Es ist also Dienstag, kurz nach acht, und Sie sitzen in der M 4. Am Alex steht die Frau neben Ihnen auf und geht. Schade, denken Sie. Die war nämlich eigentlich ganz hübsch, die Frau, jung und blond und schlank, und mit der dicken Frau mit den schwarzen Haaren, die sich jetzt auf den Sitz neben Ihnen fallen lässt, haben Sie keinen guten Tausch gemacht.
Sie schätzen die dicke Frau auf mindestens Größe 42, wenn nicht noch mehr. So dick sollen Frauen nicht sein, Frauen sollten ein bisschen auf sich achten, und selbst, wenn Sie wüssten, dass die Frau vor vier Wochen ein Kind bekommen hat, würden Sie immer noch denken, dass andere Frauen jetzt schon wieder mit Größe 36 durch Berlin schweben würden, statt in einem schlabbrigen Jersey und Leggings unter der Barbour Jacke (überhaupt: Wer trägt noch Barbour Jacken?) in der Tram herumzusitzen.
Sie wundern sich ein bißchen, was die dicke Frau wohl in Ihrer riesigen H&M-Tüte herumträgt. Bekleiden die da seit neuestem auch Elefanten? Sie würden sich bestätigt fühlen, wüssten Sie, dass die Frau gerade alle Hosen anprobiert hat, die H&M führt, und die beiden größten gekauft hat, die der ganze Laden bereit hielt. Die fährt sie jetzt nach Hause. Einen Trenchcoat und zwei Oberteile hat sie auch noch gekauft.
Dass die dicke Frau überhaupt vor allem deswegen bei H&M eingekauft hat, um angesichts der Kostengünstigkeit des dortigen Angebots das Provisorische ihrer derzeitigen Konfektionsgröße zu betonen, und so schnell wie möglich ihre Einkäufe von heute wegwerfen zu können, wissen Sie natürlich nicht. Auch ist Ihnen unbekannt, dass die dicke Frau sich geschworen hat, dass Sie am 01. Juni dieses Jahres die 60 kg wieder unterschreitet. Doch selbst wenn Sie das alles wüssten, selbst wenn Sie wüssten, dass die dicke Frau heute abend zu Hause ziemlich belämmert die neuen, total unförmigen Sachen in ihren Schrank hängen wird, fänden Sie die dicke Frau immer noch zu dick, denn Frauen sollen nicht so dick sein, ganz gleich, wie dieses unfassbare Übergewicht zustande kommt.
(Und selbst, wenn Sie das alles nicht gedacht haben sollten: Dass die Frau denkt, dass Sie genau das denken, reicht eigentlich aus, die dicke Frau zu deprimieren.)
Es ist doch alles da, wenn Sie des Nachts erwachen. Was Sie im satten Schein der Nachttischlampe vom Bett aus sehen, zeugt von Ihrem Geschmack und (wozu dies beschweigen) von Ihrem Geld. Sie sind gesund und haben keine Schmerzen. Der Mensch, der neben Ihnen schläft, liebt Sie und sieht – bei aller Intelligenz – auch noch gut aus.
Wenn Sie an den nächsten Tag denken, spüren Sie weder Furcht noch Ärger. Doch denken Sie an das nächste Jahr, ach: an das nächste Jahrzehnt, so spüren Sie eine leichte, eine kaum wahrnehmbare Beklemmung, der Schatten eines Gefühls mehr als ein Gefühl selbst, und Sie schelten sich für dieses Missbehagen, für das es keinen Anlass gibt, denn voraussichtlich geht es Ihnen auch in zehn Jahren blendend.
Das Gefühl aber – das wissen Sie – wird nicht weichen. Sie werden erwachen, morgen früh, übermorgen, irgendwann in Ihrem Leben, und wissen, dass irgendwo in der Mitte Ihrer Welt ein schwarzes Loch klafft, der Eingang zu einem dunklen Kanal in die Mitte des Nichts, und alles, was Sie ausmacht, nur Girlande ist und sinnlose Verzierung, denn das Loch ist das Eigentliche und alles andere ist nichts.
