Über Übergewicht

Neuer Anlauf

Jaja, ich weiß schon: Abnehmen ist seit einiger Zeit unemanzipiert, und Übergewicht ist das neue Punk. Ich wäre aber trotzdem gern schlank. Ich hätte gern wieder eine Figur, die ich mir nicht schönreden muss (das Kind!). Ich will wieder in meine Kleider in 38 passen und einkaufen, was mir gefällt, und nicht, was es in meiner Größe gibt.

Zum Punktezählen reicht es leider aktuell irgendwie nicht. Mir schmeckt es zu gut. Ich koche auch gern. Insofern: Die nächsten zwei Wochen esse ich morgens nichts, mittags Salat oder Suppe und abends wird anständig gegessen. Mal sehen, was es bringt. Vielleicht schaffe ich es auch zum Sport. Allerdings gibt es da eine gewisse Hemmschwelle: Im Park zu joggen traue ich mich nicht so richtig, weil ich langsamer laufe als eine Schnecke, und mich wahrscheinlich schwabbelnde Senioren und die gesamte Gruppe „Lauf, Mama, lauf“ (die gibt es wirklich) überholen. Vielleicht gehe ich zum Zuma, aber da schüchtern mich die anderen Leute ein, die vermutlich schon so schlank sind, wie ich es gern wäre, und mich Wurst zu recht verachten. Möglicherweise gebe ich aber auch dieses eine Mal richtig Geld aus, engagiere einen Personal Trainer, und dann geht es los. Was auch immer.

So geht es nicht weiter

Am Montag knicke ich ein. Ich habe ein halbes Jahr – genauer gesagt, seit der Geburt des F. – keine Kleidungsstücke gekauft, die mehr als € 30,– kosten, weil sich das ja nicht lohnt für Sachen, die man nur ein paar Wochen trägt. Dauert ja nicht lange. Ist ja nur für ganz kurz, bis ich wieder Größe 38 trage. Heidi Klum hat sechs Wochen nach einer Geburt Unterwäsche vorgeführt, da werde ich ja wohl … ich habe also mit drei Monaten gerechnet.

Nach drei Monaten aber sah ich immer noch aus wie eine Kreuzung aus Buddha und Kröte, zu alledem auch noch angezogen mit diesem superbilligen Zeug. Mit einer Freundin, die auch nicht abnimmt, sitze ich zu diesem Zeitpunkt also im Spreegold und schaue andere Mütter an, die alle irgendwie schlanker sind als ich, und fühle mich schlecht, wertlos und schmutzig. Abends, wenn der F. schläft, google ich ab und zu die After-Baby-Bodys der Stars. Ich fühle mich scheußlich. Ich habe versagt.

Ab und zu erinnere ich mich an eine Frau, die ich irgendwann mal im Wartezimmer meiner Gynäkologin getroffen habe. Die Frau war genauso schwanger wie ich, war aber wirklich zierlich bis auf den kugelrunden Bauch und erzählte mir was von ihrer Low Carb Diät. Damals habe ich über die Frau gelacht. Jetzt lacht vermutlich die andere.

In den USA fühle ich mich nicht besser. Es mag stimmen, dass die Amerikaner oft dicker sind als die Leute hier. Für Californien trift das aber nicht zu. Ich esse also weiterhin mit ebenso schlechtem Gewissen wie in Berlin und hoffe, dass ich einfach so drastisch abnehme. Wie die Waage , als ich wieder ankomme, ist das nicht der Fall. Ich nehme zwar ab. Aber in dem Tempo, in dem mein Körper sein Schwanmgerschaftsfett wieder rausrückt. wiege ich am ersten Geburtstag von F. immer noch mehr als beim positiven Schwangerschaftstest.

Nach wie vor wehre ich mich gegen neue Sachen. Es macht halt auch keinen Spaß, nach Größen zu suchen, von denen man sich wundert, dass es sie überhaupt gibt. Dann aber nähert sich der erste August. Am ersten August gehe ich wieder arbeiten. Da kann ich nicht in meinen schlabberigen Jerseys erscheinen. Ich resigniere also am Montag. Ich gehe ins Lafayette. Ich bin die traurigste Frau Berlins und diejenige, die das Shoppen gerade am meisten hasst. Lieblos reiße ich ein paar Sachen von den Bügeln. Im Spiegel sehe ich eine fette, quallige Person, die sich irgendwie in Armani presst. „Sowas wie dich sollte es gar nicht geben.“, beschimpfe ich mein Spiegelbild und verspreche mir lauter gute Sachen, Massagen und Parfums und teure Kosmetik, sobald ich wieder so viel wiege, wie ich öffentlich zugeben mag, und dann gehe ich mit meiner Tüte nach Hause.

