Ein Kindergarten ist eine ernsthafte Sache. Ohne einen Kindergarten kann man nicht arbeiten gehen und verarmt, außerdem wird man ohne eine Kindergarten schon vor dem zweiten Geburtstag eines Kinder verrückt, weil ein Kind zwar die ganze Zeit interagiert, aber leider nur ausnahmsweise so, wie man sich gelungene Interaktionen gemeinhin so vorstellt. Für morgens und abends ein paar Stunden ist das ganz toll, aber ununterbrochen hält das keiner aus, außer er ist heilig oder verrückt.
Vor einigen Jahren gab es mal so eine Mode, Kindergärten total zu überschätzen. Damals glaubten viele Leute, es komme darauf an, schon quasi im Uterus Astronomie und Englisch und die Kunst der Komposition ganzer Symphonien zu lernen, ansonsten werde aus dem Kind maximal ein befristet eingestellter Sachbearbeiter im Amt für Liegenschaftsverwaltung oder ein depressiver Hausmeister. Das ist zum Glück wieder vorbei. Heute meint so gut wie jeder um mich herum zu wissen, dass es ziemlich egal ist, was Kitas machen. Die Kinder erreichen ungefähr den sozioökonomischen Status der Eltern, völlig gleich, was sie im Kopf haben. Diese Annahme beruht, meine ich, auf diesen PISA-Studien, die die OECD immer veröffentlicht, um die Öffentlichkeit aufzurütteln. Viele Eltern haben sich ganz im Gegenteil aber total beruhigt und können endlich wieder entspannen.
Auch die liebe N. sieht Kindergärten eher lässig. Ihr Sohn, der demnächst einjährige L., soll ein bisschen spielen, Freunde finden, im Frühling Ostereier bemalen und im Herbst Kastanienmännchen basteln. Nun ist es allerdings nicht ganz leicht, im Prenzlberg einen Kindergartenplatz zu finden, nicht einmal mit diesen doch eher zurückgenommenen Erwartungen, und erst recht nicht leichter wird die ganze Sache, wenn andere Mütter, konkret N.`s alte Freundin K., die ganze Sache keineswegs so leicht nehmen wie der Zeitgeist.
In dem Kindergarten um die Ecke beispielsweise hat die K. erst kürzlich den Speiseplan extrem kritisch hinterfragt. Dazu muss man wissen, dass in den städtischen Berliner Kitas die ostdeutsche Küche der Sechziger einfach immer weiterlebt. Wer nichts gegen Kartoffelsuppe mit Zwieback, Eierfrikassee mit Blumenkohl und Spirelli mit Wurstgulasch hat, wird bei dieser Ernährung ganz glücklich werden, wer sich etwas Zeitgemäßeres vorstellt, hat leider Pech gehabt und muss sich etwas Privates suchen, wobei die Chance, dass man da signifikant besser isst, als eher klein veranschlagt werden muss. Die K. allerdings sucht noch nicht so verzweifelt, dass sie diese Erkenntnis davon abgehalten hätte, mehr Weltoffenheit einzufordern, Biofleisch und generell mehr Vollkornprodukte.
„Modeste, so wird das nie was!“, jammert die N. und schaut trübsinnig in ihre Kaffeetasse. Völlig klar sei, dass die Kitaleiterinnen sich nicht ausgerechnet eine auf den ersten Blick erkennbare Nachfragerin, Bezirksamtsbriefschreiberin und Überraschungsbesucherin ins Haus holen. Die K. könne sich den Kitaplatz vermutlich von der Backe putzen, und sie, die N., als Freundin und Begleiterin der K. gleich dazu.
In einer anderen Kita hatte die K. bohrende Fragen nach den Methoden der Musikerziehung gestellt, in einem dritten Institut nach den Realisierungschancen einiger Projekte gefragt, von denen sie in der Zeitung gelesen hatte und die sie ganz interessant fand. In einer anderen Kita fragte sie, ob unter den Erzieherinnen native speaker der englischen Sprache seien, und in einer weiteren Kita fand sie den Garten zu klein und die Pflanzen lieblos ausgewählt.
Auf negative Effekte ihrer Strategie angesprochen, zeigt die K. sich unwillig. Gute Kitaleiterinnen würden, so meint sie, sich gern hinterfragen lassen und hätten kein Problem mit kritisch-engagierten Müttern. Bevor sie aber eine schlechte Kita den Werdegang ihres Sohnes ruinieren lasse, erziehe sie ihn lieber selbst.
Versuche, der K. auszuweichen und künftig ohne sie Kitas zu besuchen, haben aber auch nicht gefruchtet. Man kann Kitas nämlich meistens nur an festen Terminen besuchen, weil ansonsten immer Horden fremder Erwachsener durch die Kitas latschen und den Tagesablauf stören. Wenn es irgendwo eine Kita gibt, die gerade Schnuppertag hat, ist die K. aber zwangsläufig immer da. Manche Kita, die ihr besonders gut gefällt, hat sie schon mehrfach besucht.
So langsam wird die N. also nervös. Das Ende ihrer Elternzeit naht, irgendetwas muss nun geschehen, denn andernfalls wird vermutlich die ganze Sache mit der Kita nicht die Zukunft des Sohns der K., auch nicht die des Sohns der N., aber durchaus die der N. selber nachhaltig beschädigen. Vielleicht wechselt die N. aber auch einfach nur den Bezirk.
Tja, es war damals mit unserem Kleinen schon so, dass man entweder den privaten Kinderladen wählen konnte mit Bio-Gerichten, grüner Parkumgebung und demokratischen Spielregeln oder aber die städtischen Kindergärten mit dem „Friss oder Stirb“-Angebot und viel zu vielen Kindern pro Gruppe. Bei den privaten mussten dauernd die Eltern für kranke Erzieher einspringen und oft das Kochen übernehmen, bei den städtischen gaben die wilden Kerle in der Gruppe den Ton an und das Essen war naja. Schwierig!
Wir hatten Glück, wir haben die christliche Erziehung und einen wöchentlichen Kirchgang in Kauf genommen (unser Kleiner war zu der Zeit sowieso etwas schwerhörig und hat den Pastor eh nicht verstanden) und haben den gut ausgestatteten evangelischen Kindergarten gewählt. Dort hat eine fantastische Chorleiterin die musikalische Früherziehung gestaltet inklusive Musical und HipHop auf dem Sommerfest. Wir hatten Glück. If you can’t get the best, take the second best, würde ich der Dame raten.
Ich denke, der ist schwer zu raten. Mal schauen, was am Ende draus wird.