Komische Oper, 23.11.2008
Es ist anzunehmen, dass es in Kreisen, denen die Herstellung von Kultur obliegt, einen Komment gibt, nach welchem es besser ist, Erwartungen zu enttäuschen als zu bedienen. Zielvorgabe der Bühnenkunst etwa soll es danach sein, dass der Besucher einer Vorstellung das Gegenteil von dem sieht, was er in der Vorstellung des Kulturschaffenden zu sehen angenommen hat. Wartet der zu irritierende Besucher mutmaßlich auf ein Boudoir, so ist die Bühne am besten so gut wie leer, und nur ein paar große Bühnenelemente aus Metall werden hin und hergeschoben. Rechnet der Besucher mit einer opulenten Ausstattung, so sollten alle Protagonisten am besten scheußliche Kleidung tragen, die gerade bei Personen, welche laut der inszenierten Handlung der Oberschicht angehören, so billig wie möglich aussehen sollte.
Wenn bedingt durch Musik, die die ganze Zeit spielt, mit einem ebenfalls vorgegebenen Gesang schon wenig Möglichkeiten für ernsthafte Veränderungen der Bühnenhandlung bestehen, so soll diesem Übereinkommen zufolge zumindest eine Person auf der Bühne stehen, die mit der Handlung nichts zu tun hat, sondern die ganze Zeit schweigt. Hans Neuenfels nennt diese Person „den Zuhälter“.
Nun ist es keineswegs so, dass der frischerfundene Zuhälter der Violetta die Dinge täte, die normalerweise die Beschäftigung eines solchen Herrn bilden. Vielmehr handelt es sich um eine Art Doppelgänger der Violetta, eine Animus-Figur, welcher das Herz herausgeschnitten wird, verliert Violetta die Liebe des scheinbar verlassenen Alfred, und der sich zwei lange Nadeln in die Plastikhoden sticht, geht es ans Sterben. Überhaupt ist die Symbolik der Inszenierung von einer Simplizität, wie man sie etwa aus Schulaufführungen kennt. Die angedeutete Kreuzigung der Violetta, der Bocksfuß des Vaters: Dass man das Publikum der vollbesetzten Oper nicht die ganze Zeit laut stöhnen hörte, lag vermutlich allein an der Musik, die laut, aber nicht ebenso gut dargeboten wurde. Das Orchester hat schon bessere Abende gesehen, aber nun gut: Einer neuen musikalischen Leitung sei die Übergangszeit nach Petrenko zugestanden.
Dass Sinéad Mulhern als Violetta kaum zu verstehen ist, gehört schon fast zu den Vorzügen des Abends, denn die deutsche Fassung des Texts – Standard der Komischen Oper – bietet vielfältige Ansatzpunkte für das Phänomen, welches man als Fremdschämen kennt. Dass ihr Alfred über keinerlei erotische Anziehung verfügt, fällt da schon schwerer ins Gewicht, denn so grandios, dass er auch hätte 230 Kilo wiegen dürfen, so grandios war er nun wiederum nicht. Aris Argiris als Alfreds Vater war dagegen schon von anderem Kaliber, auch der Chor war wie immer nicht schlecht, und wäre etwas von dem entschlossenen Willen, die Erwartungshaltung eines Abonnementspublikums zu enttäuschen, in eine Regie geflossen, die nicht darin bestanden hätte, die Sänger ab und zu nach vorn treten und singen zu lassen, dann wäre der Abend möglicherweise alles andere als perfekt, aber nicht halb so langweilig verlaufen.
So aber schloss der alte Herr rechts neben mir immer wieder kurz die Augen. Hinter mir wurde gekichert, meine Freundin, die J., zog ein- oder zweimal scharf die Luft ein, wie sie es immer tut, wenn Faux Pas größerem Ausmaßes auftreten, und von dem Stück, von dieser mit herrlichem Gesang verschleierten unfassbaren Wahrheit, dass die Liebe uns nicht retten wird, blieb nichts als ein langer, langer Sonntagabend, und ein mäßiger Applaus.
oh ja!
lange lange lange zweieinhalb stunden…
spannend auch wenn man die kritiken liest, man fragt sich, was die gesehen haben!
