Die guten Zeiten

Aufzuwachen an einem Morgen im Juni und dann in Unterwäsche durchs leere Haus. Die Terrassentür öffnen und den Hund in den Garten lassen. In der offenen Gartentür sitzen, die warmen Steine unter den Sohlen, und gerade so weit weg von der Telephondose, wie die Schnur so eben noch reichte, die N. anzurufen, den T., den J.2, und dann so lange im ganzen Haus nach Geld suchen, bis es für meinen Benzinanteil gerade langt. Um elf ans Meer im blauen, selbstbemalten VW-Bus von O., und vier Stunden später am Strand liegen, Sand zwischen den Zehen, Sand auf dem Bauch, das billigste Bier von Aldi in Westerland und mit dem J.2 über alle diejenigen lachen, die nicht wissen, was es heißt, zu leben und 18 zu sein, und einen Dreck darauf zu geben, was nächstes Jahr im Abizeugnis steht.

Nachts in irgendwelchen Häusern. Die Eltern des B. hatten ein Haus in Kampen. Die Mutter der S. eine Wohnung in Hörnum. Zu sechst in verschwitzten Schlafsäcken auf den Dielen, sich in der Frühe mit der N. zu streiten aus schierer Lust an der Aktion, an der brennenden Luft, das Haus zu verlassen, zwei Stunden später wiederzukehren mit einer Tüte warmer Semmeln in der Hand und sich dann schluchzend versöhnen, weil es sich gut anfühlte, lebendig, ganz hoch oben und ganz tief runter und nie da in der Mitte, wo wir den Tod vermuteten oder zumindest die Sphären, in denen sich Leute sich Kombis kaufen, in denen sie dann bei lebendem Leib verschimmeln und versteinern.

Inzwischen fährt die N. einen Porsche, und der J.2 ist im Volvo unterwegs. Manche Leute nennen uns Mamas und Papas und andere Chef. Wenn wir ans Meer fahren, planen wir das nicht vier Stunden vorher, sondern schreiben Urlaubsanträge, richten Abwesenheitsassistenten ein und buchen drei Monate vorher Häuser und Hotels und stimmen uns mit aller Welt ab.

Ich wünschte, mir fiele irgendetwas ein, was sich heute besser anfühlen würde als 1995. Das Essen höchstens. Aber wir aßen doch auch damals gut und machten Schulden in  Restaurants auf die guten Namen irgendwelcher Väter. Die Hotels bestimmt, aber ich habe auch damals nie schlecht geschlafen. Gut geht es mir, das ist wahr, gut geht es auch den anderen. Nie haben wir bezahlt für die vielen Abwesenheiten von der Schule, den Leichtsinn, die schlechten Noten und die frivole Arroganz Achtzehnjähriger, die glauben, die Welt sei dazu da, eine gute Zeit zu haben.

So gut wie damals.

(Oh, und im Übrigen … ich weiß, kleiner drei ist quasi nicht mehr zu stoppen. Aber der vorletzte Platz ist doch ein bisschen traurig. Fassen Sie sich ein Herz: https://thebobs.com/deutsch/category/2014/peoples-choice-for-german-2014/)

6 Gedanken zu „Die guten Zeiten

  1. Ja, tolle Zeit, als man sich noch für unsterblich hielt und die Kohle und das Auto noch von Mama und Papa kamen, oder vom BAFöG.
    Mit 18 hatte ich meinen ersten schweren Unfall, mit zwei Freundinnen und einem verliebten jungen Mann als tollkühner Fahrer auf einer rasenden Fahrt zur Nordsee an einem schönen Sommertag. Wir haben alle überlebt, aber wurden auf einen Schlag nüchtern und irgendwie „erwachsen“.

    Mir würde was einfallen, was noch genauso „bockt“ wie damals: sich abends ein schönes Auto mieten, an einen Fluss oder See fahren, an der Tanke eine Tüte Chips und ne Cola kaufen (oder eine Kühltasche mit Abendbrot mitnehmen) und stundenlang auf’s Wasser schauen, die Sonne untergehen sehen und reden und reden….

      1. Tja, umso mehr, wenn diese Zeiten (wie in meinem Fall) schon eher 30 Jahre her sind.

        Da fragt man sich dann manchmal schon, wie wirklich denn diese Erinnerungen überhaupt sind oder ob das nicht längst alles im Rückblick völlig verklärt aussieht wie mit einer entsprechenden App nachbearbeitet.

        1. Die iApp. Die die Vergangenheit weichzeichnet. Solange sie nicht die Gegenwart mit einem unangenehmen Grauschleier versieht, soll es mir aber recht sein.-

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