Schwimmen

Man spricht mich vor einigen Wochen an von befreundeter Seite. Von ursprünglich zwölf Kindern aus des F. Kitagruppe, die ursprünglich gemeinsam den Schwimmkurs besucht haben, seien nur noch drei dabei. Die anderen weigerten sich kategorisch. Einige Mädchen seien von der Kälte im Schwimmbad krank geworden. Andere würde sich vor der Schwimmlehrerin fürchten. Mehrere Buben hätten schon am Donnerstag Abend geweint bei der Vorstellung, am nächsten Tag wieder von der Schwimmlehrerin angebrüllt zu werden. Andere hätten den halben Kurs auf einer Strafbank verbracht und weigerten sich nun zurückzukehren. Ob ich nicht auch endlich den F. von der Tortur befreien möchte.

Ich bin tatsächlich besorgt. Die Eltern sind beim Schwimmen nicht dabei, der Kurs wird von der Kita vermittelt und von einem Verein durchgeführt. Die Kinder werden mit einem Kleinbus abgeholt und zurückgebracht. Das ist nicht ganz billig, aber trotzdem hatten quasi alle Eltern der Gruppe ihre Kinder angemeldet. Der nun verbliebene klägliche Rest der Gruppe der Fünfjährigen sei nun der Gruppe der Sechsjährigen zugeschlagen worden, weil sich eine Gruppe von nur drei Kindern für den Verein nicht lohnt.

Am selben Tage befrage ich den F. Er ist müde, an den Schwimmtagen ist er immer unglaublich müde und isst ein Kilo Nudeln, sechs Äpfel und ein Pfund Emmentaler Käse dazu. Danach macht er es sich auf meinem Schoß bequem und lässt sich vorlesen. Wir lesen „Das magische Baumhaus“, von dieser Reihe gibt es quasi 50 Stück.

Kurz vorm Auftauchen des Riesenkraken auf Seite 60 unterbreche ich kurz meine Lektüre. Ob er eigentlich gern zum Schwimmen gehe, frage ich den F. Dieser nickt ungeduldig. Ja, sei schon okay. Ob die Lehrerinnen laut sprechen, frage ich. Ja, bestätigt der F. bewundernd. Die eine Lehrerin habe sogar eine Trillerpfeife. So eine will der F. auch, aber in rot.

Ob es kalt sei im Schwimmbad, bohre ich weiter, und der F. nickt. Es sei irre kalt, sehr, sehr kalt. Zu kalt für Mädchen, die wären deswegen alle abgemeldet. Er würde aber quasi nie frieren und seine beiden Freunde auch nicht, weil sie eine so dicke Haut hätten wie die Wale im Meer.

Auch auf weiteres Befragen stört ihn nach eigener Aussage nichts. Die Lehrerinnen seien eben laut, weil es im Schwimmbad laut sei. Die Strafbank nur für die Kinder bestimmt, die so doll zappeln, dass sie hinfallen und sich die Haxen brechen könnten. Es gebe eine einzige Schweinerei, betreffend den Schwimmkurs, die in dem Umstand bestehe, dass der sechsjährige V. bereits sein Schwimmabzeichen habe, der F. aber nicht. Das sei sehr ungerecht. Der F. denkt, sollte sich dieser Skandal perpetuieren, an ein gerichtliches Vorgehen gegen den V.

Ich bin zunächst beruhigt. Offenbar, so denke ich mir, sind die anderen Kinder etwas überempfindlich. In den nächsten beiden Wochen aber häufen sich weitere Ansprachen durch andere Eltern, die ebenfalls Kälte, harsche Umgangsformen und üblen Leistungsdruck bemängeln. Mehrmals spreche ich den F. an, der überhaupt nicht zu verstehen scheint, was ich meine.