Vergnügt kräht der F. in seinem Wagen die Bäume an und strahlt, weil die Sonne scheint und überhaupt sowieso. „Armes Baby!“, bedaure ich meinen Kleinen für seine fette Mutter. Spätestens in drei Jahren will er vermutlich wegen meines Übergewichts nicht mehr von mir aus der Kita abgeholt werden, verleugnet mich vor seinen Freunden und verlangt ein möglichst dünnes Kindermädchen, das er dann mit dem J. zu verkuppeln versucht.

Daheim verbiete ich mir erst Süßigkeiten, dann Kuchen und schließlich auch Nüsse und was man sonst so nebenher zu essen pflegt. Frühstücken werd eich auch nicht. Kuchenlagen im Büro lasse ich aus. Mittags soll es etwas ganz Leichtes geben, vielleicht eine Suppe oder so, und abends esse ich dann mit dem J. und nehme nie nach. Vielleicht gehe ich zu den Weight Watchers. Vielleicht mache ich wieder mehr Sport.

Aber so geht’s nicht weiter.

Die dicke Frau aus der Tram

Es ist also Dienstag, kurz nach acht, und Sie sitzen in der M 4. Am Alex steht die Frau neben Ihnen auf und geht. Schade, denken Sie. Die war nämlich eigentlich ganz hübsch, die Frau, jung und blond und schlank, und mit der dicken Frau mit den schwarzen Haaren, die sich jetzt auf den Sitz neben Ihnen fallen lässt, haben Sie keinen guten Tausch gemacht.

Sie schätzen die dicke Frau auf mindestens Größe 42, wenn nicht noch mehr. So dick sollen Frauen nicht sein, Frauen sollten ein bisschen auf sich achten, und selbst, wenn Sie wüssten, dass die Frau vor vier Wochen ein Kind bekommen hat, würden Sie immer noch denken, dass andere Frauen jetzt schon wieder mit Größe 36 durch Berlin schweben würden, statt in einem schlabbrigen Jersey und Leggings unter der Barbour Jacke (überhaupt: Wer trägt noch Barbour Jacken?) in der Tram herumzusitzen.

Sie wundern sich ein bißchen, was die dicke Frau wohl in Ihrer riesigen H&M-Tüte herumträgt. Bekleiden die da seit neuestem auch Elefanten? Sie würden sich bestätigt fühlen, wüssten Sie, dass die Frau gerade alle Hosen anprobiert hat, die H&M führt, und die beiden größten gekauft hat, die der ganze Laden bereit hielt. Die fährt sie jetzt nach Hause. Einen Trenchcoat und zwei Oberteile hat sie auch noch gekauft.

Dass die dicke Frau überhaupt vor allem deswegen bei H&M eingekauft hat, um angesichts der Kostengünstigkeit des dortigen Angebots das Provisorische ihrer derzeitigen Konfektionsgröße zu betonen, und so schnell wie möglich ihre Einkäufe von heute wegwerfen zu können, wissen Sie natürlich nicht. Auch ist Ihnen unbekannt, dass die dicke Frau sich geschworen hat, dass Sie am 01. Juni dieses Jahres die 60 kg wieder unterschreitet. Doch selbst wenn Sie das alles wüssten, selbst wenn Sie wüssten, dass die dicke Frau heute abend zu Hause ziemlich belämmert die neuen, total unförmigen Sachen in ihren Schrank hängen wird, fänden Sie die dicke Frau immer noch zu dick, denn Frauen sollen nicht so dick sein, ganz gleich, wie dieses unfassbare Übergewicht zustande kommt.

(Und selbst, wenn Sie das alles nicht gedacht haben sollten: Dass die Frau denkt, dass Sie genau das denken, reicht eigentlich aus, die dicke Frau zu deprimieren.)

Madame muss abnehmen

Ich kann ja noch nicht einmal behaupten, eine bessere Futterverwerterin zu sein als andere Leute. Ich esse einfach schrecklich gern und ich mag es, richtig, richtig satt zu sein. Also so knallsatt. So ein Zustand, in dem schon ein Minzplättchen unweigerlich eine sehr unappetitliche Körperexplosion nach sich zöge. Außerdem esse ich gern fett. Ich mag Schlagsahne. Ich mag kein Brot ohne Butter, ich mag Mehlspeisen. Knödel. Ich liebe Torten und finde nur vollfetten Käse lecker.

