Rigoletto, Komische Oper am 20.09.2009
Es glitzert. Auf der Bühne der Komischen Oper blitzt es aber nicht wie Juwelen oder Ordenssterne, sondern wie die Phantasieuniformen eines Zirkus: Barrie Kosky hat den Hof von Mantua in eine Zirkusmanege verlegt, in der der Herzog (gesanglich schwach: Hector Sandoval) Damen zersägt, wo Clowns herumlaufen, unter einem großen, schwarzen, glitzernden Tuch Personen erscheinen und verschwinden, und wo Rigoletto, der Narr, als Komödiant unter Komödianten seine Witze reißt und die vom Herzog verführten Damen ebenso herzlos verspottet, wie man ihn selbst verspotten wird, wenn im zweiten Akt seine Tochter Gilda trotz aller Vorsichtsmaßnahmen dem Herzog zum Opfer zum Opfer fällt.
Schön gesungen wird auf der Bühne unter den Linden. Besonders Bruno Caproni als Rigoletto und ganz besonders (ach!) Julia Novikova als Gilda singen großartig, aber trotz vereinzelt hübscher Bilder rührt die Inszenierung mich nicht an. Nun mag dies einerseits daran liegen, dass sowohl eine verlorene Jungfräulichkeit als auch ein mutwillig gebrochenes Herz uns heute gewiss als ein Ärgernis erscheinen mögen, als ein Grund für Trost und Tränen, aber nicht als eine Lebenskatastrophe, und erst recht nicht als eine Katastrophe, die mit unseren Eltern irgendetwas zu tun hätte: Betrügt uns der eine, nun, so wird es ein anderer vielleicht wieder gut machen.
Glauben wir aber nicht mehr an die Irreversibilität des Herzbruchs, so verliert Rigoletto viel von seiner emotional zwingenden Logik, und das tut einem Stück selten gut. Indes ist diese letztlich unüberbrückbare Distanz gegenüber der Gefühlswelt vergangener Zeiten nur ein Teil der Wahrheit, und ein anderer liegt in der Zirkuswelt, die Kosky entfaltet: Ist alles, was auf der Bühne geschieht, ohnehin nur Teil einer Show, so gibt es keinen Grund, den Ernst, den die Musik vielfach transportiert, auch ernst zu nehmen. Ein travestiertes Drama ist keins. Dass – abgesehen von Allgemeinplätzen, wie sie für jede Opernhandlung gelten – keinerlei innerer Zusammenhang zwischen Oper und Inszenierung erkennbar ist, hat die Zurückhaltung des Publikums beim Applaus für die Regie sicher ebenfalls befördert, das – ebenfalls im Einklang mit meinem persönlichen Empfinden – Bruno Caproni und Julia Novikova bejubelt und Hector Sandoval kräftig ausgebuht hat.
Die neuen Stühle und die Textanzeige auf der Rückseite des jeweiligen Vordersitzes immerhin sind ganz und gar zu begrüßen.
das ist rigoletto aus der sicht des kindes, aber diese oper heißt nicht gilda, sondern rigoletto. der schmerz des vaters über den fall der tochter wäre heute genauso groß. vielleicht ist es heute nicht die verlorene jungfräulichkeit. vielleicht sind es heute die verführung zu drogen, zu einem leben, das sich der vater nicht wünscht.
das universelle gefühl ist der schmerz darüber, daß jemand dem kind wehgetan hat (mitgefühl), es in eine welt geführt hat, vor der man es noch behüten wollte (verlust & versagen).
ich glaube, daß emotionaler schmerz und menschliches leiden universal sind, seine auslöser ändern sich vielleicht. (voraussetzung ist, daß man sich mit dem leben so weit konfrontiert, daß einem diese dinge als erfahrung tatsächlich zustoßen könnten.)
antike dramen sind uralt. und doch sind ihre botschaften universell. medeas wut und tränen darüber, daß sie für jason alles aufgab: ihre gesellschaftliche position, ihre heimat, ihren beruf und dann als frau an seiner seite zugunsten einer jüngeren – die er heiratet – aufgegeben zu werden. diese emotionen sollten heute nichts mehr gelten?
entschuldigung, da ist mal wieder die theaterwissenschaftlerin in mir durchgegangen.