Drei Wochen nach der ersten Ansprache werde ich tatsächlich etwas nervös. Ist mein Kind etwa ein seelischer Dickhäuter? Sind alle anderen Kinder sehr sensibel, und nur meins findet brüllende Leute, die drakonische Strafen aussprechen, normal? Was sagt das eigentlich über mich aus? Und habe ich nicht erst kürzlich gelesen, das Zeitalter der harten Kerle sei vorbei, und nun sei emotionale Intelligenz gefragt, die jemand vielleicht nicht besitzt, der angesichts schreiender Trainerinnen an nichts weiter denkt als an sein schnellstmöglich zu erringendes Schwimmabzeichen? Transportiere möglicherweise ich unterschwellig und ohne jemals darüber zu sprechen einen erbarmungslosen Leistungsdruck, den ich selbst mangels eigener Sensibilität gar nicht bemerke? Leidet der F. und merkt es einfach nur nicht?

Am Donnerstag Abend, einen Tag vor dem nächsten Schwimmkurs, spreche ich den F. also noch einmal an. Ob er morgen zum Schwimmen gehen möchte, frage ich. Auf jeden Fall, antwortet der F. aufgeregt. Ansonsten würde nämlich vielleicht das Schlimmste eintreten und die Nachbarstochter vor ihm die ersehnte Prüfung ablegen, und dann würde er leider so traurig werden, dass er vielleicht den ganzen Samstag weint und Papier zerreissen müsste.

Was soll ich sagen. Beruhigend ist das alles nicht.

22 Gedanken zu „Schwimmen

  1. „… das Zeitalter der harten Kerle sei vorbei, und nun sei emotionale Intelligenz gefragt …“

    Nein, nein, das bringt nur Schlaffbeutel hervor, die sich von ihren späteren Partnerinnen widerstandsloser vor den Kinderaufzuchtkarren spannen lassen. Zum F***** holt sich Madam dann natürlich gelegentlich einen harten Kerl

    1. Ich verstehe Ihren Kommentar nicht. Was hat es mit „Schlaffheit“ zu tun, wenn ein Vater sich an der Kindererziehung beteiligt? Das ist doch ein Projekt beider Eltern, so dass die mit Kindern verbundenen Aufwände die Eltern natürlich auch zu gleichen Teilen treffen. Und wieso „schlaff“? Es ist doch kein Zeichen von Schwäche, wenn man seine familiären Aufgaben als Vater erfüllt. Bei Ihnen liest sich das so, als sei Kindererziehung eigentlich eine ausschließlich mütterlicher Pflicht. Das erscheint mir völlig absurd.

      Ebenso erscheint es mir völlig abwegig, dass Frauen Männer für sexuell attraktiver halten würden, die eine klassische Rollenverteilung präferieren. Das liest man bisweilen, vor allem in den Kommentarspalten von Tageszeitungen, aber eine solche Präferenz ist mir im echten Leben noch nie begegnet. Meiner Erfahrung nach kommen Männer gut an, wenn sie gut aussehen, Charme haben, klug sind und sehr, sehr freundlich. So einfach ist das, glaube ich. Und gerade deswegen: So schwer.

      1. „Bei Ihnen liest sich das so, als sei Kindererziehung eigentlich eine ausschließlich mütterlicher Pflicht“ … hängt davon ab, wie der Kinderwunsch verteilt war. War es beiden sehr wichtig, Kinder zu haben, ist natürlich die komplizierteste aller Möglichkeiten angesagt: beide arbeiten Teilzeit, jonglieren sich die Kinder zu und versuchen mit den verschiedenen Formen des Mangels klar zu kommen (Freizeit, Geld, Zweisamkeit, berufliche Entwicklungsmöglichkeiten, etc). War der Kinderwunsch asymetrischer verteilt, ist natürlich klar, wessen Job am Herd ist. Insgesamt ist diese Situation natürlich viel weniger kompliziert zu managen als das 50:50-Modell.

        Und wir wissen alle, welche von beiden in 95% der Fälle ihren Gebärzwang nicht reflektieren kann und wer vernunftbegabt ist.