Dass man bei solchen Vorlieben nicht gertenschlank durch Berlin wandelt, versteht sich eigentlich von selbst. Wenn ich esse, was ich lustig bin, wiege ich deswegen unaussprechliche 66 Kilo. Bei diesem Gewicht lande ich immer. Mehr wird es nicht, weil ich mehr nicht essen kann. Weniger wird es nur, wenn ich mich quäle. Deswegen muss sich jetzt gequält werden. Und Sie quäle ich mit. Bis hier keiner mehr mitliest.

Wer möchte auch schon wissen, dass ich heute mittag einen Burrito gegessen habe? Er war gut, er war von dolores, wo es die besten Burritos von Mitte gibt. Schuldbeladen saß ich in der Sonne, erfreute mich an lauter schönen Menschen mit Sonnenbrillen und fraß meinen Burrito con pollo. Normale Leute lehnen sich dann zurück und können nie wieder etwas essen. Ich habe mir für den Nachmittag Bananen gekauft und Erdbeeren. Wenigstens war es Obst und keine Schokolade.

Drei Haribo-Schnuller habe ich auch noch gegessen. Das war so gegen 18.00 Uhr. Ich hatte ernsthaft Phantasien von Kuchenduft. Ich saß in meinem Büro, ich sah in den Himmel und bellte ins Diktiergerät, ich wollte so gern Kuchen essen, wie es sich kaum aussprechen lässt, und als ich zu Hause war, habe ich Tomatensuppe gekocht. Eine halbe Flasche Passata. Ein halber Liter Fleischbrühe. Suppengrün, Zwiebeln, Knoblauch, Rosmarin, Thymian und Lorbeer. Ein Löffel Olivenöl war auch dabei, und – jetzt kommt’s – eine Tasse Orecchiette. Ich bin mir sicher, dieser Topf reicht woanders für eine ganze Familie, aber ich habe ihn verschlungen und sitze jetzt auf dem Sofa und denke an eine Portion Dessert, die gestern übrig geblieben ist. Der J. sollte sie essen, aber der hat’s vergessen. Jetzt steht die Versuchung im Kühlschrank und wartet auf einen Moment der Schwäche. Ich fühle mich ein Mönch auf dem Heimweg aus dem Bordell. Ich würde sehr gern ein Törtchen essen, so ein kleines, rundes, hübsch dekoriertes Törtchen mit Cassis oder Zitronen. Ich hätte auch gern Pistazien. Ich habe aber nur einen Knall. Ich habe Übergewicht. Und schlechte Laune, die habe ich auch.

Journal :: 22.10.2010

Irgendwo im Internet habe ich gelesen, dass auch andere Frauen ziemlich viel Zeit damit vertun, allein zu Hause alles anzuziehen, was sie so haben, und im Spiegel nachzuschauen, wie sie so aussehen. Besonderen Spaß macht das mit Cocktail- und Abendkleidern, die kann ich sonst ja nie anziehen. Das blaue, seidene von Charlotte Høyem. Das nie außer Haus getragene Paillettenkleid. Das silberfarbene von diesem Theaterschneider in Mitte, der aus irgendwelchen Resten großartige Roben schneidert. Mein rotes Kleid von les jolie choses mit dem fabelhaften Dekolleté.

Ab und zu schaue ich in den Modeblogs nach, was ich denn dazu noch brauche. Zu meinem lila Lieblingskleid von parapluie in der Schwedter Straße brauche ich derzeit unbedingt Overknees aus Wolle in so einem Zopfmuster und vielleicht einen Gürtel, den ich letztlich bei APC mal gesehen haben. Um in meinem grauen Kleid von Schumacher optimal auszusehen – hierzu vielleicht der neue, lange Cardigan mit den Military-Schulterstücken? – muss ich allerdings erst mal wieder drei Kilo abnehmen. Da stehe ich also vor dem Spiegel und betaste angeekelt meinen Bauch. Ich werde demnächst platzen, so sieht’s aus, wenn ich nicht ganz schnell weniger esse. Sport wäre auch nicht schlecht.

Mit weniger essen ist es aber schwierig. Gehe ich irgendwohin, stehen da Häppchen. Sogar im Büro gibt es immer irgendwo Reste von Buffets. Ständig hat irgendwer Geburtstag und bringt Kuchen. Menschen laden mich ein. Ich bin irgendwo verabredet und bestelle dann doch keinen Feldsalat, sondern die Variationen von der Gänseleber und werfe eine geschmorte Rehschulter und Marillenknödel hinterher. Ich verzichte nie aufs Dessert und esse aus Prinzip zweimal täglich warm. Mein ganzes Sozialleben kreist um gedeckte Tische. Wenn irgendwo ein neuer Laden aufmacht mit einer guten Karte renne ich sofort hin, und wenn ich Gäste habe, esse ich selbst am meisten. Freitag zum Beispiel: Der liebenswürdige Sven K und seine M. essen jeder so circa eine halbe Blutwurst mit Kartoffelpüree und ein bißchen Sauerkraut, eine Miniportion des mitgebrachten sehr, sehr, sehr guten Käses, und ich verschlinge einen halben Meter Wurst und ein Pfund Käse.