Ein Geringerer als Sie würde nun verzweifeln und Erlösung suchen in Schönheit oder Kunst, würde sehr religiös oder ginge zumindest viermal die Woche zum Yoga und würde Anhänger der Eigenurintherapie. Sie aber sind klug. Sie wissen, dass nichts auf Erden uns rettet, und alles Streben nach Unsterblichkeit, nach Glück und Auflösung in einem höheren Sein scheitern wird, nur scheitern kann, und das Schicksal dem Scheiternden meistens nicht einmal Tragik und Würde bereitstellt, weil es kaum etwas gibt, was lustiger ist als jemand, der auf den Bananenschalen ausrutscht, die auf dem Weg ins Paradies auf den Wanderer warten.
Abgeklärt, wie Sie sind, lehnen Sie sich zurück in Ihre ganz sicher sehr bequemen Kissen und belächeln gern die Irrläufer der Suche nach dem Heiligen Gral. Herrn August Engelhardt etwa – dessen wohl teilweise wahre Geschichte Christian Kracht uns in seinem vierten Roman erzählt – erfreut Sie deshalb ganz und gar mit seinem Plan, ein Reich der Glückseligkeit auf einer Südseeinsel zu errichten, auf der seine Jünger und er nackt und friedlich sich ausschließlich von Kokosnüssen ernähren sollten, um so unsterblich zu werden.
Als ein Realist durch und durch wundern Sie sich nicht, dass aus dem Plan nichts wird. Engelhardt wird (natürlich, denken Sie und verziehen mokant das Gesicht) nicht glücklich und gesund, sondern verwandelt sich durch die jahrelange Mangelernährung in einen paranoiden, antisemitischen, leprakranken, regredierten Kannibalen. Auch aus der Schar von Jüngern, die Engelhardt sich vorstellt, wird nichts, denn die wenigen Anhänger, die es bis zu seiner Insel Kabakon schaffen, enttäuschen Engelhardt, und die Anhänger, die in der Kolonialhauptstadt hängen bleiben, führen schließlich dazu, dass der Gouverneur der Kolonie Engelhardt loswerden will und – wenn auch erfolglos – seine Ermordung beauftragt.
Auch der Erzähler selbst, so erscheint es Ihnen, teilt Ihre Ansicht über diejenigen, die wie Engelhardt versuchen, der Unerlösbarkeit der Welt mit ungeeigneten Mitteln zu entkommen. Elegant zurückgelehnt, gelassen plaudernd mit allen Mitteln des großen Romans des letzten Jahrhunderts, erzählt Kracht von diesem Kammerspiel des deutschen Welttheaters, als habe es die stilistischen Aufgeregtheiten des letzten halben Jahrhunderts nie gegeben. Heiter erscheint Ihnen dieser Erzähler, von einer sonnig-entspannten Ironie, die Sie sanft durch die rund 250 Seiten trägt, freundlich und bar jener Verzweiflung über die Unheilbarkeit der Welt, die die ersten Romane des Autors grundierte, und so ziehen Sie sich die Decke noch etwas höher in der besten aller Welten.
Später aber, ganz spät, schon haben Sie das Licht gelöscht und die Augen geschlossen, erschrecken Sie doch. Der Autor hat Sie verraten, erkennen Sie, auf dem trockenen Pfad Ihres Realismus. Nicht vorgeführt, so scheint es Ihnen nun, hat Kracht Ihnen den Irrweg aller Utopisten, die Vergeblichkeit der Erlösung und die Verzweiflung derer, die danach suchen, denn (anders als es in Wikipedia steht), stirbt Engelhardt bei Kracht gerade nicht 1919 vereinsamt und abgemagert an seiner Kokosnussdiät. Noch nach 1945 taucht Engelhardt auf, geheilt von der Lepra, abgemagert, aber lebendig, und auch wenn die Erlösung, auch wenn das Paradies, nicht unaussprechlich dionysische Genüsse bereithält, sondern nur Cola und Hot Dogs und sehr gesunde GI’s: Die Pforten dieses Paradieses immerhin öffnet Kracht seinem traurigen Helden, und mehr Erlösung von Übel und Tod, als Sie sie finden werden, bei Nacht, in Ihrem Bett, in Ihrem soliden Leben und mit Ihren beiden Beinen fest auf dem Boden.
Doch nächtliche Verzweiflung, auch das ist Ihnen klar, haben Sie morgen vergessen.
Nie – ich wiederhole: nie – habe ich mich so unsagbar gelangweilt wie gestern abend im Friedrichstadtpalast während der rund 60 Minuten, in denen ich Robert Pattinson bei dem in jeder Hinsicht misslungenen Versuch zugesehen habe, Guy de Maupassants Bel Ami darzustellen.
