Es scheint – aber da mag ich mich täuschen – einen gewissen Rückgang von Tagebüchern und Briefwechseln in Buchform zu geben. Während kaum eine Korrespondenz von Thomas Mann zu existieren scheint, der sich das Verlagswesen nicht angenommen hat, und die Flohmärkte voll sind mit Briefen von Menschen, die zugegeben mittelmäßig gebildete Menschen wie ich lediglich als Fußnote der Politik- oder Literaturgeschichte kennen, ist derlei von Zeitgenossen weniger bekannt: Rainald Goetz fällt mir ein, natürlich Helmut Krausser; ansonsten aber scheint das Alltagsleben zeitgenössischer Autoren wenig publiziert zu werden. Es mag da die generelle Beschleunigung des Alltags eine Rolle spielen, die solchen Publikationen möglicherweise den Käuferkreis nimmt.
Was der Kunst recht zu sein scheint, ist den Nicht-Künstlern offenbar billig. Es gibt kaum echte Tagebücher von Allerweltspersonen auf den Litfasssäulen der elektronischen Welt. Mir zumindest ist kaum ein solches Projekt bekannt, und gelegentlich bedaure ich das Fehlen dieser Fenster in das Leben anderer Leute. Um so lieber liest man ein Experiment wie den geblogten April des geschätzten Herrn Mek, und denkt sich, dass dies eine interessante Sache sei. Wenn nicht für andere (mein Leben ist von durchaus überschaubarem Interesse), so doch für mich.
Nun denn: Journal :: Mai.
Vielleicht liegts an der Sonne, der ich mich heute ganztags hingegeben habe, aber ich verstehe nicht. Rainald Goetzens Tagebücher waren doch selbst mal Blogs + sind später halt deshalb zwischen die Buchdeckel geraten, weil er ein bereits etablierter Schriftsteller war. Und worin unterscheidet sich das von Ihnen gelobte Experiment eines Herrn Mek von einem Blog wie dem Ihren oder dem von Frau Diener oder kid 37 oder einem der vielenvielen anderen, die Sie ja auch verlinkt haben? Geht es Ihnen darum, dass diese „Fenster ins Leben anderer Leute“ in Ihrem Sinn ganz strikt nur Blicke auf Alltagsverrichtungen lenken dürfen? Nix Künstlerisches, nix Essayistisches? Nun, zum einen folgen so strikte Alltagsberichte durchaus ebenfalls einer bestimmten Rhetorik + bedienen sich quasi literarischer Stilmittel. Und zum anderen bieten auch die „klassischen Tagebücher“ unserer weiland Großschriftsteller das eine + das andere. Ja, Thomas Mann machte das, was Sie sich vielleicht wünschen, aber schon bei Ernst Jünger oder Katherine Mansfield, nur mal als willkürliche, mir gerade zufallende Beispiele, waren „Tagebücher“ sicher mehr als Alltagsskripte. Eigentlich, kann ichs in einem Satz zusammenfassen: Was ist ein „echtes Tagebuch“? Ja, um die Briefkultur ists schon ein wenig schade. Gesammelte Mails scheitern wahrscheinlich and der schieren Masse.
REPLY:
Natürlich haben Sie recht, aber darum geht es mir nicht. Ich finde das Experiment mit dem Ungefilterten interessant. Nicht den einen Gedanken oder die zehn, zwanzig Minuten zu dokumentieren, die sich hierfür eben anbieten, sondern einen Monat lang von morgens bis abends im Wesentlichen kunstlos erzählen, was man erlebt.
Sorry, ich sags ja, die Sonne. Hatte nicht verstanden, dass Sie es einfach als Auftakt zu einem Versuch Ihrerseits gemeint hatten. Trotzdem werde ich mich jetzt wieder in die Sonne begeben, aber mich davor hüten, hernach irgendwo schlaue Kommentare abzugeben.