Auf Reisen

Ich kenne, meine Damen und Herren, Leute, die vor lauter Sorge, wie ihre Kinder Langstreckenflüge vertragen, sich nie weiter als bis Mallorca trauen, aber das finden der J. und ich dermaßen öde, dass wir uns und dem F. solange eingeredet haben, dass er Reisen liebt, bis er sich selbst nicht mehr vorstellen kann, dass das nicht stimmt. Außerdem besucht der F. eine – obschon städtische – Kita, die vermutlich von der Rosa-Luxemburg-Stiftung in Berlin Prenzlauer Berg eingerichtet wurde, um farbenfroh zu illustrieren, was Gentrifzierung bedeutet. Folgerichtig hält er es nicht nur für völlig normal, durch Japan zu fahren, sondern auch ab und zu bohrend nachzufragen, wieso ausgerechnet er eigentlich immer Eco fliegen muss. Entsprechend sitzt der F. also halbwegs vorfreudig im Flieger von Paris nach Tokyo und lässt sich erzählen, was es alles bis Tokyo zu essen gibt.

Noch bevor wir abheben, hat des F. kundige Hand das Kinderprogramm dieser Air France- Maschine gescreent. Der F. kennt nicht viele Filme, weil wir keinen Fernseher haben, und außerdem konnte er bisher keine Kinderfilme sehen, in denen die Mutter des Helden stirbt, deswegen ist ihm praktisch alles neu. Er fürchtet sich generell leicht, auf der anderen Seite wäre der F. schon sehr gern mindestens so cool wie der kleine A. mit den drei älteren Geschwistern, der das internationale Filmkunstschaffen eigentlich so ziemlich durchhat. Der F. beginnt also mit Lego Batman, einer Art Batmanadaption, bei der alle Protagonisten und alle Kulissen aus Legosteinen bestehen.

Aus irgendeinem Grunde stehen wir geschlagene 60 Minuten am Gate. Alle Passagiere rätseln, woran das liegt. Nur ich weiß, dass ich kürzlich verflucht worden bin, und nun alle Reisen, an denen ich teilnehme, verspätet starten und noch verspäteter enden. Ich war im gesamten Juni nie, also buchstäblich nie, pünktlich, weil immer irgendein Flug zu spät begann oder ein Zug liegenblieb oder einfach so nichts weiterging. War ich halbwegs pünktlich, waren andere Leute, ohne die es nicht losgehen konnte, zu spät.

Als wir endlich starten, ist des F. Film schon fast zuende. Der F. aber lässt sich gar nicht stören: Mit geröteten Wangen und schwitzigen Händen sitzt er neben mir, reißt die Augen auf, weist alle Versuche, ihm etwas anzubieten, von sich, und ist erst wieder ansprechbar, als der Film endet. Unter uns liegt Skandinavien und ich erzähle ihm von der Zeit, die ich als Studentin in Tallinn verbracht habe.

Nach Süsskartoffelpüree und Fisch wirft er die Eiskönigin an. Das ist eigentlich ein sogenannter Mädchenfilm, aber wenn niemand es mitbekommt, schauen Buben hemmungslos Bibi und Tina, und Mädchen irgendwelche Actionsstreifen, weil es dem gesellschaftlichen Rollenmodell, was Mädchen und Jungen gefällt, lediglich gelungen zu sein scheint, zu prägen, was gerade als cool gilt, nicht aber, was ungefähr fünfjährigen Kindern tatsächlich gefällt. Bei Erwachsenen, dies nur am Rande, scheint es mir übrigens ganz ähnlich zu sein.

Direkt nach der Eiskönigin schaut er – einen Schokokuchen und Eis und Limonade später – noch einmal Lego Batman. Dann schläft er ein. Im Schlaf zucken seine Lider, seine Händchen greifen nach geträumten Feinden und Freunden. Ich fange ein Buch an und lege es wieder weg und schaue aus dem Fenster ins stahlharte Blau des Himmels und versuche mich daran zu erinnern, wann wir in den nächsten zwei Wochen eigentlich genau wohin fahren.

3 Gedanken zu „Auf Reisen

  1. Madame Modeste, immer wenn ich Ihre Einträge lese, kann ich (als kinderlose Frau) nur denken: So soll es sein. Und mir wird immer warm um’s Herz. Nicht dass ich mich auskenne.

  2. Kinder sind unglaublich anpassungsfähig. Ihnen bleibt ja auch nichts anderes übrig, weil sie von ihren Eltern abhängig sind. Sie wollen also sagen „schaut her, was man mit Kindern alles machen kann“? Na klar, man kann sie mit zur Antarktis nehmen oder auf einen Weltraumflug, Hauptsache Mama und Papa haben sie lieb.

    Unser Kind war nicht ganz so anpassungsfähig bei seinem starken Bewegungsdrang. Nach spätestens einer dreiviertel Stunde auf Reisen mussten wir ins Freie gehen, damit er sich austoben konnte. Das geht also nur mit ruhigen Kindern.

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