Mit einem Wort: Es ging nicht. Aber beginnen wir von vorn:
Sicher ist die Verfilmung des Bel Ami nicht leicht. Romane der Belle Epoque verführen – dem widersteht auch diese Verfilmung nicht – dazu, sich sehr in den Ausstattungen zu verlieren und zwischen Plüsch, Spiegeln, Spitzen, Silber und Orchideen zu vergessen, dass wir über Vorgänge in einer überaus komplexen Gesellschaft sprechen, deren Mitglieder ebenso nüchtern wie wir ihre Interessen verfolgten, gute Rechner, vital und ausgebuffter als wir Kinder eines gezähmten und saturierten Zeitalters, das das Frankreich des dritten Napoleon nicht war, diese Gesellschaft von Aufsteigern mit einem guten Appetit und ohne die Müdigkeiten, die erst eine Generation später die Kinder dieser Gründerzeit befallen werden wie eine seltene und erlesene Krankheit.
Diese Raffinesse zeigt die aktuelle Verfilmung uns nicht. Es geht in Maupassants Roman nicht um Sex, erst recht nicht um Liebe. Es geht um Politik als Vehikel von Gier und Ehrgeiz. Es geht um Intrigen, es geht um die Frage, wie weit die Skupellosigkeit uns trägt, wenn wir ganz nach oben wollen in einer überaus dynamischen Gesellschaft, die Maupassant uns entkleidet aller moralischen und religiösen Bindungen beschreibt. Es geht um Winkelzüge, es geht um sehr kluge und sehr kalte Leute, die miteinander und gegeneinander spielen, nicht viel anders als ein Jahrhundert vor ihnen die Aristokraten der Liaisons Dangereuses. In dieser Verfilmung sehen wir von der Kälte und der Bösartigkeit der Pariser Gesellschaft in Politik und Presse aber nichts. Wir sehen keine Reptilien. Wir sehen nur ein paar Frauen, die sich von einem Vorstadtbeau beeindrucken lassen und dabei zwangsläufig enttäuscht werden. So simpel sind Maupassants Geschöpfe aber nicht. Der Film erzählt eine andere, eine einfachere und weniger interessante Geschichte als der Roman.
Das Drehbuch wird auch den Dialogen des Romans nicht gerecht. Alles, was die Protagonisten sagen, hat bei Maupassant einen doppelten Boden, denn jeder (und eben nicht nur Georges Duroy) instrumentalisiert und betrügt hier alle anderen, Liebhaber und Gatten ebenso wie Freunde, Freundinnen und Geschäftspartner. Dies aber sehen wir nicht, wir empfangen nicht einmal Andeutungen. Wir sollen dem Drehbuch die Wendungen glauben, die die Geschichte nimmt, aber nichts in dem, was wir sehen, motiviert das Wechselspiel der Personen untereinander.
Absurd auch und nicht zuletzt ist Besetzung. Robert Pattinson soll derzeit ein Star vorwiegend der minderjährigen Mädchen sein. Ich kenne keinen anderen Film, in dem er eine tragende Rolle spielt. Für den Bel Ami aber fehlt ihm alles, was diese gar nicht so komplizierte, aber eben nicht alltägliche Person auszeichnet: Pattinson fehlt der infame Charme, das Ruchlose an Duroy. Keinen Moment glaubt man diesem etwas simpel wirkenden Mann die Skrupellosigkeit, sich über Glück und Gefühl der Frauen auf seinem Weg gedankenlos hinwegzusetzen, die Gleichgültigkeit gegenüber dem öffentlichen wie innerlichen Urteil und insbesondere – hier aber wird es wirklich prekär – die Kraft für eine schmutzige Karriere, das Tierhafte, die guten Zähne und den guten Schlaf.
