12.04.2012

Auf dem Rückweg nach Berlin döse ich ein. Unter mir rattern die Schienen, und die Landschaft hinter dem Fenster ist flach und grün und wird selbst durch den Frühling kaum verzaubert. Hier hausen keine Heckenelfen. Hier ist kein Waldgeist zu Hause. Hier werden nur Rüben angebaut, Weizen oder Mais.

Auf meinem Bauch liegt das Kind und schläft, in meiner Cicero steht irgendwie nichts drin, und die Balken im Display meines Telephons sind so klein und schwach, dass sie kein Gespräch tragen würden. Es reicht nicht mal für facebook oder ein paar Mails an Freunde.

Dass Deutschland zum allergrößten Teil aus solchen leeren Räumen besteht, fällt mir ein, halb schon schlafend auf der Fahrt vorbei an ein paar einzelnen Häusern mit Silos und Scheunen und Traktoren auf dem Hof. Dass ich nie verstanden habe, was die Leute hier eigentlich den ganzen Tag machen, wenn es gar nichts gibt, nicht einmal ein lausiges Kino oder ein einziges nettes Café. Dass ich es ganz und gar verstehe, wenn hier weder ein Arzt wohnen will noch ein Lehrer, und dass ich heilfroh bin, dass ich hier nur Passant bin, vorbeigetragen im ICE, auf der Fahrt von einer Stadt zu einer anderen, und ich freue mich auf den Abend mit dem M.2, der mir von seiner Reise durch Indien erzählen wird in einem Restaurant in Mitte.

12 Gedanken zu „12.04.2012

  1. Nun ja, es gibt schon wüste Ecken immer dort, wo es auch in den Menschen wüst aussieht. Allerdings muss man auch sagen, dass überall dort, wo die Bahn ist, Deutschland auch nicht wirklich schön ist, vielleicht einmal von den Strecken am Oberrhein und entlang des Mains abgesehen. Bezeichnenderweise wird es dann immer in den grossen Städten erst richtig scheusslich. Siehe Frankfurt.

  2. Ja, was tut man in solch‘ trostlosen Gegenden. Ich bin so aufgewachsen. Tiefste DDR auf dem Lande: Nur ein winziges Kino, in dem selten gute Filme liefen. Der Wald direkt hinterm Hof, die Ostsee fünf Minuten entfernt. Kein Fernseher, kein Telefon. Das Wort „shoppen“ völlig unbekannt. Die Läden leer. Schon der Kauf einer simplen Unterhose, einer Apfelsine oder einer Nähnadel eine riesige Herausforderung. Das Essen in Restaurants ungenießbar. Und da war er auch, der Druck von außen, den habe ich schon als Kind ganz deutlich gespürt. „Nicht studieren dürfen“ hing immer als Drohung über meinem Haupt. Auslandreisen fast gar nicht möglich.
    Ja, verdammt, was haben wir damals nur getan? Nun gut, ich war noch Kind. Aber was taten meine Eltern in Ihrer Freizeit?
    Ich erinnere mich an das Lesen unzähliger Bücher, an unsere Töpferwerkstatt im Keller, lange Spaziergänge und Radtouren mit unserem Hund. Den Duft des Waldes nach einem Regen. Die aufsteigenden Nebel auf den Wiesen. Nackt baden im Meer zu fast jeder Jahres- und Tageszeit. Das Basteln in der Vorweihnachts- und Osterzeit, das Bestellen von Beeten, das Ernten und Vearbeiten von Wildfrüchten oder Gartenfrüchten. Lange Spiele- oder Vorleseabende. Lustige Runden von Freunden bei Kerzenschein. Meine Eltern beim Tanz im Dorf mit einer Live Combo. Und immer mit dem Fahrrad unterwegs. Und doch auch in diesem winzigen Kino Filme gesehen. Den betrunkenen Filmvorführer immer wieder durch Rufe und Pfiffe geweckt, damit er das Bild scharf stellt oder die nächte Rolle einlegt.
    Urlaube im Harz, im Vogtland, an der Müritzer Seenplatte und auch mal in der Tschechei. Urlaube voller Wanderungen. Baden in Quellwasser. Abende am Lagerfeuer. Gitarre.

