Die toten Augen des Kühlschranks

Ah, Madame, Monsieur – Sie können sich glücklich schätzen: In Ihrer Wohnung schnurrt ein zur Kühlung von Lebensmitteln bestimmtes Gerät, eine Tiefkühltruhe sogar konserviert Speisen, die Sie später vielleicht einmal verzehren werden, Gelegenheiten zur zukünftigen Nahrungsaufnahme, die Sie nicht stehen lassen konnten im Geschäft oder an den Ständen des Wochenmarktes erworben haben, wo Sie, wie auch ich, wöchentlich fast mit der Tasche fest in der Hand sich zwischen den Verkaufgelegenheiten hindurchdrängen, um hier eine Handvoll Trauben, dort ein Törtchen von Lautz, eine Seezunge, eine Entenbrust, oder ein besonders wohlschmeckendes Öl, wie es die Verkäufer zungenfertig anpreisen, erwerben, nur um zu Hause feststellen zu müssen, dass Ihre Käufe das Ausmaß dessen, was Sie auch tatsächlich in sich aufzunehmen imstande sind, sogar unter Einbeziehung aller Menschen, die Sie kennen, und bei sich zu sehen und zu bewirten wünschen, übersteigt.

Ich aber, ich Arme, misera me, wie es mir lateinisch dem Sprachklange nach richtig scheint, auch wenn die Grammatik ganz streng gennommen etwas anderes vorschreibt, so ich mich recht erinnere des lang vergangenen Unterrichts, ich Arme jedenfalls stehe seit letzter Woche ohne künstlich fein verfertigte Kühlgelegenheit da, und nur mein Balkon sorgt für die Frische der Speisen, die ich bei den zugegeben seltenen Aufenthalten daheim verzehre, und die Sonne, sonst ein so beliebter Himmelskörper, wird von mir zunehmend sorgenvoll betrachtet, ob es nicht gar zu warm werde, und die Speisen verderben.

Von der Hand in den Mund, heißt es nun also, vom Geschäft in den Topf, und nachdem noch im Laufe des Sonntag diejenigen Gerichte, um die es am ehesten schade gewesen wäre, ein ganzer Hummer gar, Geschenk eines ausgezogenen, wenn auch wiederkehrenden Nachbarn, mussten nächtlicherweise verspeist werden, und die Freunde des Hauses eilig herbeigerufen am Montag das Werk zu vollenden gehalten waren an einer Wildschweinkeule, der ungeschlachten, gehe ich nun zu Bett, bar der Milch, entbehrend der gelblich-duftenden, bald zerfließenden Butter, und lese ein bißchen im Doderer, welchen ich letzthin nicht erstanden, so doch geschenkt erhalten habe, und der mich, verehrtes Publikum, wenn man denn Sie als huschende, gleichsam nur vorbeifliegende Passanten mit derlei Attributen zu belegen die Ehre haben darf, höchstlichst erheitert, um nicht zu sagen: Ganz und gar durchtränkt.

3 Gedanken zu „Die toten Augen des Kühlschranks

  1. So Sie,

    verehrte Frau M., ueber brauchbare Nachbarn verfuegen, koennten Sie auch versuchen, dort um Kuehl-Asyl nachzusuchen.

    So wie meine geschaetzte Nachbarin, deren bescheidene Gefriergelegenheit dereinst das Zeitliche segnete. Telefonisch fragte sie hoeflich und freundlich, ob nicht in meinem Gefrierfach auch noch ein Plaetzchen fuer das eine oder andere Minzblaettchen und vereinzelte Erbsen waere, natuerlich nur voruebergehend. Selbstverstaendlich, sagte ich hilfsbereit.

    Sie ahnen es sicher schon: einerseits stand besagte Nachbarin umgehend mit – gefuehlt – einem Kubikmeter Gefriergut in meiner Kueche, das saemtlichen vorhandenen Inhalt des Gefrierfachs unter Hinweis auf die Notlage einfach verdraengte, und andererseits kann man natuerlich unter 6 Wochen keinen Ersatz auftreiben… Meine Drohung, damit zu beginnen, auf den Balkon auszuweisen, zog damals leider nicht. Es war Dezember und Winter fand noch statt.

  2. REPLY:

    An sich bin ich ja eine große Anhägerin der Erderwärmung, aber gerade, Dornalkul, sehe ich das naturgemäß etwas anders. Der Mensch ist ja stets nur ein Spielball seiner Interessen, die er erst hat, damit sie dann ganz und gar von ihm Besitz ergreifen – ungefähr so, wie wenn der eigene Hund auf einmal mit der Leine ankäme, einen anzuketten. Das hätte man naturgemäß nicht gern, und Hemmungen sprechen auch gegen die Versklavung der nachbarlichen Kühlschränke, zumal, Beh, die Lieblingsnachbarn inzwischen alle das Weite, bzw. das nahe, aber andere Wohndomizil gesucht und gefunden haben.

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