Ungefähr alle 20 Minuten zieht Pattinson sich aus. Die kleinen Mädchen wird das voraussichtlich freuen, die großen Mädchen und erst recht wohl die großen Jungs lassen diese Szenen vermutlich eher etwas ratlos zurück, denn für die Handlung sind sie nicht erforderlich, und für ein optisches Vergnügen reicht Pattinsons erotische Ausstrahlung schlicht nicht aus. Es hat sich mir keinen Moment lang erschlossen, warum eine erwachsene Frau – und sowohl Madeleine Forestier (Uma Thurman) als auch Mme de Marelle (Christina Ricci) und Mme Walters (Kristin Scott Thomas) sind erwachsene Frauen – sich auf Pattinson einlassen sollte. An Charisma, Optik und Charme kann es jedenfalls nicht liegen, zumal Pattinson als einziges Mittel der Verführung einen langen, direkten Blick einsetzt, der vermutlich nicht einmal dann zum Erfolg führen dürfte, wenn das Gegenüber deutlich schlichter wäre als alle weiblichen Hauptpersonen. Dass einige der anderen Schauspieler die Kunst der Darstellung fremder Leute wirklich beherrrschen macht es übrigens nicht besser, sondern stellt die Schwächen der Verfilmung eher noch deutlicher aus.
Am Ende bin ich also gegangen. Das Kino war voll. Neben mir saßen ein paar sehr junge Mädchen. Im Foyer tranken ein paar Leute Bier und lachten laut und fettig über irgendetwas, das ich nicht verstanden habe, und im Taxi nach Hause (es war noch nicht einmal eins) fielen mir die Augen kurz zu. Die Berlinale ist vorbei.
Dann aber – morgens so gegen 12.00 Uhr auf der Friedrichstraße – gefällt mir der Film auf einmal doch nicht mehr so gut, obwohl in Was bleibt alles passt, wenn Hans Christian Schmid kunstgerecht eine Familie impodieren lässt, die binnen eines Wochenendes an ihren Wahrheiten zerfällt.
Die Schauspieler – allen voran der großartige Lars Eidinger – spielen sozusagen ordnungsgemäß. Die Ausstattung des Hauses der Eltern, eines Verlegers und seiner depressiven Frau, die nach 30 Jahren auf einmal ihre Medikamente absetzt, passt bis ins letzte Detail. So wohnen Eltern eben, und so sind ihre Kinder, der erfolglose Zahnarzt und der Bruder, der Berliner Schriftsteller mit der versägten Ehe und dem Sohn, dem einzigen Enkel Zowie. Auch die Dialoge passen, die Beziehungen untereinander wirken nachvollziehbar und zwingend, und doch fehlt etwas, nicht objektiv und nach den Regeln der Kunst, aber mir, mir ganz persönlich, denn so lauwarm ist das alles, so mittelgroß und mitteltragisch und egal, dass ich auf dem Weg zum Bus den Film schon so ein wenig vergesse.
Wenn ich von einer Tüte – einem Gefrierbeutel etwa – das Gummiband abnehme und stopfe es in mein Glas mit den ganzen Gummibändern zurück, dann – und nur dann – denke ich bisweilen an den H.
Ansonsten habe ich wenig Anlass, an den H. zu denken. Der H. war nämlich schon zu Zeiten unserer gemeinsamen Schulzeit nicht gerade ein enger Freund. Wir waren öfter unterwegs, das schon, wir haben viel zusammen gefeiert, wie es eben so geht, wenn man miteinander zur Schule geht, aber mit 16 existieren bekanntlich nicht so arg viele Brücken zwischen Leuten, die Bücher großartig finden, und Leuten, die finden, dass der Mensch nur in Turnhallen und auf Sportplätzen er selbst sein kann.
Der H. gehörte ganz klar zur zweiten Kategorie: Er ritt und ruderte, er spielte Basketball und Tennis, er bolzte, er jagte, er tat quasi alles, wofür man Muskeln, ein gutes Auge und Ausdauer braucht. Im 19. Jahrhundert wäre er zur Armee gegangen und ein Held geworden. Im ausgehenden 20. Jahrhundert wollte er Tiermedizin studieren, was um ein Haar an seinen desaströsen schulischen Leistungen gescheitert wäre. Vom H. erzählte man sich nämlich nicht ganz ohne Grund, er sei eigentlich so eine Art Analphabet, und übertrieb dabei nur ein ganz bisschen. Das Abitur hat er dann am Ende auch nur dank einer ganz energischen Intervention seines Großvaters bekommen, der den Direktor der Schule anrief, um ihn daran zu erinnern, was die Nation in den letzten sieben Jahrhunderten der Sippe verdankte, der der H. entsproß.