Ich fühle mich schwer, als ich schlafen gehe. Unter mir ächzt der Lattenrost. Neben mir wälzt sich der J. Zu meinen Füßen geht die Katze Lilly vorsichtshalber auf Abstand, um nicht dabeizusein, wenn das Bett unter mir zusammenbricht, und ich schwöre bei allen Göttern der Damenkonfektion, schon morgen Gemüse zu erwerben, leichte Speisen zuzubereiten, gedünsteten Fisch, Reis und Möhren. Keine Milch, sondern Molke, keine schweren Weine, sondern höchstens mal ein Glas Weißweinschorle und Zitronenwasser statt der guten Bionade aus Zucker. Hart wird das werden, sehr hart.

Miese Mode

Sie, sofern Sie eine Dame sind, die nicht älter als 20 und nicht schwerer als 50 Kilo ist, dürfen sich glücklich schätzen. Bitte genießen Sie diesen Moment, der sich – abgesehen von seltenen Fällen – in Ihrem Leben nicht wiederholen wird. Dieser Sommer, mein junges Fräulein, ist der Sommer, in denen Ihnen alles steht.

Diese Unter-der-Brust-Taillen-Teile etwa, die im Fachhandel als Boho-Babydolls gehandelt und mit Röhrenhosen oder Leggings getragen werden. Wenn diese Mode das nächste mal in den Schaufenstern liegt, werden sie 15 Kilo schwerer sein, und mit einem solchen Oberteil aussehen, als seien sie schwanger. Möglicherweise bekommen Sie ihre Oberschenkel in die Hosen auch gar nicht mehr hinein.

Unter Umständen sehen Sie sogar in den Schlauch-Oberteilen gut aus, die aus so einem geriffelten, mit Gummizügen elastisch gehaltenen Material bestehen. Jeder, der dicker ist als Sie, sieht in diesen Dingern gern aus wie eine bunte Wurst, und auch die großformatigen Blumenmuster sehen nur an Ihnen richtig gut aus. Ich beispielsweise wirke in einem solchen Kleid wie eine dicke Frau in einer langen, weiten Kittelschürze.

Auch Ballerinas sehen an Ihren Füßen super aus. Na gut, Sie sind auch mindestens 1,80 Meter groß. Tatsächlich hat man, gerät man unversehens in eine Schulklasse auf Berlin-Ausflug, das Gefühl, die Evolution mache beim Längenwachstum junger Mädchen derartig unmäßige Fortschritte, dass in zehn bis zwanzig Jahren die Durchschnittsdeutsche die Zweimetergrenze durchbrechen werde.

Vielleicht haben Sie auch den ganzen Sommer nichts zu tun und liegen in der Sonne. Dann – und nur dann – werden Sie die Gelegenheit haben, eine Bräune zu erwerben, die unerlässlich ist, um Knallgelb, Hellrot oder dieses Mordspink zu tragen, welches gegenwärtig die Geschäfte ziert.

Nun, und wenn Sie nicht 20 sind, und wenn Sie schwerer sind als besagte 50 Kilo, und kürzer als 1,80 – wenn Sie also beispielsweise nur 1,67 zählen und ungezählte Kilos auf die Waage bringen, dann bleibt es Ihnen unbenommen, im zweiten und dritten Stock von P&C, wo die alten Damen zeitlos schlichte Oberbekleidung erwerben, sich von resoluten und sehr patenten Verkäuferinnen Kleidungsstücke bringen zu lassen, die zwar nicht aktuell sind, nicht besonders elegant, aber immerhin passen.

Und wenn Sie zu Hause sind, vergraben Sie alles im Schrank und hoffen auf den nächsten Sommer.

