Blaubart und Eisente

Die L. selbst habe ich nie gesehen. Ich stelle sie mir wie ihre Cousine vor, meine alte Freundin, die A.. Also so rein typologisch ungefähr das, was die Hamburger (oder nur Anke Gröner?) eine Eisente nennen, eben eine sehr große, schlanke, blonde, sehr kühle und manchmal etwas grobknochige Frau mit großen Zähnen und weißen Blusen zu Caprihosen. Komplett nur mit Perlen in den Ohren.

Wie viele dieser Hamburger Damen ist auch die L. Richterin. Ich nehme an, dass der Mangel an Temperament diese Frauen zu diesem Job befähigt. Ich zum Beispiel besitze ebenfalls formell die Befähigung zum Richteramt, aber faktisch würde ich vor lauter Sym- und Antipathien nur ganz, ganz großen Käse verzapfen, alle würden verzweifeln, nicht zuletzt ich, und dann … aber ich schweife ab. Die L. ist also Richterin, und anders als ich kann sie das auch wohl ganz gut, denn kürzlich ist sie Vorsitzende geworden, und das ist nicht schlecht in ihrem Alter. Karriere, kann man also sagen, tipptopp.

Ob auch die Ehe dieser Dame in die Tipptopp-Kategorie fällt, darf man möglicherweise bezweifeln, auch wenn bei ihrer Hochzeit das Wetter schön, die Musik dreier Cousins in der Kirche stimmungsvoll, die Predigt von einem alten Freund der Familie rührend und feierlich und das Essen herrlich gewesen sein soll. Man feierte im großen Garten einer Tante. In den Bäumen hingen Lampions, alles war voller Kerzen und Blumen, und selbst Leute, die nicht gern tanzen, wirbelten selbstvergessen-freudig durch den Garten. Es habe nach Beeren gerochen, behauptet die A., nach Pfirsichen und Blüten.

Auch die L. tanzte den ganzen Abend. Sie tanzte mit ihrem Vater und allen ihren Brüdern (das sollen mehrere sein). Sie tanzte mit ihren Onkeln. Sie tanzte mit den Onkeln ihres Mannes, und am meisten tanzte sie natürlich mit ihrem Mann F.. Der ist ebenfalls riesig und blond und ein Anwalt, der irgendwas mit Schiffen und Seefahrt macht.

Zwischen den Tänzen saß die L. auf ihrem prächtig geschmückten Stuhl und sprach mit den Gästen. Die meisten kannte sie natürlich. Aber einige kannte sie auch nicht, die hatte ihr Mann eingeladen, und der war vor seiner Sesshaftigkeit in Hamburg ziemlich viel in der Welt herumgekommen, hatte überall ein paar Freunde aufgesammelt, und die meisten waren zur Hochzeit erschienen.

Irgendwann saß die L. also neben einer Frau, die ihr ganz auffällig ähnelte. Also sehr, sehr. Nun sehen diese Hamburgerinnen ja alle so ein bißchen ähnlich aus. Der Hamburger Genpool ist nämlich nicht so groß. Die Ähnlichkeit dieser Frau mit der L. ging über die normale Ähnlichkeit aller Hamburgerinnen untereinander aber deutlich hinaus. Sie hätten Schwestern sein können oder nicht so ganz perfekte Kopien.

Die fremde Frau erwies sich als sehr nett. Also aus der Perspektive einer Hanseatin. Außerdem erwies auch sie sich als Richterin. Sie war ebenfalls verheiratet. Sie hatte zwei Kinder, und im Laufe des kurzen, aber netten Gesprächs mit der L. kam die Rede auch auf das Ferienhaus der Fremden, irgendwo in Oberitalien. „Das hat mir der F. ja damals überlassen“, sagte die Fremde. Die L. machte große Augen und hielt Ausschau nach ihrem Mann.

„Der F. war ja immer gr0ßzügig.“, lobte die Fremde den Gatten der L. und zwinkerte ihr verschwörerisch zu, und die L. verstand die Welt für ein paar Sekunden ganz und gar nicht mehr. Dann ging ihr alles auf. Und sie fragte. Danach – das hat die A. selbst gesehen – suchte sie ihren Mann und hielt mit ihm dann eine lange, lange Besprechung, bei der sie sich die F. laut ihrer Cousine aber sehr gut gehalten habe, und wenn sie erschüttert gewesen sei, dann hätten selbst sehr nahestehende Personen hiervon nichts bemerkt.

Auf dem Stand des Hochzeitstages verharren die Besprechungne zu diesem Thema nun schon seit Wochen: Der F. behauptet zwar steif und fest, er habe seine Exfrau niemals verschwiegen. Wäre dem so, so argumentiert er nicht ohne innere Logik, hätte er doch niemals jene zu seiner Hochzeit eingeladen. Er habe fest angenommen, die L. sei von vornherein im Bilde gewesen. Die L. jedoch streitet dies ab.

Wie ihre Cousine angesichts dieser schwer vereinbaren Versionen einer für das gedeihliche und vertrauensvolle Zusammenleben alles andere als irrelevanten Geschichte nun mit ihrer noch jungen Ehe umzugehen gedenkt, weiß die A. nicht zu sagen. Ihre Cousine sei keine besonders emotionale Person. Wenn aber nach dieser Geschichte – etwa bei Taufen oder Geburtstagen oder auch einfach so – weitere Exfrauen auftauchen, dann werde die L., da ist die A. sich sicher, ernsthafte, ja tiefgreifende, wenn nicht gar einschneidende Konsequenzen nicht ausschließen, und wenn ihre Cousine sich einmal zu etwas entschieden habe, dann setze sie das auch ganz bestimmt um. Eiskalt, meint die A., und da sei sie sich vollkommen sicher.

13 Gedanken zu „Blaubart und Eisente

  1. drei punkte mag ich ja nicht, drei punkte gehören verboten. in der literatur und überhaupt. drei punkte kann man nicht lesen.

    ich oute mich also als unromanze, mich würden die nicht weiter ausgeführte abschweifung interessieren… 😉

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