Tunichtssonntag auf dem Sofa

Es gehört zu den subtileren Formen elterlicher Angeberei, die (meist mütterliche) Erschöpfung in drastischen Farben auszumalen. Da wurde dann angeblich seit Jahren nicht mehr auch nur ein einziges Wochenende ausgeschlafen, an ungestörtes Bücherlesen oder Duschen wäre nicht mehr zu denken, die Wohnung von den Kindern bis in die letzte Ecke okkupiert, ausgegangen würde auch nicht mehr, auf dass das geneigte Publikum erschaudernd vor diesem schier unglaubliche Grad elterlicher Selbstaufgabe bewundernd die Köpfe neige. Erstaunlicherweise funktioniert zumindest im virtuellen Raum diese an sich etwas billige Strategie offenbar ganz gut, zumindest klopfen sich die beteiligten Mütter in den Kommentaren einschlägiger Blogs gegenseitig stundenlang auf die Schultern, Heldinnen allesamt.

Ich dagegen habe nach Ansicht dieser Märtyrerinnen des häuslichen Lebens vermutlich irgendetwas falsch gemacht. Oder mein Kind ist komisch. Jedenfalls habe ich heute bis halb zehn ausgeschlafen, während der fünfjährige F. ab einem unbekannten Zeitpunkt im Schlafanzug Müsli gegessen und ein Legoraumschiff gebaut hat. Dann habe ich das Schostakowitsch-Buch von Barnes zuende gelesen und sehr gemocht, immer noch im Bett Kaffee getrunken und bin sehr, sehr langsam aufgestanden. Der F. hat währenddessen seine Hörspiele gehört, kam ab und zu ins Schlafzimmer und unterhielt sich mit mir über Eisbären, ausziehbare Feuerwehrleitern und das Höchstlebensalter von Nutztieren und verschwand dann jeweils wieder in seinem Zimmer.

Auf dem Sofa im Wohnzimmer lag der geschätzte Gefährte J., schaute Serien und las. Wir hatten gestern sehr lange Besuch, deswegen sah die Wohnung noch so ein bisschen schlimm aus, dafür gab es heute noch Reste des Essens von gestern, Eis, Kartoffelgratin und eine Möhrensuppe von Zuckerzimtundliebe. Vom Huhn, Radicchio und der Mousse au chocolat war leider nichts mehr da.

Später am Tag gingen wir spazieren und brachten Freunden am Kollwitzplatz ein bisschen afrikanischen Kaffee vorbei, von dem wir einen Riesensack geschenkt bekommen haben. Es war regnerisch und kalt, der F. hatte nach kürzester Zeit keine Lust mehr, deswegen fuhren wir mit der Tram zurück. Ich badete ausführlich und schlief. Im Halbschlaf hörte ich den F. Klavier üben. Dann baute er sich eine Höhle.

Abends nahm auch der F. ein Bad, sah in der Mediathek die dieswöchige Sendung mit der Maus und sprach beim Abendessen, japanischen Nudelsuppen, die uns der Lieferdienst foodora nach Hause brachte, über die Herstellung von Kunststoffen und den zweite Weltkrieg. Im Bett las ich ihm zwei Kapitel aus einem Buch der von ihm überaus geschätzten Kinderbuchreihe „Das magische Baumhaus“ vor, in dem der junge Mozart auftaucht. Wenige Minuten später fiel er in Tiefschlaf.

Hier sitzen wir nun. Der J. sieht einen Film. Ich lese im Netz. Von gestern haben wir noch einen Rest Weißwein, ein Riesling Kabinett, 2015, von K. H. Schneider. Dann gehe ich wieder schlafen. Ich lese von Rudolph Herzog „Truggestalten“, so ein Buch über Berliner Gespenster, und lösche das Licht noch vor Mitternacht. Irgendwo in der Dunkelheit da draußen japsen die von den wochenendlichen Strapazen total erschöpften Netzübermütter nach Luft und fallen in einen kurzen, ständig von weinenden Kindern gestörten Schlaf, der dann irgendwann in den sehr frühen Morgenstunden endet, wenn sie mit den Hühnern aufstehen, welche, sieht man ganz genau hin, hin und wieder herzhaft lachen.

9 Gedanken zu „Tunichtssonntag auf dem Sofa

    1. Ach, ich glaube, bei einem Einzelkind, das mit 2 Erwachsenen aufwaechst und ein gewisses Alter hat, wird niemand seufzen. Bei 2, 3 oder mehr Kindern sieht das ganz anders aus.
      Und noch ein Gedanke, bei den Menschen, die ueber die viele, viele Arbeit im Buero seufzen, wahlweise auch ueber die Kollegen oder den Chef, entgegnet man da auch, was willst Du eigentlich, ist doch selbstgewaehltes Leid?

      1. Mir geht es gar nicht darum, dass Leute sich nicht auch einmal ordentlich auskotzen dürfen. Aber wenn ich diese Muttiblogs lese (zugegeben eher selten), dann gewinnt man den Eindruck, dass keine Gruppe mehr auszustehen hätte, als die armen, geschundenen Mütter. Ich habe weder in Wirtschaftskanzleien noch im Investmentbanking, wo 60, 70 Stunden oder mehr gearbeitet wird, mehr oder öfter Gejammer gehört als man in diesen Muttiblogs so lesen kann.

        Inzwischen glaube ich, dass das Gejammer tatsächlich eine Form des Angebens ist: Schaut mal her, was ich für eine tolle Mutter bin, ich reibe mich dermaßen auf. Mit anderen Worten: So ganz kann ich das nicht glauben. Gerade bei Leuten, die nicht oder nicht viel arbeiten.

        Ich kenne einige Frauen, die echte Topjobs mit den entsprechenden Stundenbelastungen und tolle Kinder schultern, und die ich sehr bewundere. Die maulen übrigens kaum.

  1. Hmm naja, man sollte ja meinen, dass Kinder irgendwann älter werden, anfangen durchzuschlafen und sich mal fünf Minuten selbst beschäftigten können. Ich bin auch so eine Rabenmutter, die am Wochenende gerne etwas länger schläft und hin und wieder mal ein Buch liest…

  2. Der wesentliche Unterschied zwischen Arbeiten und Hauptberuf Mutter ist, dass man in der Arbeitswelt effektiv sein kann, eins nach dem anderen abarbeiten, sein Tempo weitgehend selbst bestimmen kann. Das ist sehr befriedigend. Sobald Kinder zuhause zu betreuen sind, kommt das Chaos ins Spiel, da wo gerade Ordnung geschaffen wurde, wird es in 5 Minuten wieder unordentlich, irgendwas ist immer, der eigene Gedankenfluss wird ständig von dem der Kinder unterbrochen. Das ist viel anstrengender und nervenaufreibender als Arbeit. Und das Gejammer darüber hat nichts mit Angeberei zu tun, sondern mit mangelnder Anerkennung der Leistung, weil insgeheim jeder der Arbeit einen viel höheren Stellenwert beimisst.

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