haben, eigentlich sogar von selbst. Überdies sei es auf Erden nun einmal so, dass göttliche Gerechtigkeit oder auch der bloße Zufall jedem Erdenbürger nur maximal eine ganz bestimmte Gabe zukommen lasse, so sei Kate Moss vermutlich ebenso orientierungslos wie ich bezüglich ihrer Rolle im Universalgefüge, der Papst schlafe jede Nacht allein, und Bill Gates sei für sein mieses Aussehen ja geradezu weltberühmt.

„Muss nicht so sein.“, wende ich ein und trinke mein Glas aus. „Gegenbeispiel?“, zuckt der J. mit den Schultern und zündet sich eine weitere meiner Zigaretten an. „Osama bin Laden.“, triumphiere ich, und der geschätzte ehemalige Gefährte stellt sein angesetztes Glas wieder auf den Tisch.

„Berühmt ist er, reich ist er, und wenn man sich den komischen Bart mal wegdenkt, sieht er sogar gut aus.“, führe ich aus. „Und wenn irgendwer auf Erden an seine göttliche Sendung glaubt, dann vermutlich bin Laden. Außerdem ist er erfolgreich.“ – „Erfolgreich?“, echot der J. – „Was soll man sagen“, fahre ich fort. „Das World Trade Center ist weg, oder?“

„Das hört sich ein bißchen blöd an,“, sinniert mein Exfreund, „aber bin Laden – wie soll man sagen… das ist doch kein anständiger Mensch.“ – „Vielleicht ist der privat ganz nett?“, spekuliere ich. „Und dann wäre ich der Exfreund von Osama bin Laden? Das wird mir jetzt alles ein bißchen zu wahnsinnig.“, beendet der J. das Gespräch, und wir stehen auf, um an der Theke zu zahlen.

Was wohl, denke ich auf dem Weg die Schwedter Straße aufwärts, Osama bin Laden in diesem Moment macht? Und ob er, ab und zu und sehr heimlich, auch einmal gern jemand anders wäre?

Zum Beispiel Kate Moss?

9 Gedanken zu „Das Glück des Osama bin Laden

  1. Das, verehrteste Modeste, ist brilliant! Es gibt sogar einen Beleg dafür,
    dass der privat ganz nett ist, na ja, das ist allerdings ein Interview mit
    Gulbuddin Hekmatyar, der Osama wörtlich als „guten Kumpel“ bezeichnet,
    aber selber ein exorbitanter Menschenschlächter war. Bugatti und so ist
    kein Thema, das ist schließlich die sog. Gucci-Guerrilla (schrieb ich ja kürzlich was zu),
    aber getreu dem Highlander-Motto „das viele Töten muss ihn wahnsinnig
    gemacht haben“ bezweifle ich, dass solche Leuten sowas wie Seelenfrieden haben.
    Vielleicht träumt er ja wirklich davon, in einer Berliner Bar Cocktails zu schlürfen.
    Vielleicht ist es besser, der Aga Khan zu sein? Der ist offizielles Oberhaupt einer Religion,
    ebenfalls schwerstreich, bekannt als Frauenheld, größter Sammler schöner und edler
    Pferde weltweit und steht offiziell auf der Seite des Guten, finanziert humanitäre Projekte
    usw. A´propos Khan: Bloody Mary, Iwan der Schreckliche, Erik Blutaxt, diese Herrschergestalten
    werden namenstechnisch getoppt durch Kara Nogai Khan, dessen Name soviel bedeutet wie
    „Der Schwarze Höllenhund“, obwohl der lediglich im Tatarischen Bruderkrieg mittelprächtig
    herumgesäbelt hat. Ich schweife ab – was ist, wenn Osama längst tot ist und die Videos von irgend
    einem tadschikischen Ziegenhirten gedoubelt werden, der von Zarkawi bezahlt wird?
    Selbst wenn er noch lebt, er soll ein furchtbares Nierenleiden haben. Macht so etwas ev. bösartig?
    Und wie hält er es damit, dass seine Schwester Aktmodell in New York ist? Rätsel, die sich vielleicht nie
    klären lassen….

  2. REPLY:
    Klasse, Frau Modeste!

    Standing Ovations! Ich sinnierte gerade darüber nach, ob man
    nicht selbst Al Kaida satirisch/ironisch abhandeln könnte, und
    dann dieser Fund! Super!

    @che: Der Mann, der Bin Laden einen prima Kumpel nannte,
    hielt es wohl für einen gelungenen Tag, als er Kabul in Schutt und
    Asche gelegt hatte. So hat halt jeder seine Vorlieben, der Eine erfreut
    sich an prächtigem Sylvesterfeuerwerk, der Andere schießt lieber
    Mauern ein oder bringt Bürotürme zum Einsturz, der Eine joggt,
    der Andere radelt, der dritte cruist in seiner Harley, der vierte liebt lange
    Ausfahrten in seinem Panzer…..