    Alles ein wenig „amish“ vielleicht, aber ohne Gott und mit gleichberechtigten Frauen.

  3. REPLY:

    ich möchte da auch nicht unbedingt wohnen, aber icj denke in solchen gegenden machen die leute im schnitt oft sinnvollere dinge als andere im hirnfreien ablenkungsgetöse der großstädte.

  4. REPLY:

    ja, leben in der provinz kann eine ganz andere intensität (lesen, auseinandersetzung mit sich) und wahrnehmung der natur bedeuten.
    von der ruhe & dem zeiterleben (gefühlt: die zeit vergeht weniger schnell als in der stadt), die ein strukturiertes, weniger „inputtiges“ leben mit sich bringt, mal abgesehen.

    heute würde ich allerdings ein gewisses freundes-netzwerk benötigen, um die provinz so wie in der kindheit genießen zu können.

  5. REPLY:

    Ich auch. Ich höre mir regelmäßig von aller Welt an, für den Preis meiner Wohnung hätte ich auf dem Land ein Haus bekommen und freue mich jedesmal, dass ich dieses Haus nicht habe.

  6. REPLY:

    Ich glaube, sie idealisieren das Landleben. Ich bin ja ein Kind des Speckgürtels, da gab es schon ganz schön viel Land, aber die Konzentration aufs Wesentliche, von der Sie sprechen, hat da nicht mehr stattgefunden als an irgendeinem anderen Ort. Natürlich lesen Leute auf dem Land. Leute in der Stadt lesen auch. Charakteristisch für das Landleben ist aber nicht der lesende Dorfbewohner, sondern die Scheunenfete, der Landfrauenverein und eine umfassende Sozialkontrolle, ausgeübt durch Klatsch und Tratsch.

  7. REPLY:

    Brandenburg auf dem Lande ist natürlich eine Gegend, auf die die Republik vermutlich auch gut verzichten kann. Da könnte die Bahn überall fahren, da sieht es nirgendwo besser aus. Ich war ab und zu beruflich in der brandenburgischen Provinz, da ist es eigentlich (mit Ausnahme von Potsdam) durchweg scheußlich. Weder Berge noch Meer, schlechtes Essen und die Leute wirken zum großen Teil irgendwie depraviert.

  8. REPLY:

    Nein, nein, ich idealisiere da nichts. Aber das war auch vor der Geburt des Computers und Mobiltelefons. Außerdem hatten wir wie oben erwähnt auch kein Telefon und keinen Fernseher und meine Eltern frönten auch keinem oftmals auf dem Lande exzessivem Alkoholkonsum. Da konzentriert man sich wirklich auf völlig andere Dinge. Und sogar Kultur gab es auf dem Lande – es wurden Alternativen zur propagandistischen Kultur gerade auf dem Lande geschaffen. Glauben Sie mir!
    Meine Mutter wohnt heute wieder dort, aber jetzt sind da ein Fernseher und ein Computer, denen wesentlich mehr Platz im Leben eingeräumt wird. Bücher werden weniger gelesen. Die Werkstatt ist kaum benutzt. Aber der tägliche und sehr ausgiebige Kontakt zur Natur ist geblieben.

  9. REPLY:

    Sie sind bestimmt eine Ausnahme, aber mir fällt immer wieder auf, wie ungesund manche Leute da aussehen. Das hat nichts mit Kleidung oder Haaren zu tun, ich tippe auf die Ernährung. Dazu sind die Brandenburger meiner Erfahrung nach sagenhaft unfreundlich, aber vielleicht sind sie’s auch nur zu mir. Ich sehe nicht so besonders teutonisch aus.

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert

Sie möchten einen Kommentar hinterlassen, wissen aber nicht, was sie schreiben sollen? Dann nutzen Sie den KOMMENTAROMAT! Ein Klick auf einen der Buttons unten trägt automatisch die gewählte Reaktion in das Kommentarfeld ein. Sie müssen nur noch die Pflichtfelder "Name" und "E-Mail" ausfüllen und den Kommentar abschicken