Die komische Oper…
… ist ja berühmt und berüchtigt für unkonventionelle Inszenierungen. Man denke nur zurück an die Mozart-Serie, die mit Don Giovanni (Konwitschny) ihren qualitativen und mit der Entführung aus dem Serail (Bieito) ihren öffentlichkeitsträchtigen Höhepunkt hatte (und mit Cosi dann leider in die Belanglosigkeit abgeglitten ist. Figaro habe ich nicht gesehen).
Insofern weiss man ja in der Regel, worauf man sich einlässt. Wer Ausstattungsschlachten erwartet, für den ist vielleicht doch eher ein Besuch der deutschen Oper anzuraten. Schade nur, dass die musikalische Leistung offenbar ebenfalls den von Ihnen gesteckten Erwartungen nicht entsprach. Ich war mit dieser eigentlich stets sehr zufrieden.
REPLY:
Die Kritik, die ich nach der Premiere im Deutschlandradio hörte, ließ mich aber sofort an diese Inszenierung denken, als ich neulich Ihren Blogeintrag las.
Positiv
… denkend könnte man immerhin anmerken, dass es Ihnen gelungen ist, durch Applausdosierung eine Zugabe zu vermeiden. (Das ist doch hoffentlich der Fall?)
Köstlich geschrieben. Vielen Dank!
Große Oper im Pantoffelkino
Wer werkgetreue, gleichwohl spannend inszenierte und opulent ausgestattete Opern mag, möge sich die Verfilmungen des großen Meisters Jean-Pierre Ponnelle besorgen, die man z.B. über Drittanbieter am Ufer des großen Amazonas-Stromes für nachgerade lächerliches Geld erwerben kann. Allein schon der Harnoncourt’sche Monteverdi-Zyklus (neben dem grandiosen »L’Orfeo« also auch noch »Il Ritorno d’Ulisse in Patria« und »L’Incoronazione di Poppea«) wären Grund genug, sich Glotze und DVD-Player zuzulegen, sofern noch nicht vorhanden. Und wenn man sich dazu ein paar interessierte Freunde einlädt, ist der heimische Operngenuß eine gar nicht so abseitige Alternative zum »real thing«…
Ich habe, lieber Herr Lucky, gar keine Kritik gelesen. Es entspricht aber einem bekannten Muster, dass so gut wie alles noch irgendjemanden findet, dem es gefällt. Komisch, dass immer diese Leute schreiben. Das Deutschlandradio, Frau Arboretum, scheint aber die Lage zutreffend erkannt zu haben. Es war schrecklich.
Gegen unkonventionelle Inszenierungen, Herr Lerchenau, habe ich gar nichts. Insbesondere die Bieito-Inszenierungen haben mir gefallen, denn es ist doch so: Es ist alles erlaubt – wenn es gut aussieht. Werktreue ist da ja, Herr Zonebattler, gar nicht so besonders empfehlenswert. Ich habe schon quälend langweilige Stunden in der Staatsoper verbracht, Inszenierungen durchgähnend, die aussahen, als habe Johannes Heesters in seinen jungen Jahren bereits an der vierzehnten Wiederaufnahme mitgewirkt. Auf Bildschirmen kann ich mir Oper zudem schlecht vorstellen, zumal ich mangels Fernsehgerät nur mein kleines Macbook mit einer DVD füttern könnte, und das wäre wohl wirklich etwas kümmerlich.
Zugaben, UB, sind in der Oper ja grundsätzlich selten. In diesem Fall: Zum Glück. Nicht auszudenken, wenn am Ende der Zuhälter, sagen wir, noch einmal an die Rampe getreten wäre und hätte sich weitere Plastikkörperteile zerstochen.
Und EpistulaeTiberii: Herzlichen Dank. Hach, Lob ist doch immer schön!
REPLY:
Wir Deutsche
… sind ein verklemmtes Volk, möchte ich mal sagen. Vor Dekaden habe ich mal Verdis Rigoletto in der Arena von Verona gesehen. Mit Picknick. Sehr angenehm! Aber das ist eine andere Geschichte.
Jedenfalls haben der Hofnarr und der Herzog nach dem Tod der Gilda abwechselnd Zugaben gesungen, noch eine gute halbe Stunde lang. Danach war mein Weinglas leer und wir konnten alle zufrieden nach Hause gehen, der Hofnarr, der Herzog und ich.
La donna è mobile!
Nachtrag
Die Komische Oper hat die sympathische Angewohnheit, Trailer ins Netz zu stellen: