In der Toskana (4)

Zu den Kindheitserinnerungen, die jeder teilt, dessen Eltern überhaupt mal aus dem Haus gegangen sind, gehören schrecklich langweilige Besichtigungen von Kirchen, Museen mit mittelalterlicher Kunst und Wanderungen durch die Landschaft. Als Erwachsener fragt man sich dann, wie man sich eigentlich jemals in der Bretagne langweilen konnte. Oder wieso man diese unfassbar großartigen, weltbewegenden Gemälde von Velázquez und Vermeer, vor denen ich mal als Achtjährige stand und mich und alle mich herum ausdauernd mit der Frage beschäftigt haben soll, wann es denn hier endlich Eis gibt. Eis.

Als Mutter eines vierjährigen Knaben verstehe ich langsam, dass Kinder keinen Schönheitssinn besitzen. Dem F. ist die tolle Landschaft der Toskana total egal. Er bemerkt auch keinen qualitativen Unterschied zwischen einer Darstellung der Kleopatra durch Claude Lorrain oder durch mich. Er interessiert sich nur für Fakten. Wer ist das? Was hat die gemacht? Warum mit Schlangen? War Caesar nett?

Ich kann mich nicht im Geringsten daran erinnern, wann sich das ändert. Mit 16 sind der T., der J. und ich erstmals allein und ohne Eltern mit dem Wochenendticket der Deutschen Bahn zur documenta gefahren, das Kunstinteresse muss also irgendwann deutlich früher erwacht sein. Um die Pubertät herum? Davor? Als Grundschulkind? Ich vermute allerdings, dass die Langeweile auf Wanderungen und in Museen dazugehört, um irgendwann einmal mit Freude dieselben Bilder, Bäume und die Hügel der Toskana weiterzusehen. Die Vermutung, man würde die Kinder ermüden und Abneigungen auslösen, teile ich eher nicht, denn ansonsten wären die Museen durch die Kinder von Leuten bevölkert, die solche niemals besuchen. Soweit ich weiß, ist aber das Gegenteil der Fall.

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Die italienische Küche hat ja den großen Vorteil, dass sie quasi jeder mag. Ich kenne niemanden, der keine Nudeln isst, allerdings muss ich ab und zu vor einem Teller Pasta an die Eltern meiner Studienfreundin C.3 denken, schrecklich unangenehme Leute, denen Nudeln aus irgendeinem Grunde nicht ordentlich genug erschienen, weswegen es nie welche gab. Nur Kartoffeln. Tag für Tag. Ihr gesamtes Studium aß die C.3 deswegen eigentlich ausschließlich Nudeln und Sauce, um alles nachzuholen. Nach dem Studium habe ich die C.3 aus den Augen verloren, aber ab und zu frage ich mich, ob sie heute eigentlich ein natürliches Verhältnis zu Beilagen pflegt.

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Wir sind das erstemal mit Vamos weggefahren. Bisher war dem F. Kinderbetreuung nämlich nicht so wichtig. Erst im letzten Urlaub hat er angefangen, massiv nach Kindern zu fragen. Zwar war die Kinderbetreuung auch diesmal kein Erfolg. Aber er hat sich mit den anderen Kindern angefreundet, viel gespielt, sich bestens amüsiert und will sofort wieder hin. Wir werden wohl wieder mit Vamos fahren.

12 Gedanken zu „In der Toskana (4)

  1. Museums-, Kirchen- und Kunsthallenbesuche mit Kindern geben ihnen zumindest das Gefühl, dass das ganz normal ist dahin zu gehen, sich etwas anzuschauen und wenn man keine Lust mehr hat, wieder weg zu gehen. Eine bessere Vorbereitung, spätere Besuche mit Inhalt und Interesse zu füllen, kann ich mir eigentlich nicht vorstellen.

    Einzelkinder langweilen sich ja schnell ohne andere Kinder, da die Eltern wohl kaum Lust haben werden, im Urlaub die ganze Zeit mit dem Kind zu spielen oder irgendein Spaßprogramm zu organisieren. Unsere Anwort war darauf oft die preisgünstigere Lösung des Urlaubs auf Campingplätzen am Meer, auch im Süden, zuerst im Zelt (nie wieder!), später in gemieteten Campinganhängern oder Blockhütten und Containern auf den Plätzen. Fußballspielen, viele Kinder, Abenteuer garantiert. Das waren sehr entspannte Urlaube. Und das „normale Volk“ ist nirgendwo so entspannt wie auf Campingplätzen, auch wenn man sich das schwer vorstellen kann. Mal abgesehen von saufenden Jugendlichen auf den billigen Zeltplätzen.

    1. Ich muss gestehen, ich habe Vorurteile gegenüber Campingplätzen, die ich allerdings seit meiner Schulzeit nie wieder auf den Prüfstand gestellt habe. Vermutlich stimmt das alles gar nicht. So ein Bauernhof ist aber auch eine gute Alternative, zumal mit schönen Appartements.

  2. Sohn I stand mit acht Jahren erstmals in einer Gegend (Südtirol) und befand, diese sei schön. Und das war auch etwa die Zeit, in der er anfing, Neu- und Altbauten zu unterscheiden, wofür er vorher keinen Blick hatte, wofür vorher wohl die meisten Kinder keinen Blick haben.

  3. als ich so ca. 7 war, hat meine mutter mit mir viele museen in london besucht. ich kann mich noch an die vielen langweiligen bilder erinnern. am meisten haben mich die barock anmutenden vergoldeten bilderrahmen interessiert, aber nach dem dritten hat sich das ja alles wiederholt.
    und jetzt? mach ich nichts lieber als ein museum zu besuchen. barock und vergoldet sind mir dagegen ein gräuel.

    1. Das geht mir ähnlich, allerdings habe ich spät im Leben doch noch ein Interesse am Barock entwickelt.Ganz andere Baustelle: aus irgendeinem Grund faszinieren mich Darstellungen der heiligen Anna selbdritt. Die erste, die ich gesehen habe, war eine hakennasige, bretonische, ganz wurmstichige, und zwar sah ich die mit 8 Jahren. Es bleibt also definitiv etwas hängen.

    2. Museen mag der F. Allerdings haben sich Museen in den letzten 30 Jahren auch sehr verändert, sind fassbarer, anschaulicher geworden und oft mit Rücksicht auf kleine Besucher konzipiert. Unsere Favoriten: Das Naturkundemuseum, die Ägyptische Sammlung und das Museum für Vor- und Frühgeschichte. Und die Ritterführung im DHM.

    1. Ja, das ist so ein großartiges Alter, in dem Kinder täglich wachsen, über sich und manchmal über uns hinauswachsen. Heute im Auto auf dem Weg in die Uckermark haben wir uns über Armut in Afrika, Reisen in den Dreißigern und in den Fünfzigern, woran man böse Kanzler erkennt, wieso die Amerikaner seinen Urgroßvater eingeladen haben (ein Marshall Stipendium), und warum arme Menschen manchmal Räuber werden, unterhalten. Vier ist toll.

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