Scheinbarer Aktionismus

Meine Küche allein. Das ist so ein typisches Berliner Loggienzimmer, zu dick überstrichener Deckenstuck mit Füllhörnern, Stäbchenparkett, und die Ikeaeinbauküche, die schon drin war, als wir da eingezogen sind. Das war vor sechs Jahren. Ein langer, massiver Tisch, sechs geflochtene Stühle aus den Dreißigern mit grünen Polstern und irgendwelche Lampen. Könnte man vermutlich was draus machen. Sieht man ja ständig in irgendwelchen Blogs. Aber ich bin schon zu faul, die Küche auch nur auszumessen, zu träge, Lampen auszusuchen und eine Elektriker mit der Installation zu beauftragen, und jemanden damit zu betrauen, die scheußliche Rauhfaser runterzureißen und zu spachteln bin ich auch.

So ist das eigentlich in allen unseren Räumen. Und bei unserem Porzellan. Und bei der Wäsche, einem Sammelsurium aus Ikea, mitgenommenem Leinen von zuhause und irgendwelchen Einzelstücken, von denen ich jetzt auch nicht weiß, wo das Zeug eigentlich herkommt.

Wenn ich mich frage, wieso das hier eigentlich nicht so aussieht wie die lässigen Wohnungen in irgendwelchen Blogs, beruhige ich mich meistens damit, ich hätte keine Zeit. Das ist natürlich Quatsch, ich habe sogar Zeit für dieses Blog, vermutlich eins der sinnlosesten Hobbys, die ein Mensch sich überhaupt so zulegen kann. Mir fehlt vermutlich schlicht so ein gewisser Schönheitssinn, so ein Sinn für das beiläufig Elegante, so eine Desinvoltura, das Gegenteil von so einer geschleckten Schöner-Wohnen-Hölle, und weil ich das eine nicht will und das andere nicht kann, sieht es eben so aus, wie es aussieht.

Ab und zu aber sticht mich der Hafer. Dann fange ich an, im Internet zu graben. Dann male ich mir aus, wie es aussähe, wäre diese Wand grau, und dort hätte ich einen alten, halbblinden Spiegel. Hier eine dieser schönen, industriellen Lampen. Mein Biedermeiersofa einen schieferfarbenen Chintzbezug statt einfach wieder grün, und auf dem Boden einen dieser prächtigen persischen Teppiche in meergrün und einem pudrigen, hellen Rosé.

Nichts davon werde ich realisieren. Wenn nicht eines Tages einer kommt, der morgens klingelt und ankündigt, er werde nun diese Wohnung generalüberholen, werden sie mich vermutlich eines Tages aus dieser Wohnung tragen, und es sieht keinen Deut anders aus als heute. Aber immer, wenn ich irgendwo Wohnungen sehe, die mich beeindrucken, Hotelzimmer, Bilder im Netz, dann bilde ich mir ein, auch bei mir ginge da noch was, plane herum, und das – immerhin dies – sind dann immer recht vergnügte Stunden.

8 Gedanken zu „Scheinbarer Aktionismus

  1. Geht mir auch so. Wir wohnen mit unserer Wurschtigkeit auf Kosten all der Menschen, die Unsummen, Energie und Zeit in Design, Umbauten, Farben, Gestaltung investieren. Unsereine stippt alle paar Jahre die Brosamen dieser Bemühungen auf, sei es in Formen, Farben oder Technik. Solange nicht alle von Wurschtigkeit erfasst werden, kann das aber funktionieren.

  2. Die Ästhetik der Wohnung kommt wirklich an allerletzter Stelle, das geht gar nicht anders bei Vollzeit-Berufstätigen, es sei denn, man würde die Wochenenden oder seinen Urlaub dafür opfern um zu renovieren. Und das kommt ja nun wohl gar nicht in die Tüte.! Man kann ja mal was umgestalten, wenn man mal wieder Leute einladen möchte, die einzige Motivation, die mich persönlich in Schwung bringt. Und Lampen sind dimmbar, damit man nicht so genau hinsehen kann.

  3. Besten Dank für den Einblick in Ihre Überlegungen und Gedanken zum Alltäglichen.
    Sie gestatten, auch wenn banal, Gedanken wie Du und ich.

  4. Fängt schon damit an, dass ich nicht Geld in eine fast unsanierte Altbauwohnung investiere, die ich eh nicht mehr bezahlen kann, wenn der Vermieter die sanieren will. Schöner Wohnen ist ein Privileg der Haus- und Wohnungsbesitzer (und eigentlich nur der mit abbezahltem Eigentum, die anderen sollten das Geld lieber in den Abtrag stecken…)

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