Schreckschraube

Haben Sie, meine sehr verehrten Damen, sich eigentlich schon einmal gefragt, warum die Presseorgane, die sich der Abbildung der weiblichen Anatomie verschrieben haben, eigentlich nie nackte Fünfzigjährige photographieren? Oder warum weder die Spieler der Fußballbundesliga noch die Vorstandsvorsitzenden international operierender Konzerne auf dem Höhepunkt ihrer Karriere in zweiter Ehe welterfahrene Damen zu sich nehmen, die schon einiges erlebt und noch mehr gesehen haben? Und sind auch Sie zu dem Ergebnis gelangt, dass das weibliche Verfallsdatum offenbar eine feststehende, kosmetisch nur unwesentlich zu verändernde Größe darstellt, und der Zenit weiblicher Attraktivität deutlich vor Erreichen des 30. Lebensjahres anzusiedeln ist? Und fragen auch Sie sich manchmal, wann der Zeitpunkt gekommen ist, ab dem Ihr geschätzter Gefährte Sie möglicherweise angenehm, keinesfalls aber mehr so attraktiv wie die Damen in der Zeitung finden wird, und wahrscheinlich beginnt, Sie – wenigstens in Gedanken – mit „Mutti“ anzusprechen?

Hadern Sie mit dieser sicherlich eines Tages eintretenden Entwicklung? Zählen Sie die Tage Ihrer verbleibenden Weiblichkeit? Oder haben auch Sie eines Nachts innegehalten, Ihren schlafenden Gefährten sanft hinter den Ohren gekrault, und beschlossen, auch aus dieser Entwicklung nichts als Vorteile zu ziehen?

Ab Ihrem 40. Geburtstag etwa nie wieder eine Waage zu besteigen, weil es als alte Frau eigentlich egal ist, ob man dick oder dünn übersehen wird? Schon morgens Sahnetorte zu essen, und dann alle drei Stunden Lebensmittel nachzufüllen, bis es wirklich nicht mehr geht? Oder eines Tages einfach zu beschließen, insbesondere Männern nur noch die Wahrheit zu sagen. Männliche Freunde etwa, die sich ja gern einmal an der Schulter einer alten Freundin über ihre Misserfolge bei Frauen ausheulen, schonungslos aufzuklären, warum das so ist? Haarausfall, komische Gesichtsverformungen oder Übergewicht – sonst schamhaft und schonungsvoll verschwiegen – könnte man da einfach mal auf den Tisch bringen, oder in Einzelfällen erläutern, wieso es ohne erheblichen Einsatz finanzieller Mittel überhaupt nie hinhauen wird mit den Frauen. Im Anschluss können Sie sich an der Verzweiflung Ihrer – dann wohl ehemaligen – männlichen Freunde weiden, und bei denjenigen, denen Sie in Ihrem früheren Leben als Frau einmal etwas näher gekommen sind, nochmal nachstoßen und erklären, wieso sich die Annäherung an das jeweilige Exemplar aus Damensicht auch nicht lohnt. Seien Sie skrupellos: Die Herren werden sich schon trösten.

Haben Sie ein in dieser Beziehung amüsantes und eher abwechslungsreiches Leben hinter sich, könnten Sie beginnen, Ihre Memoiren zu verfassen, und allen Männern Ihres Lebens auf diesem Wege noch einmal so richtig einen mitzugeben: Selbst diejenigen, die mit Ihnen seit dreißig Jahen nicht mehr gesprochen haben, werden es lesen. Bezeichnen Sie die Herren ruhig mit ihren realen Namen – bis der Prozess wegen Verletzung von Persönlichkeitsrechten ein rechtskräftiges Urteil nach sich gezogen haben wird, sind Sie voraussichtlich tot. Besonders langweilige Episoden, über die zu schreiben nicht einmal dann mehr Spaß macht, wenn sich sonst nichts mehr tut, verbannen Sie in die Fußnoten.

Beginnen Sie ansonsten, schrill und hexenhaft zu lachen, wenn Ihnen etwas nicht gefällt. Die meisten Menschen finden das unangenehm. Stellen Sie junge, schöne, dumme und eitle Mädchen ein, deren Vorgängerinnen sie schon vor dreißig Jahren nicht ausstehen konnten, und schikanieren Sie sie so lange, bis die jungen Hüpfer Esstörungen bekommen oder sich aus dem Fenster stürzen. Gehen Sie auf die Beerdigung und essen während der Messe Chips.

Nutzen Sie Ihren sauer verdienten beruflichen Erfolg! Essen Sie vor ganztägigen Verhandlungen eine ganze rohe Knoblauchknolle und weiden Sie sich an Ihrer Unentbehrlichkeit für den Laden, den Sie aufgebaut haben. Leisten Sie sich einmal wöchentlich einen Temperamentsanfall, der sich gewaschen hat, und zwar so, dass keiner weiß wann. Genießen Sie, dass man Sie hinter Ihrem Rücken hausintern als die „Großmutter des Vesuv“ tituliert, und die Richter zittern, wenn Sie zu Gericht reiten, um wahlweise die Waffenindustrie, die Atomlobby oder die kommunistische Partei zu vertreten.

Gehen Sie abends zu Bett und sagen Sie sich, Ihr Leben sei schön.

