Vorbei

Sie müssen sich die F. als eine nette Frau in durchaus mittleren Jahren vorstellen, dunkelblaue Caprihose, helle Bluse und Tahitiperlen um den Hals, um die ich sie beneide. Vor 20 Jahren haben wir gemeinsam Abi gemacht, vor zehn Jahren hat die F. zwei Jahre in einem Museum gearbeitet und vor acht Jahren aufatmend ihren Job an den Nagel gehängt. Drei Kinder, eins dieser schönen, klassizistischen Häuser in Potsdam und einen selten anwesenden Mann.

Vor wenigen Monaten erhielt die F. eine Nachricht. F. ist bei Facebook, deswegen ist sie leicht zu finden, und die Frau, die ihr mitteilte, sie sei mit dem Mann der F. verlobt, hatte keine fünf Minuten googlen müssen. Ihre Telefonnummer hatte sie praktischerweise auch, da rief sie wenig später dann auch an.

Die F. hatte bestimmt ein paar unangenehme Tage. Es ist ja nicht so schön, wenn man glaubt, man werde verlassen, zumal wenn man selbstgewählt berufslos ist und das auch bleiben möchte. Irgendwann aber, die Spannung wurde wohl unerträglich, sprach sie ihren Mann an. Der winkte ab.

Niemand weiß, was in diesen schweigenden Anzugträgern vorgeht, die nie über sich sprechen und auch nie über andere, weil die sie gar nicht interessieren. Die Anruferin jedenfalls scheint sich in Hinblick auf die Ernsthaftigkeit der Heiratsabsichten geirrt zu haben, der Mann verharrt, wo er ist, und wenn das Telefon der F. klingelt, ohne dass sie weiß, wer es ist, geht sie einfach nicht dran.

Die F. hat keine Ahnung, ob die fremde Frau wahnsinnig ist oder ihr Mann ein Lügner. Oder von beidem ein bisschen. Es scheint sie – auch wenn ich das nicht verstehe – nicht wirklich zu interessieren, denn sie macht einen ganz gelösten Eindruck, spricht gern über ihre wohlgeratenen Kinder, Kunst, die sie kaufen will und eine neue Tapete im Foyer. Ich habe keine Ahnung, wie es sich lebt, wenn man mit der Liebe abgeschlossen hat, und als ich nach dem Mittagessen durch die Hitze zurück ins Büro gehe, überspült mich auf einmal eine Welle des Mitleids, auch wenn ich weiß: Die F. würde das nicht verstehen.

8 Gedanken zu „Vorbei

  1. Komisch, dass die F. nicht fühlen kann, ob ihr Gatte lügt. So müssen sich die beiden wohl weiterhin etwas vormachen und die Fassade aufrecht erhalten, bis sie eines Tages abbröckelt.

  2. Wenn man nicht recht weiß wie Liebe geht, tröstet man sich in manchen Kreisen mit materiellen Gütern, Sicherheit und sozialem Ansehen. Immer noch besser gut situiert ohne Liebe als arm ohne Liebe.

      1. Mit der materiellen schon. Es könnte z.B. ein unausgesprochenes Agreement zwischen den beiden bestehen wie „Du garantierst mir materielle Sicherheit und ich helfe Dir dabei, für Deine geschäftlichen Beziehungen den Schein einer harmonischen Ehe aufrecht zu erhalten, stelle keine unbequemen Fragen und Du kannst heimlich machen was Du willst.

        1. Joa, aber wenn das unausgesprochene Agreement nicht durch einen entsprechenden Ehevertrag abgesichert ist, hat sie trotzdem keinerlei wirkliche Sicherheit, dass er nicht doch versucht sie loszuwerden. Deswegen ist die Affäre dann ja eine solche Bedrohung.

  3. Die Doppelmoral solcher Männer ist oft so stark ausgeprägt wie für Außenstehende nicht nachvollziehbar. Und das Stillvorsichinleiden betroffener Frauen kann mühelos lebenslanger Dauerzustand sein.

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