Nicht nett

Hatten Sie schon einmal Krücken? Die meisten Leute waren doch wahnsinnig nett zu Ihnen, oder nicht? Ihre Freunde riefen an, um für Sie einzuholen, das Kind aus der Kita mitzubringen und Sie herumzufahren. Sie wurden besucht. Sie fühlten sich reich beschenkt. Freunde sind toll.

Aber auch die Nachbarn waren sehr nett zu Ihnen. Der Inhaber des Ladens auf der Ecke würde Ihnen den Einkauf auch nach Hause bringen. Die Konditorei aus dem Erdgeschoss bringt Ihnen Gebäck. Nachbarn klingeln und helfen, und wenn Sie sich zum Arzt schleppen, drei Häuser weiter, eilen nette Leute herbei und bieten an, Ihre Tasche zu tragen. Überhaupt sind alle sehr freundlich. Sie wussten gar nicht – oder es war Ihnen nicht bewusst – wie freundlich die Menschen eigentlich sind.

Doch nach einigen Tagen fällt  Ihnen auf, dass nicht alle Leute gleich nett zu Ihnen sind. Die meisten jüngeren Leute, studentisch anmutende Hipster und Prenzlmütter, Mützenträger, Sonnenbrillenträger mit Bart: Die sind alle wahnsinnig lieb und sehr hilfsbereit. Die meisten Kinder – so Schulkinder zwischen sieben und 15 – sind so, so nett. Eigentlich gibt es nur eine einzige Gruppe, die schmallippig, muffig und unfreundlich ist, und bei denen Sie sich immer ein wenig fürchten, rücksichtslos weggeschoben zu werden. Oder zumindest angeraunzt, so von wegen „hier wollen auch andere Leute durch“. Das sind die Rentner.

Ich wohne nun mitten im Prenzlauer Berg. Hier gibt es eigentlich wenig Rentner. Einige sind auch ganz offensichtlich und unüberhörbar zugezogen, meistens handelt es sich um betreuende Großeltern. Die sind eigentlich auch sehr freundlich. Man erkennt sie an den Cordsakkos und den Twinsets. Die unfreundlichen Rentner gehören, meine ich, fast ausnahmslos zur autochthonen Bevölkerung. Ältere Leute mit Kunstlederjacken, schlecht rotgefärbten Haaren, miesen Zähnen und ungepflegten Fingernägeln. Wenn ich solche Leute sehe, weiche ich – so weit es geht – aus. Jedesmal aber frage ich mich: Sind die nur zu mir so unfreundlich? Oder hassen die mich als Zugezogene? Als Gentrifiziererin? Als vermeintlich Nicht-Deutsche? Oder hassen die eigentlich die ganze Welt? Waren die schon immer so? Wenn nein: Wie wird man so, und warum?

(Und ist es eigentlich nicht ganz gut, dass es von dieser Sorte hier nicht mehr allzu viele gibt? Ich glaube, ich bin ganz entschieden pro Gentrifizierung. Zieht doch nach Marzahn, ruppige Rentner!)

6 Gedanken zu „Nicht nett

    1. Wahrscheinlich haben Sie recht, und auch ich bin in dieser Sache nicht ganz ohne Schuld. Ich strahle vermutlich auch nicht gerade wohlwollende Freundlichkeit gegenüber diesen Leuten aus, die nicht zu missbilligen mir schwer fällt.

  1. Schlecht gepflegte Zähne und Kunstlederjacken – ich tippe mal auf kein Geld. Kein Geld macht auf die Dauer verhärmt und verbittert, besonders wenn man alt wird und das Leben eh schon fast vorbei ist.

    1. Ich weiß nicht, ob man Geld so wichtig nehmen sollte. Als ich sehr jung war, habe ich an Geld nicht einmal geglaubt. Ich habe bis heute keine Ahnung, wer eigentlich mein Nachtleben zwischen 15 und 25 finanziert hat. Und eine Stadt in Berlin, die bis heute mehr Events als Besucher aufweist. Die ist doch schon an und für sich for free. Gerade, wenn man älter ist. Dann sieht man wenigstens seriös aus, und kann im schlimmsten Fall immer noch auf lebenslänglich verkanntes melancholisches Genie machen, und dann ab ins Literaturhaus. In diesem Alter hat man ja meistens auch keine Verantwortung mehr für studierende Kinder, abzubezahlende Häuser und all diese Dinge. Ich denke, ich werde mich wieder sehr frei fühlen, wenn ich einmal 70 bin.

      (Aber klar, das sage ich als eine Person, die niemals groß auf etwas verzichten musste. Vielleicht würde ich es anders sehen, wenn ich mir schon einmal Sorgen um Geld gemacht hätte.)

  2. Die Antwort steht bereits in Klammern. Wer nie im Bette Zwieback aß, der weiß auch nicht wie Krümel pieken. Geld nehmen nur die nicht wichtig, die immer ausreichend davon hatten und nicht wissen, wie es sich anfühlt, sich jeden Monat zu überlegen, was nach Miete Strom und Telefon noch übrig bleibt um zu leben und wie man die Schulden wieder loswird. Und das über Jahrzehnte. Das ist ein ganz anderes Lebensgefühl, eher eine Art Überlebensgefühl.

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