Für später

Die M. sitzt vor der Heizung, die Beine angezogen, und die Hände vor den Schienbeinen verschränkt. Auf dem Bett rauchen die K., die S. und ich, und auf ihrem einzigen Sessel liegt die C.² mehr als sie sitzt. Es gibt Glühwein aus Tetra-Packs, nur DM 1,29 bei Plus, aber heiß und süß. Auf dem Boden flackern ein paar Teelichter, und die beiden Aschenbecher laufen stündlich über und werden in eine Glasschale geleert, damit es nicht anfängt zu brennen.

Es ist morgens, irgendwann zwischen vier und sechs, und wir kommen von einer Party. Die Party der Wirtschaftswissenschaftler vielleicht, vielleicht die feiernde Sportfakultät. Ganz sicher nicht die Juristen, denn dann säße ich nicht hier mit den „Mäusen“, wie meine Lehrstuhlkollegen aus dem Verfassungsrecht spötteln: Die Mäuse, die alle Deutsch und Englisch auf Lehramt studieren, Slawistik und Geschichte auf Magister oder so ähnlich.

An diesem Abend muss die K. getröstet werden, die mit den größten Hoffnungen zu der Party gefahren war, aber der P., um den es – glaube ich – ging, stellte sich als uninteressiert heraus, und muss der P. nun gründlich miesgemacht werden, damit es nicht so schlimm ist, ihn nicht bekommen zu haben. Immer neue Fehler des P. tischen die S. und die C.² der K. auf, von seinen Augenbrauen bis zu seinem Auto bleibt kein Lebensbereich verschont, und ab und zu piepst die K., alle hätten recht, und es sei sicher besser so. Dann folgt ein langes Schniefen.

Still und etwas abwesend sitzt die M. an der Heizung, tröstet nicht mit, trinkt keinen Glühwein und raucht nur ebenso hastig wie die anderen eine Schachtel Marlboro Lights nach der anderen leer. Irgendwann steht sie auf und geht. „Bis bald, Süße.“, wird sie in der Tür umarmt und verschwindet. Ein, zwei Minuten später hört man ihren Wagen anspringen, erst lauter werden, und sich dann langsam entfernen.

Besonders still sei die M. heute gewesen, bemerkt die C.² nun, als sie gegangen ist. Sicher sei so eine Party kein Spaß für die ruhige, schüchterne M., die ihre neunzig Kilo von Semester zu Semester verzweifelter durch die Parties schiebt, und inzwischen nicht einmal mehr zuhört, wenn die C.² oder die S. oder irgendwer über Töpfe und Deckel, und die unendliche Spannweite des männlichen Geschmacks sprechen. – Sie habe noch nie einen Freund gehabt, erzählt die M. einmal nach sehr, sehr viel Sekt und ich nicke, weil mir sonst nichts einfällt. Nicht so schlimm, möchte ich sagen, aber weil das gelogen wäre, bleibe ich lieber still.

Um geliebt zu werden, müsse man sich auch selber lieben, behauptet die S. und lobt die zarte Haut und die Oberweite der M.. Wenn die M. sich selber erst einmal mögen würde, stünden die Bewerber Schlange, nett, reizend und natürlich, wie die M. sei. Die Problem, doziert die auffällige, gertenschlanke S. vor sich hin, säße im Kopf der M., nicht auf ihren Hüften. Wo aber auch immer die Ursache für den amoureuxen Misserfolg der M. zu verorten ist: Im nächsten Semester ist sie noch schwerer, noch unglücklicher, und geht noch weniger gern zu den Parties der Fakultäten oder gar anderswohin. Allein in ihrem Appartement raucht die M. irrsinnig viele Zigaretten, tröstet sich mit Sekt oder Pralinen, und ab zu bekommt sie Besuch.

Es macht wenig Spaß, der M. beim Unglücklichsein zuzuschauen, und so bleiben die Gäste langsam aus. Irgendwann beginnt die M., immer später aufzustehen, seltener zur Uni zu gehen, und weint manchmal unvermittelt, wenn man sie anruft. Zur Hochzeit ihres Vaters mit einer Frau, die keine zehn Jahre älter ist als die M., sagt sie ab. Der M. müsse geholfen werden, sagen die C.², die S. und die anderen, aber am Ende sitzt die M. wieder allein in ihrer Wohnung, und was sie da tut, weiß keiner mehr so recht, weil keiner nachschaut.

Eines Tages kommt die M. gar nicht mehr in die Uni, und als S. und C.² klingeln, macht niemand auf. Im Krankenhaus sei die M., sagt ihr Vater, den die C.² anruft. Ein paar Tage später ruft wiederum er die C.² an und bittet darum, seiner Tochter eine Tasche zu packen. Seine Tochter ginge es schlecht. Den Schlüssel schickt er der C.² zu.

