Aber eines Morgens werde ich erwachen, und die Wände meiner Wohnung werden voller Leichenflecken sein, und von den Decken fällt der Stuck wie die mürben, gelben Zähne der Toten aus faulendem Fleisch. Vorbei wird es sein mit den guten Jahren in Berlin, und mein Schlaf wird unruhig und fahrig und ausgeschlagen sein mit dem Lärm rollender Räder. Durchsichtig werden dann die Silhouetten derer, die ich liebe, und der Himmel über der Stadt wird immer trüber werden, geschwollen erst, und dann nekrotisch von den Rändern her.
„Schön war’s hier.“, wird sich mein Berliner Leben beschweren, wenn ich die Sachen in die Kisten packe. „Du hast es doch einmal gut hier gehabt.“, füstert mein Berliner Selbst mir in die Ohren. „Erinnere dich“, beschwört mich mein Berliner Leben, „an die leuchtenden Nächte in Mitte, den gläsernen Glanz eines Morgens am Kleinen Wannsee, die warmen Abende in den Küchen der Freunde!“, und hält mich mit entfleischter Hand noch fest am Ärmel, damit ich wieder auspacke und noch ein Jahr bleibe oder zwei. „Wenn du jetzt gehst, wirst du niemals ankommen.“, wird sich mein altes Ich mir in den Weg stellen und mich anschauen mit seinen starren Augen, und ich werde es, sanft erst und dann erst kräftig, an den Schultern packen und beiseite schieben. „Du bist doch längst gestorben.“, schreie ich mich an und trete dieses Leben in die Dielenbretter vor meinem Bett. „Bleib doch einmal bei dir.“, brüllt mein verwestes Ich, und ich schlage ein mit meinen Fäusten auf all die Jahre, steche mich nieder, renne die Treppe herab in ein neues, reineres Leben und schieße mein Berliner Selbst mitten ins Gesicht, damit es liegenbleibt. Vorbei und vergangen.
Vielleicht schreibe ich noch ein paar Postkarten an die verblassenden Freunde. Vielleicht kommt noch ein Weihnachtsgruß von mir, vielleicht noch der eine oder andere Anruf, bis dieses Leben ganz vergessen, und ein neues Leben woanders so fleckig und faltig sein wird wie dieses hier an irgendeinem Tag.
solvitur ambulando
Dann also mal Auf Auf, meine Dame. Die Fremde ist der einzige Ort an dem es sich trefflich leben lässt, und am besten man versteht kaum die Sprache. Man wird zeitweise seine millionenjahrealten Gestelle los und kann frei händig gehen. Das gelingt heutzutage den wenigsten, vor allem in großen Städten zerfressen die angstmotivierten Zukunftsanker und die Eitelkeiten jegliche Anflüge von Freiheit…
Auf Auf!
Es soll ja auch diese friedlichen Tode geben, die einen nach erfülltem Dasein in beinahe ruhiger Erwartung ereilen.
ich habe vor fast 6 jahren berlin verlassen, um erwachsen zu werden. es schien so schlüssig, berlins ewiges jugendmoratorium war nicht hilfreich, also würde es der sprung nach westdeutschland, wo die welt noch in ordnung ist, retten. klappte auch nicht. erst, als ich akzeptierte, dass mein leben ein spagat wäre und ich eine zweitwohnung in berlin nahm, um wenigstens ein kleines bißchen zurück zu sein, gelang mir das erwachsenwerden im exil.
das ist ja mal eine üble mordgeschichte. und so sinnlos. 😉
Das Reizvolle am Umziehen ist ja ohnehin, Herr Moravagine, das Verschwinden selber, die Wiedergeburt durch Otswechsel. Und zum letztenmal bin ich sicher nicht umgezogen, aber derzeit ebt es sich gut hier, vielleicht gerade weil man weiß, dass man morgen auch woanders sein könnte. Ob der Umzug nach ruhiger Planung oder in überstürzter Hast vollzogen würde, Frau Novesia, dass weiß man natürlich nicht, das weiß man erst, wenn der neue Mietvertrag unterschrieben und die Kisten gepackt sind. Und vielleicht weiß man es erst jahre späer. Wie auch immer.
Mit dem Erwachsenwerden, Frau Meike, wäre es aber anderswo, denke ich, auch nicht viel leichter. Ist ein individuelles Problem.
…und sinnlos, Frau Engl, ist doch fast alles, ein Umzug vielleicht noch weniger als fast alles andere.
Ganz blöde Frage
Warum gehen Sie denn eigentlich von Berlin weg, wenn es für Sie so offensichtlich schrecklich ist, das Weggehen.
Sie werden doch nicht etwas verschleppt?
Soll ich die Polzei rufen?
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Rufen Sie doch dann auch gleich die Maler wegen den Leichenflecken.
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Die Anwesenheit ist doch nur erträglich, weil man jeden Tag verschwinden kann. Gegenwärtig ist es aber noch großartig hier. Und wenn ich verschwinde, werde ich selbstverständlich sanieren, allerdings stellt sich die Frage, ob die Wohnung wirklich besser aussieht, wenn ich höchstpersönlich gestrichen habe.
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keinesfalls renovieren! fleischfarben ist das neue lachs. und dekubiteuse das neue chartreuse!
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Das fast alles sinnlos ist würde ich entschieden bestreiten. Und vielleicht
wäre es mit Berlin so zu halten, gemäß dem geflügelten Wort immer noch
einen Koffer in der Stadt zu haben, wohin einen der Wind auch sonst verschlägt.
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Ich habe Sinn und Substanz selten in anderen Umständen gefunden, als in den Dingen der sichtbaren Welt, der sinnlichen Erfahrungen: Ein Abend am Meer, eine Frucht, ein Duft, der sentimental macht. Ein Musikstück. Hinter den Dingen verbrigt sich meiner Erfahrung nach nicht eine Idee, kein Zweck noch Sinn, sondern nur das pure Nichts.
Doch gibt die Welt uns statt des Du nur Dinge, heißt es irgendwo, aber den melancholischen Einschlag dieser Sentenz vermag ich nicht zu teilen. Es hat ja nicht nur zu reichen, es reicht ja.
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Da haben Sie, mein verehrter Herr Glamour, natürlich ganz außerordentlich recht, und die modische Welt täte gut daran, Ihren so ausgewogenen wie ästhetischen Rat endlich zu befolgen.
wohin man auch geht
man nimmt bekanntlich sich selbst mit. Ich möchte allerdings eines Tages in afrikanischer Erde begraben werden. Irgendwie, grins, sagt mit mein Gefühl, das hat mehr Zukunftsaussichten. Befindet sich doch dort auch die Wiege der Menschheit.
Mukono