Oh Mann, denke ich und versinke in tiefes Schweigen über meinem Joghurtshake mit Lychee. Eigentlich sollte man jetzt aufstehen und gehen. Dabei sagt gerade niemand etwas, das wirklich fies wäre. Es mag an der einen oder anderen Äußerung sogar etwas Wahres dran sein. Es ist auch nicht so, dass mir jedes Verständnis für Leute anginge, die sich auch mal ein bißchen Luft machen müssen. Auch die fünf Mütter, die hinter ihren Drinks und neben ihren Kindern auf dem Helmholtzplatz sitzen, sollen mal jammern dürfen, aber so viel Gejammer auf einen Haufen macht mich aggressiv.
Die eine Mutter jammert über ihr Kind. Das Kind ist hübsch, blond und zart, aber es hat immerzu Hunger, gerade nachts. Die Frau stillt voll, und so langsam zehrt das nächtliche Stillen an ihren Nerven. Nun ist es nicht meines Amtes, voll stillenden Müttern ein abendliches Fläschchen zu empfehlen, aber wäre das denn wirklich so schlimm? Und wäre dann nicht vielleicht Ruhe? Und würde dann nicht vielleicht auch der Mann der jammernden Mutter aus dem Gästezimmer ins Schlafzimmer zurückkehren? Für die meisten Beziehungen ist ein gemeinsames Schlafzimmer, wie man wieß, ja generell ganz gut. Außerdem könnte auch der Mann ab und zu nachts Fläschchen geben. Das wäre großartig, denn dann könnte die Jammernde auch einmal schlafen. Die Frau scheint aber lieber zu jammern.
Die nächste Mutter jammert über ihre Putzi. Nie scheint es sauber zu sein, immer liegt irgendwo etwas herum, die Fenster sehen schmierig aus, außerdem könne die Frau kein deutsch, so dass sie keine Anweisungen verstehe. Ich gähne. Ich bin ein bißchen genervt. Ich will gar nicht damit anfangen, dass andere Leute ihre Wohnungen selbst sauber machen müssten. Ich wäre auch sehr schlecht gelaunt, müsste ich mich um diese Dinge selbst kümmern, aber über seine Putzi zu jammern, wirkt sowohl schrecklich unsympathisch, als auch ein bißchen dumm. Die Stadt ist voller putzender Polen. Niemand muss über die Dame jammern, die die eigenen vier Wände sauberhält. Es sei denn, er will es genau so und nicht anders.
Mir gegenüber wird ebenfalls gejammert. Hier fühlt sich die Mutter eines kleinen, hübschen Buben nicht ausreichend gratifiziert. Den ganzen Tag kümmere sie sich um den kleinen Kerl, laufe zum PEKiP und zur Babymassage, wickele, füttere und habe keine freie Minute. Ihr Freund dagegen gehe Tag für Tag ins Büro. Jeder, so mein Gegenüber schenke ihrem ziemlich viel arbeitenden Freund Anerkennung, aber über sie denke man gemeinhin nur, sie sitze den ganzen Tag herum und trinke Kaffee. Insbesondere ihr Freund denke das, behauptet die Mutter des Bübchens und kratzt mit einem Löffel den letzten Schaum aus einer Tasse Capuccino.
Um ein Haar hätte ich nachgefragt, wieso nicht die Mutter des Bübchens nach sieben Monaten wieder in ihr Büro zurückkehrt, und den kleinen Kerl dem Mann überlässt. Oder als kleine Sofortmaßnahme für ein Wochenende mit Freunden wegfährt und den Kleinen solange beim Papa lässt. Schätzungsweise ist dann Schluss mit der Annahme, ein Baby bedeute ein immerwährendes Wochenende. Auf der anderen Seite: Auch wenn es keine Mutter gern zugibt – man hat schon ziemlich viel frei und sitzt irgendwo im Café. Ich beispielsweise habe lange nicht so viel geschlafen, ewig nicht soviel gelesen, und wer nicht gerade alleinerziehend ist, kommt abends auch einmal ein bißchen vor die Tür.
Reißt euch mal ein bißchen zusammen, verkneife ich mir, und verpacke Kind F. ordentlich in seinen Wagen. Ich will nicht moralisieren, aber rund um den Tisch hat es ziemlich jeder ziemlich gut. Es kommen bestimmt die einen oder anderen härteren Tage. Bis jetzt, schiebe ich meinen Wagen durch den Prenzlberg heim, haben die aber ganz sicher noch nicht begonnen.
ich bin erleichtert, das es mütter gibt wie Dich. (und lass gerade mal das übliche „Sie“ weg, mir ist grad so.)
In mir steigt ebenfalls gerade eine Sympathiewelle hoch. Meine Frau hätte das genauso gesehen.
Es fängt schon vorher an: als meine Frau schwanger war, hatten wir damals einen Untermieter, einen befreundeten Studenten. Der war damals schon verheiratet und hatte einen Sohn, der mit seiner Mutter in Oberösterreich wohnte, während Johnny noch sein letztes halbes Jahr fertig machen musste.
Eines Abends fragte Johnny so beiläufig, ob meine Frau schon hinsichtlich der Geburt besorgt wäre. Ich glaube, er verwendete die Worte „Angst haben“. Ich habe meine Frau selten so aufgebracht wie damals gesehen. „Was glaubt er denn? Ist die natürlichste Sache auf der Welt. Wenn man davor Angst haben sollte, könnte man sich ja gleich …“
Als meine Tochter wenige Wochen später zur Welt kam, war es eine recht einfache und vergleichsweise schnelle Erstgeburt. Dabei war meine Tochter sehr groß, während meine Frau eher klein ist.
Aber es ist schon beachtenswert, wovor Männer Angst haben und Frauen jammern. Oder auch umgekehrt.
Jammern ist viel einfacher, als etwas in die Hand zu nehmen und zu ändern. Außerdem fühlt sich der/die Jammernde interessant, würden diese Menschen nichts mehr zu Jammern haben, würden sie ja ihres Gefühls nach uninteressant.
@Steppenhund – ich bewundere Ihre Gattin. Wäre ich je schwanger gewesen hätte mich der Geburtsvorgang sehr geängstigt. Man hat mir schon sehr früh einsuggeriert, dass ich so wehleidig sei und die nachfolgende Frage war „was tust du, wenn du mal ein Kind kriegst“.
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@flyhigher: Meine Gattin ist auch zu bewundern. (Schließlich kommt sie mit mir aus.) Aber in manchen Dingen ist sie wiederum sehr ängstlich und unentschlossen, in anderen sehr, sehr stur. Es ist eine reizvolle Mischung.
Dankeschön
Danke für diesen Text. Ja, in all dem Überfluss in dem wir leben, scheint das Leben ganz besonders schwer zu sein.
Ich bin allein erziehend. Immer wenn mich mal das Jammern überkam, habe ich mir einfach jedes Mal vorgestellt (das ist wirklich kein Witz), ich lebte in der dritten Welt. Da war das magere Gehalt aus dem Teilzeitjob plötzlich purer Reichtum, meine nach deutschem Maß kleine Zweizimmerwohnung war plötzlich ein Palast, mein Kind ist durch Krankenversicherung und Medikamente ohne Zuzahlung extrem gut versorgt, meine Tochter darf obwohl sie ein Mädchen ist, zur Schule gehen und muss nicht mit 12 Jahren heiraten, mein Kind hat immer zu essen, ich musste nicht direkt nach einer Geburt an einem Feldrand wieder zurück an meine schwere körperliche die Arbeit, denn ich habe hier in Deutschland eine Schonzeit etc.
Oder ich denke an meine Großmutter (das habe ich sehr oft seit der Geburt meiner Tochter getan), die sich mit einem 4-jährigem Kind und zwei hinfälligen Greisen 1945 auf der Flucht befand – ohne zu wissen, wo sie hin soll. Und das inmitten eines kalten Jahrhundertwinters.
Oder ich unterhalte mich zufälligerweise mit der Vietnamesin in dem kleinen Obstladen und sie erzählt mir, wie sie ihre Kindheit inmitten eines Krieges verbracht hat. Leichenteile auf den Straßen. Überall Leid. Beim Erzählen wischte sie sich immer wieder über die Augen und ich musste auch weinen. Ich sagte ihr, dass wir so dankbar sein müssen, dass unsere Kinder nicht im Krieg aufwachsen.
Oder eine Freundin aus Angola erzählt so ganz nebenbei beim Grillen, während unsere Kinder im Garten spielen, wie vor ihren Augen, als sie im Alter unserer Kinder war, also mit vier Jahren, ihr Bruder erschossen wurde. Immer diese Angst, immer der Hunger. Jeden Tag.
Diese Bekannten oder Freundinnen jammern nicht.
Und wenn ich mit diesen Menschen geredet habe oder mir mein Leben an diesen Orten vorstelle, bin ich jedes Mal dankbar für das Privileg hier in Deutschland geboren zu sein – auch wenn ich vielleicht über die derzeite politische Entwicklung nicht gerade besonders glücklich bin.
Vielleicht sollte sich Ihre Freundin einmal mit der Putzfrau unterhalten. Die Verständigungsschwierigkeiten kann sie vielleicht ja überwinden. So etwas kann sehr erhellend sein.
was sollte man am helmi anderes hören?
mich wundert, daß nicht über entwicklungsvortschritte und kursbesuche geredet wurde.
gepamperte kinder bekommen kinder, die zunächst noch nicht funktionieren wie sie sollen.
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Ach, danke! Ich hoffe, der F. sieht das irgendwann genauso.
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Das sehe ich genauso. Jammenr ist Einstellungssache.
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Jammern scheint wirklich eine Art Luxus darzustellen, das sich Leute leisten, wenn alles da ist, vergleichbar mit Yoga und Blumenstecken.
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Sie haben den Nagel auf den Kopf getroffen. Um Entwicklungsschritte („V dreht sich ja seit einigen Tagen.“, „K macht mir Sorgen: Er scheint meinen Mann nicht zu erkennen.“) und Kurse in Babymassage, Beikostzubereitung, PEKiP und Early English ging es auch. Das langweilt mich dann immer ganz besonders. Ich habe nämlich beschlossen, Kind F. selbst und anleitungslos zu streicheln, für ihn zu kochen und mit ihm zu spielen. Nur zum Babyschwimmen haben wir einen Kurs gebucht, denn ein Bassin dieser Größe haben wir nicht daheim.
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Eben dies lag mir auch auf der Zunge. Madame, lassen Sie es sich gut gehen!!
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vielen dank für diesen kommentar.
ich breche wohlstand immer auf eine geheizte wohnung, eine funktionierende warme dusche, einen teilweise gefüllten kühlschrank und eine halbwegs sichere umgebung runter. wer das alles mal längere zeit nicht hatte weiß das sehr zu schätzen. ansonsten empfehle jedem mal einen kurztrip zu den großstädten guatemalas oder venezuelas. das erdet für immer.
p.s.: das mit dem yoga ist ein übles vorurteil http://youtu.be/bxcfRSsFY6o . ich betreibe seit vielen jahren kraftsport welcher den yoga anforderungen recht nahe kommt, aber von dem was hier allein kraftmäßig gezeigt wird bin ich mehr als ein lichtjahr entfernt (yoga ist übrigens fester bestandteil der ausbildung der navy seals). ganz großes kino …
Danke für diesen Text. Es ist manchmal gar nicht zu glauben, über was alles so gejammert wird. Wenn sich z. B. in einem Gespräch herauskristallisiert, dass ich meine Tochter nicht selbst geboren habe, wird sofort für mich gejammert. „Ohhh, das Adoptionsverfahren war bestimmt ganz kompliziert!“, „So von 0 auf 100 Eltern werden ist sicher furchtbar anstrengend und ein Schock.“, „Was, ihr habt die Herkunftsmutter kennengelernt? Wie schlimm!“. Wenn ich dann alles verneine und versichere, dass das alles die beste Idee unseres Lebens war und das unsere Tür noch immer für ein weiteres Kindchen offen steht – ernte ich völlige Verständnislosigkeit. Aber was soll ich sonst sagen: es gibt einfach nichts zu jammern. 🙂