Journal :: 03.06.

Möglicherweise ist man ja durchaus eher Teil des Problems als der Lösung, denn als in der Schönhauser Nummer acht noch eine Metzgerei ansässig war, habe ich nie da gekauft. Ungefähr täglich bin ich vorbeigefahren. Jedesmal habe ich mich über die Auslage gefreut, in der Hunderte von Keramikschweinen im Fenster ganz rechts herumstanden, und mir fest vorgenommen, einmal die angepriesene frische Blut- und Leberwurst zu erwerben. In der Metzgerei war ich letztlich aber nie. Kaum eröffnet hier aber ein neues Restaurant, renne ich hin.

Leider ist unser Tisch ganz hinten. So gegen Ende des Abends verrät mir mein Begleiter, dass er das auch nicht ganz so großartig findet, aber man will ja auch nicht immer mäkeln, kaum dass man angekommen ist, und so sitzen wir eben in der Ecke ganz hinten zwischen Küche und Klo.

Dem Nero d’Avola jedenfalls tut das keinen Abbruch. Überhaupt ist das ein meistens großartiger Wein, auch mein Cava ist gut, soweit man das trotz der Aperolzugabe beurteilen kann, und weil ich heute kaum was gegessen habe, bin ich schon so ungefähr ab der Vorspeise ziemlich angetrunken. Was soll’s. Mein Tartar ist etwas fettig, aber sehr, sehr lecker. Der Innenraum ist unverändert geblieben, nur zwei üppige Korbleuchter sind neu, und auf den Bierbänken sitzt es sich angenehm. Auf Sesseln spräche es sich möglicherweise etwas schwerr über (fremde) Leidenschaft, weil Bequemlichkeit sich mit Intensität ja aus irgendwelchen Gründen (über die nachzudenken ich gerade etwas zu betrunken bin) schlecht verträgt.

Meine Jacobsmuscheln sind gelungen, mittig noch etwas glasig, zart, und dass keine Sauce zum Reis und den Linsen gereicht wird, ist wahrscheinlich sehr korrekt und beabsichtigt. Ich hätte trotzdem gern etwas weniger Trockenes gegessen. Meks Taube dagegen ist in der Keule merkwürdig knallrot. Laut dem Koch muss das so sein, ich kenne mich da nicht so aus (bei mir ist Geflügel immer durch), aber zum Ausgleich bekommen wir einen weiteren Wein. Die Mousse zum dritten Glas ist super. Hier kann man öfter essen, versichere ich mir und schiebe mir einen Löffel nach dem anderen in den Mund.

Ordentlich voll ist es, stelle ich fest, als wir gehen. Ob ich auch so bin wie die anderen, frage ich mich beim Gang durch das Lokal und schaue die anderen Leute kurz an. Sehr korrekt sehen die anderen Gäste aus, die Bewohner von Mitte in genau der richtigen Kleidung, mit ihren richtigen Ansichten und der richtigen Musik, und ich schalte den iPod an, um mir nicht zu antworten, dass genau das zutrifft, denn es ist ja auch egal oder zumindest: Ohnehin nicht zu ändern.

8 Gedanken zu „Journal :: 03.06.

  1. Oh, Sie auch, liebe Modeste!

    Ich komme auch gerade vom guten Essen und trinken. Allerdings etwas hausmannsköstlicher. Aber wirklich gute Qualität, man muss auch immer ziemlich lange warten bis serviert wird. Und das erste, das ich zu meinem Begleiter – wie immer der Chauffeur – gesagt habe, war: ‚Nicht gerade das typische Prenzlauer Berg (resp. Mitte)-Publikum.‘ Alles ein bißchen altertümlicher, aber ungleich entspanter hier in Neukölln. Und ich fühle mich zum ersten Mal in acht Jahren Berlin heimisch.

    Schlafen Sie gut,

    Anousch

  2. An diesem Etablissement hat der Liebste samt gleichsam schnöseligen Cousin letztens kein gutes Haar gelassen. Nicht mal die aufwendigen alkoholischen Bestechungsversuche des Chefs konnten die Meckerer besänftigen. Ich werde mir wohl andere Begleitung suchen müssen, um mich vom Gegenteil zu überzeugen.

    Neugrüns Köche gestern abend waren jedenfalls ebenfalls eine zuverlässige 5-gängige Freude mit liebevoller Weinberatung und Familienanschluss. Und sehr heterogenem Publikum. Immer wieder gern.

  3. 1. Die Rückmeldung (wegen Abwesenheit): Ja bitte, weitermachen. Ich brauche das mittlerweile schon …

    2. Haben Sie schon mal darüber nachgedacht einen Restaurantführer zu schreiben, bzw. Ihre diesbezüglichen Postings in Einen zu aggregieren?

  4. REPLY:
    Das ist interessant. Ich höre immer wieder, es sei in den Arbeitervierteln Berlins so entspannt und unaufgeregt. Selbst kann ich das nicht bestätigen, ich finde die Leute oft freundlich, aber nicht signifikant lässiger oder in sich ruhender als andernorts. Leider isst man auf der bodenständigen Seite der Gastronomie in Berlin ja leider schlechter als in anderen Städten, so ist man in Süddeutschland auch in bescheidenen Gaststätten oft gut versorgt. In Berlin ist man im Gros der Lokale an der Ecke leider nicht so besonders geschickt im Umgang mit Essen.

    Wo waren Sie denn?

  5. REPLY:
    Ich habe nie daran gedacht, aus diesem Blog etwas anderes zu machen als ein Blog. Als Restaurantführer bin ich zudem schrecklich unzuverlässig. Eine angenehme Begleitung macht mir viel wieder wett. Manchmal schmeckt mir das Essen nicht, weil die Beleuchtung nicht gut ist. Bisweilen stören mich absurde Küchenmoden, die mich woanders kalt lassen. Und manche meiner Vorlieben sorgen dort, wo man mehr von Essen versteht als hier, vermutlich für ordentlich hochgezogene Augenbrauen.

  6. Ich möchte jetzt nicht behaupten auf Ihren Spuren zu wandeln, aber das eine oder andere beschrieben Restaurant habe ich (mit Gästen) auch schon aufgesucht. Es ist immer gut auf Referenzen zurückgreifen zu können. Auch ich bin nicht der große Sachverständige, aber ich kann sehr wohl beurteilen was schmeckt und was nicht und bisher haben Ihre Referenzen gestimmt.

    Restaurantführer ist vielleicht ein großes Wort, aber nutzbar sind die Blogeinträge in dieser Hinsicht auf jeden Fall so dass eine Aggregation durchaus sinnvoll sein könnte …

    …andererseits ist das Suchen nach einer dieser „Referenzen“ innerhalb Ihres Blog auch immer wieder ein Vergnügen, so kann man auch ältere Geschichten nochmal genießen.

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