Inzwischen ist der H. schon seit fünf Jahren verheiratet. Damals (das war so circa 1997) war der H. aber noch als Student mit einer Dame liiert, die ich nicht kannte, von der man mir aber viel erzählte. Die Dame war diversen Freunden nämlich als ein wenig grobschlächtig aufgefallen, und obwohl als Tochter eines Wirtschaftswundermaschinenbauunternehmers wohl situiert aufgewachsen, ein wenig sehr sparsam veranlagt; manche würden wohl auch geizig sagen, und noch andere Leute behaupteten schlicht, die Dame habe in Sachen Geld und Besitz generell einen Knall.
Dass diese Dame, obwohl von zu Hause deutlich besser ausgestattet als der H., grundsätzlich ihn zahlen ließ, fand der H. dabei vermutlich noch fast selbstverständlich. Auch der Einkauf entlang annoncierter Sonderangebote fiel wohl noch in die Kategorie eines studentischen Spleens. Die Sache mit den Gummiringen aber schlug eines Tages dem Fass den Boden aus, und das kam so:
Irgendwann so gegen Ende der Semesterferien beschloss die Freundin des H., ihre Küche aufzuräumen, und der H. sollte helfen. Der H. half gern, der H. war und ist als gutmütig und hilfsbereit bekannt. Zusammen mit der Freundin ordnete und sortierte der H. also einen ganzen Vormittag ein wüstes Konsortium aus leeren Gläsern, Tüten, halb geöffneten Gewürzpackungen und all den Dingen, die sich in Küche so finden.
Nach und nach wurde der H. nervös. Die Angewohnheit seiner Freundin etwa, alte Plastiksäcke sorgfältig Ecke auf Ecke zu falten und aufzubewahren. Wer braucht denn 25 alte Billa-Tüten? Auch die Anordnung der Gewürze nach Alphabet wirkt auf die meisten Leute unangenehm extravagant. Als aber die Freundin mehrere Gläser hervorzog, in denenGummibänder verwahrt wurden, muss es zu einer Auseinandersetzung gekommen sein, an deren Ende der H. die Wohnung der dann Ex-Freundin verließ, um nicht wiederzukommen, denn nicht nur, dass die Freundin mehrere hundert Gummibänder in diversen Gläsern nach Größe sortiert haben wollte. Nicht nur, dass auch eine Klassifizierung nach Farben stattfinden sollte, weil die Freundin wohl so eine Art System der farblichen Zuordnung der solcherart verschlossenen Tüten entwickelt hatte. Was den H. aber wirklich schockierte und erst zu Widerspruch, dann zum Streit und schließlich zum Bruch verleitete, war der Umstand, dass die Freundin ihn zwingen wollte, ein weiteres Glas anzulegen, in dem die gerissenen Gummibänder verwahrt werden sollten, welche sie aufbewahren wollte zu einem Zweck, den sie dem H. auch auf mehrfache Nachfragen nicht verriet.
Nein, sage ich. Alles bestens und der Steigerung kaum mehr zugänglich, um nicht zu sagen: Perfekt. Trotz der Kälte, auch wenn es natürlich schöner wäre, man käme mal vor die Tür, ohne dabei gleich zu erfrieren.
Mit der Frau, die ich mir ausgedacht habe, geht es auch voran. Ich habe sie Nora getauft wie eine Puppe, die ich mit fünf einmal hatte, und sie in den Sommer 2011 gesetzt. Es ist also warm in Berlin, und die Nächte schimmern.
Um auszuprobieren, ob ich das kann, erzähle ich gerade von ihrem ganz vergeblichen Flirt mit einem netten Professor nicht von vorn nach hinten, sondern auf vier verschiedenen Zeitebenen. Alles spiegelt sich, alle Wände der Geschichte werfen Lichter vor und zurück, und auch wenn ich so etwas eigentlich nicht recht gern lese, macht es Freude, Satz für Satz den an sich ganz simplen Gang der Handlung aus allen Richtungen zusammenzubauen, bis – so die Hoffnung – am Ende alle Stränge ineinander verflochten fugenlos von einem kleinen Zusammenstoß von Leichtfertigkeit und Ernst erzählen, der mit einem Missgeschick beginnt und mit Gin Tonic endet.
Diese Website verwendet Cookies und das Tool Counterize, über das ich einige Daten, wenn auch keine IP-Adresse, erhebe und verwende. Wenn Sie auf meiner Seite bleiben, gehe ich davon aus, dass Sie damit einverstanden sind.OKNeinWeiterlesen