  3. Also, wenn ich unschuldig

    zum Tode verurteilt in einer kalifornischen Hinrichtungszelle auf die Vollstreckung warten würde und man gäbe mir die Wahl zu einem letzten Wunsch.
    Diese läge zwischen einem Gespräch mit Schwarzenegger, Bush oder Osama, dann würde ich Osama wählen. Ehe ich den beiden ersten die Gelegenheit böte, in einem grandiosen allerersten Gnadenakt ihrer politischen Karriere die öffentliche Meinung wieder auf ihre Seite zu bekommen, sterbe ich lieber. Sie richten mir zuviel Unheil an, grins.
    Osama könnte mir seine Ansicht über die Zukunft der Welt in einem tiefsinnigen philosophischen Gespräch erklären, das traue ich ihm schon zu, selbst, dass er deutsch spricht.
    Obwohl, auf meine Gegenargumente würde er nicht hören…
    Na, vielleicht bekäme ich aber auch eine letzte Nacht mit der Frau meiner Wahl… es wäre nicht diese Kate, smile.
    Ach, ich führ das nicht weiter aus und bleibe in Berlin. Und bleib ich selbst übrigens, ich möchte kein anderer sein, nicht mehr, dazu bin ich schön alt geworden, ohne in ein amerikanisches Gefängnis gelangt zu sein…möge es so bleiben bis zum Ende.

  4. Wenn Osama Bin Laden Kate Moss wäre, dann könnte ich nicht mehr ruhig schlafen, weil dann könnte Heike Makatsch nämlich auch Kim Jong II sein und wenn ich wieder mal aus Versehen in der Schwedter fast mit ihr zusammen stoße, wirft sie vielleicht die Atombombe auf den Nordstrand. Ich will so bleiben wie ich bin. Du darfst. Danke.

  5. REPLY:

    Also Osama Bin Laden ?= Kate Moss leuchtet ein, aber Heike Makatsch gleich Kim Jong Il? Verstehe ich nicht, das muß man mir erklären.
    Aber halten Sie mich bitte in dieser Angelegenheit au courant, da ich als Bewohner der Vorderen Transkonnopkei natürlich Gefahr laufe, mitgenuked zu werden!

  6. Mit meiner Umgebung, Herr Lehe, bin ich alles in allem schon eher nachsichtig, wäre einer Verabredung mit Herrn bin Laden allerdings durchaus eher abgeneigt. Ich stelle ihn mir wirklich sehr humorlos vor, aber wer weiß. Dass seine Freunde ihn als „guten Kumpel“ bezeichnen, Herr Che, erstaunt natürlich eher nicht so sehr. Wer sonst, wenn nicht die.

    Dass der Bereich der wirklich ernsthaften Dinge auf Erden, Herr Workingclasshero, nicht so besonders groß ist, mutmaße ich ja schon lange und vermute überdies, dass es sich eigentlich überhaupt ausschließlich über diese Dinge zu amüsieren lohnt. Die etwas zurückhaltende Kommentartätigkeit meiner verehrten Leser lässt mich allerdings vermuten, dass dies nicht alle Menschen so sehen.

    Und vor die von Ihnen, Herr Mukono, ausgeführte Wahl möchte ich gleichfalls nie im Leben gestellt werden. Hey, Frau Modeste, was hätten Sie gern – Mumps, Masern oder Windpocken…Nein, besser nicht. Da bleibe auch ich lieber in Berlin.

    Sie, Herr Burnston, bleiben natürlich genau der, der Sie sind. Und Heike Makatsch ist auf keinen Fall eine Zweit- oder Wunschverkörperung Kim Jong Ils, sondern nach hierseits sicheren Erkenntnissen identisch mit dem ehemaligen Postminister Wolfgang Bötsch, wenn Sie sich an ihn erinnern.

    Was die Verständnislücken des Herrn Booldog angeht, schlage ich einfach vor, dass Sie sich bezüglich dieser vielfältigen und zugegebenermaßen verwickelten Verhältnisse an Herrn Burnston direkt wenden, der Ihnen bei der Lesung am Sonntag dies alles ausführlich auseinandersetzen wird, wenn er dazu Lust hat.

  7. REPLY:

    Hinsichtlich der zurückhaltenden Kommentartätigkeit denke ich doch,
    dass es genügt, wenn wir in kleiner Runde lachen können. Niemand
    wird gezwungen, etwas mögen zu müssen.

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