        1. >Und wir wissen alle, welche von beiden in 95% der Fälle ihren Gebärzwang nicht reflektieren kann und wer vernunftbegabt ist.

          Nun, vernunftbegabt sind natürlich die Männer, die kühl kalkulieren, dass sie nicht mit 35 tun müssen, was die Natur ihnen auch noch mit 50 gestattet.

          Und dann mit 50 feststellen, dass dreißigjährige Frauen an fünfzigjährigen Männern meist nur so mittelstark interessiert sind.

        2. „… dass sie nicht mit 35 tun müssen, was die Natur ihnen auch noch mit 50 gestattet …“ müssen muss man eigentlich gar nichts außer sterben. Das erkennen zu können meinte ich mit vernunftbegabt.

          „… Und dann mit 50 feststellen, dass dreißigjährige Frauen an fünfzigjährigen Männern meist nur so mittelstark interessiert sind.“ Mitunter scheint mir, dass die jüngeren Frauen das von den nicht mehr ganz jungen Männern angesammelte Nestbaukapital durchaus zu schätzen wissen.

        3. Nein, das Problem ist ein anderes: Die Zeugungsfähigkeit lässt auch bei Männern ab 40 deutlich nach – bei der Hälfte der Paare, die in der „Kinderwunschsprechstunde“ sitzen, liegt es am Mann. Zugleich nimmt bei älteren Männern auch das Risiko zu, ein behindertes Kind zu zeugen, wie Forscher inzwischen herausgefunden haben.

          Mal abgesehen davon, dass die späten Väter dann oft für die Großväter der Kinder gehalten werden.

          Außerdem bringt es noch andere Probleme mit sich: Wenn die Kinder Abi machen, sind die alten Väter schon in Rente und womöglich auch schon pflegebedürftig, wenn der Nachwuchs studieren will.

          Was das Thema vernunftbegabt angeht, so scheinen Sie, Nebsler, in der Hinsicht nicht allzu gut abzuschneiden.

  2. Der F. nimmt für den Erfolg ja einiges in Kauf, gut finde ich, dass er das Gebrüll und die autoritären Umgangsformen nicht persönlich nimmt. Das Seepferdchen ist enorm wichtig, das war es damals für meinen Kleinen auch. Allerdings war er schon 7 und nicht 3, als ich das ersehnte Abzeichen endlich auf seine Badehose nähen konnte (das Freischwimmer-Abzeichen gleich dazu, aber das Seepferdchen, das war’s, was er unbedingt haben musste).

    1. Der F. ist ja nun inzwischen auch frische fünf. An sich hätte es mit dem Abzeichen noch ein Jahr Zeit, aber es würde mich gerade im Sommer und am Meer schon beruhigen, wenn er richtig schwimmen könnte.

      1. Ach so, ist er schon fünf, wie die Zeit vergeht! Das richtige Alter um schwimmen zu lernen. Unser Sohn hatte leider dauernd Paukenröhrchen und deshalb erst mit 7 schwimmen gelernt.

  3. Wenn ich das so lese, glaube ich nicht dass Sie sich Sorgen machen müssen.
    Ich lese ja schon länger hier mit und ich denke dass dem F. nichts fehlt und er auch nichts in Kauf nimmt was er nicht will.
    Ich glaube eher dass die anderen Mütter sich die Frage stellen sollten was bei denen schief läuft.

    1. Vielleicht sind die Kinder einfach noch etwas jung. Manche Mädchen sind sehr klein und zart, die frieren bestimmt leichter als mein großer, starker F.

  4. Prima dass ihr das vor der Schule macht. Der Zirkus der in der Schule statt findet bringt gar nichts. Ausserdem ist ja der Besuch im Spassbad sehr viel entspannter wenn der Stromer nicht mehr komplett unter Beobachtung sein muss.

  5. und dann würde er leider so traurig werden, dass er vielleicht den ganzen Samstag weint und Papier zerreissen müsste.

    Klingt irgendwie einleuchtend. Hat es geklappt mit dem Seepferdchen-Abzeichen?

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