Die Anderen

Im Zug heim von der Ostsee nach Berlin den anderen Frauen in die Gesichter zu schauen. Sich die knallroten, schlecht geschnittenen Haare wezugdenken, die in Brandenburg aus irgendwelchen Gründen sehr, sehr beliebt sind. Die Anoraks, formlos und bunt. Zu überlegen, wie alt die Frauen wohl sein mögen, von wo sie kommen, und wo es hingehen soll. Ob es ihnen gut geht. Ob sie alles haben, was eine Frau braucht.

Die meisten Frauen aber sehen schlecht aus. Ein bißchen bis ziemlich zu dick. Bleich, rotgeädert, aufgesprungen und teigig. Viele der Frauen wirken ein wenig stumpf und tragen ihre Körper durch die Welt, als sei er ihnen gleichgültig. Weich, gecremt und rasiert, massiert und gestreichelt wirken die Wenigsten, und die Mundwinkel zeigen so direkt zum Boden, als führten alle Wege der Welt vor die Hunde.

Ob es den anderen Frauen manchmal leidtut um ihr einziges Leben und deren Verlauf, frage ich mich und schaue zwischen den dösenden Körpern hindurch durch das Fenster ins Schwarze. Ob sie an irgendetwas hängen, ein Kind vielleicht, eine Katze, ein Mann? Wovon sie geträumt haben, als sie noch am Leben waren, warum nichts draus geworden ist, und weshalb sie ihr Leben nicht liegenlassen, um irgendwo anders jemand anders zu sein.

8 Gedanken zu „Die Anderen

  1. Ich kenne diese Gedanken, weil ich sie selbst habe. Und ich kenne die Welt dieser Frauen etwas.
    Die Werte sind anders. Äußere Schönheit? Wozu? Diese Ware hat auf ihrem Markt nur kurzzeitigen Wert. Familiensinn, Zähigkeit, Standing, Gewitztheit und Überlebensinstinkt sind wichtiger.
    Vergessen Sie nicht, viele dieser Frauen ernähren ihre Familie mit einem Etat, von dem der geschätzte Gefährte und Sie zwei- bis dreimal gepflegt essen gehen könnten.
    Geld macht bis zu einer gewissen Grenze attraktiv und glücklich.

  2. Sie hatte das Bedürfnis, von einem Mann angeschaut zu werden, solange sie noch schön war, und Vater schaute sie schon längst nicht mehr so an, ihn interessierte es nicht mehr, wie sie aussah. Er sah alles möglich in ihr, nur nicht die Frau. In seinem Augen glich sie den Tagen, die sich aneinanderfügen wie die Steine in einer sorgfältig ausgeführten, stabilen Mauer, so dass kein Grund besteht, vom vorgezeichneten Plan abzuweichen; sie glich den in regelmäßigen Abständen eintreffenden Kontoauszügen, die sich in der Schublade anhäufen, den pünktlich aufgetragenen und nur vom Klappern des Bestecks auf den Tellern begleiteten Mahlzeiten, dem schlechten Wetter, mit dem man sich längst abgefunden hat und das man kaum mehr wahrnimmt, weil man nur noch daran denkt, dass es schon bald dunkel wird und man am nächsten Morgen wieder aufstehen muss, und dann folgt wieder ein Tag, ausgefüllt mit der gleichen mühsamen Arbeit und den gleichen Worten, die abgenutzt und abgeschliffen sind wie die Kieselsteine, welche vom Meer ans Ufer getragen und wieder fortgespült werden. Das ist es, was die Zeit aus einer Frau macht. Das ist, was einen Mann erwartet, der ohne etwas zu sehen neben seiner Frau dahinlebt.

    Alain Leblanc – Die Brücke von Ambreville

  3. REPLY:

    Diese andere Welt hat ja auch was für sich. Wenn man in ihr geboren ist oder sich ihr fügen kann.
    Ich selbst kenne genug Menschen, die nicht annähernd in der Lage wären, sich diesem Leben anzupassen. Unfähig in voller Gänze.
    Gleichfalls fiele es beschriebenen vielleicht nicht leicht, sich in einem Sterne-Restaurant zu bewegen.
    Das ist genau das, was ich so am Leben mag: diese vielen unterschiedlichen Menschen. Jeder so für sich, in seiner Welt.
    Und hoffentlich mit nie endender Neugier für anderes.

  4. REPLY:

    Aber das ist doch kein schönes Leben für eine Frau! Man will doch nicht immer kämpfen, man will doch gestreichelt und geschmeichelt werden und träge in der Sonne gähnen mit Schälchen voll Pralinen und guter Musik. Es ist doch grausig, wenn es das gar nicht geben soll.

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