Am anderen Abend steht die C.² in der Wohnung der M. Im Dämmerlicht hinter geschlossenen Vorhängen liegt alles durcheinander. Das Parkett ist schmutzig. Asche und Stanniol, Papier, Glas und Plastikverpackungen liegen herum, und das Bett ist lange weder gemacht noch die Bettwäsche gewechselt worden. Im Badezimmer riecht es muffig und feucht.

Die Tasche der M. steht auf dem Schrank. Der Schrank selber ist riesengroß, ein fünftüriges, massives Monstrum, und als die C.² die Türen öffnet, hängen Dutzende von Kleidern und Hosen, Blusen und Oberteilen ordentlich nebeneinander, und aus allen Kleidungsstücken, aus jeder Bluse, an jeder Hose hängen die Etiketten der Geschäfte heraus. Ganz neu sind die Kleider der M. Nicht schlecht, denkt die C.², die selbst bei H&M auf die Preise schauen muss, und ihr Geld in einer Buchhandlung verdient, abends und an Samstagen. Nicht schlecht, denkt sie, als sie die Preise sieht. Die M. hat nicht gespart beim Kauf, aber getragen, getragen hat sie die mit Geschmack und Sorgfalt ausgesuchten Kleidungsstücke nie, und die C.² erschrickt: Jedem Etikett, dreißig oder vierzig baumelnde Papierschildchen, ist zu entnehmen, dass dieses Kleidungsstück für schlanke Frauen geschneidert worden ist, für sehr schlanke Frauen: Größe 36 hat die M. gekauft, Spitzenwäsche und Cocktailkleider, knappe Oberteile für abends und Kostüme für wer weiß schon welchen Anlass.

Für später, wird sie der C.² tags drauf im Krankenhaus erklären. Für später, wenn alles anders geworden sei, wenn ihr Leben ihr gefällt, wenn die Anlässe stattfinden, für die man Cocktailkleider und bunte Röcke braucht, habe sie eingekauft, und stumm steht die C.² neben dem Krankenhausbett und sucht nach den richtigen Worten.

Ob es aber dieses Später gegeben hat, ob die M. die vielen Röcke, T-Shirts und Hosen jemals getragen hat, das weiß ich nicht, denn in die Uni kam die M. nicht zurück. Ob sie woanders weiterstudiert hat, weiß ich auch nicht zu sagen, denn bei uns, bei der S., der C.², der K. oder mir hat sie sich nicht mehr gemeldet.

44

Die westliche Welt kennt, wie man weiß, kaum etwas Brutaleres als die Spiegel bei H&M, in denen jede mir bekannte Frau Dellen auf den Oberschenkeln hat, und auf vollkommen indiskutable Art und Weise oben, unten, rechts und links aus den Sachen quillt, die man da kaufen kann. Um aber auch jene Menschen, die diese Umkleiden nicht benutzen, restlos zu deprimieren, hat sich der erfolgreiche schwedische Konzern etwas Besonderes ausgedacht, und bietet auf seiner Homepage unter dem links oben angebrachten Punkt „Umkleide“ die Möglichkeit, Personen zu gestalten, die die eigenen Maße aufweisen und sodann angezogen werden.

„Create my model“, heißt die ganze Veranstaltung, und wer darauf klickt, sieht kurz darauf eine junge Dame (Männer gibt es auch), die ungefähr so aussieht, wie öffentlich abgebildete Frauen immer aussehen. Wie man auf der rechten Seite sehen kann, hat sie eine Sanduhrfigur, und wiegt bei einer Größe von 1,75 ganze 44 Kilo. Ansonsten ist sie braungebrannt, europäisch, jung, und trägt einen Pferdeschwanz.

44, kneife ich mir unwillkürlich in den Bauch. 44. 44 Kilo habe ich zuletzt in der gymnasialen Unterstufe gewogen, da war ich circa 12, ruderte, ritt und rannte, fuhr jeden Tag mit dem Fahrrad zur Schule, und wurde biologisch hochwertig und ziemlich schwer zerkaubar ernährt. 44, murmele ich leicht verstört und mache mich auf den Weg ins Bad. Zum Glück ist die Batterie der Waage leer.

Um meine Leidensfähigkeit zu testen, gebe ich meine Größe und mein ungefähres Gewicht ein. Sehr jung bin ich auch nicht mehr, glaube ich, und lange Haare habe ich auch nicht, sondern mehr so eine praktische nackenbedeckende Halblangfrisur, die eigentlich nie sitzt, aber darauf kommt es wahrscheinlich eh nicht mehr an. – 44, schnaufe ich vor mich hin.

Letztlich ist irgendwo ein Model verhungert, beruhige ich mich und fasse die dicke Dame auf dem Bildschirm fest ins Auge. Sie ist….nun, rundlich, könnte man sagen. Jürgen Teller oder Karl Lagerfeld würden sich angewidert abwenden. Gleichzeitig versuche ich mir die Differenz zwischen meinem Gewicht und 44 Kilo in Butterstücken vorzustellen. Bei der Vorstellung wird mir schlecht.

44 stöhne ich und beschließe, nur noch Sushi und thailändische Suppen zu essen. Wenn ich jede Woche 1,5 Kilo abnehme…, rechne ich vor mich hin und drehe mich in bißchen vor dem Spiegel an meinem Schlafzimmerschrank. Rund 100 Jahre alt ist der Schrank, und vermutlich, so spekuliere ich, waren alle früheren Eigentümerinnen schlanker. Sogar der Schrank lacht mich aus.

„Tja, Madame Modeste!“, kichert der Schrank und knirscht ein bißchen mit den Scharnieren. „Dermaßen viel Stoff für ein Frau ist mir auch noch nicht untergekommen.“, und biegt sich vor Lachen ein bißchen in den Seiten. „Du sei ruhig!“, werfe ich dem Schrank eine ziemlich große Jeans an den vorlauten Spiegel.

44, 44, murmele ich auf dem Bett liegend verstört vor mich hin, starre an die Decke und betaste verstört meinen Bauch.

Hosenwunder und Skeptizismus

Man muss sich das fast ein wenig unheimlich vorstellen: In Gesellschaft meines geschätzten ehemaligen Gefährten, des lieben J., betrete ich so gegen 17.00 Uhr den HUGO-Shop am Hackeschen Markt, eine lächelnde Verkäuferin kommt mir entgegen, und zehn Minuten später stehe ich in einer der wirklich sehr schönen, vollverspiegelten und riesengroßen Kabinen und nicke meinen vielen Spiegelbildern wohlgefällig zu. Die Hose passt.

„Die nehm‘ ich mit.“, übergebe ich der netten Verkäuferin das Hosenwunder und wühle in meiner Tasche nach meinem Portemonnaie. Besonders teuer sind die Jeans auch nicht, so verglichen mit anderen namhaften Jeansfachgeschäften, und mit dem neuerworbenen Kleidungsstück sauber eingeschlagen in dieses Knisterpapier, in das man normalerweise Hemden verpackt, und versehen mit einer glitzernden Karte, auf der sich das HUGO BOSS Imperium für den Einkauf bedankt, stehen wir keine halbe Stunde nach unserem Eintritt wieder vor dem Geschäft. Dem geschätzten ehemaligen Gefährten stand der Schweiß der Erleichterung sichtbar auf der Stirn: Noch einmal davongekommen.

„Ich kann’s gar nicht fassen.“, beschwor ich den Geist des Hosenwunders später über den Resten schwarzen und weißen Pressacks mit Bier im Weihenstephaner und zündete mir eine Zigarette an. „Da stimmt doch irgendetwas nicht.“ – „Was ist denn jetzt schon wieder?“, ächzte der J. und schickte verzweifelte Blicke an die Decke des Lokals.

„Warum geht es bei HUGO, und im Dieselstore führen sie meine Größe nicht einmal?“, sinnierte ich, und warf zweifelnde Blicke auf die Tüte, in der sich die Jeans verbarg. „Ist HUGO vielleicht, ohne dass sich mir dies erschlossen hätte, ein Label für nicht mehr ganz junge, schon etwas aus dem Leim gegangene Leute, und schon deswegen eigentlich untragbar für die Gruppe der wahrhaft lässigen und schönen Menschen, deren bevorzugte Jeans ich auch gerne tragen würde? Oder geht es HUGO schlecht, und man ist in Metzingen angewiesen auf den Mehrerlös aus dem Verkauf von Jeans an kleine, dicke Frauen mit Jeansgröße 29/32, und an den Hosen haftet der Geruch der Verzweiflung und Erfolglosigkeit? Lachen schöne und stylish dreiundzwanzigjährige DJ’s und Schauspielschülerinnen über meine Hosen? Bedeutet der Kauf dieser Jeans meinen endgültigen Eintritt in ein Erwachsenenalter, das den selbstverständlichen und entspannten Glanz der Jugend nur noch in Übergröße zu imitieren versucht?

Oder habe ich schlichtweg einen Schaden, und die Jeans sind okay?“