Konfetti

Ich bin keine gute Reisende. Manche Leute stehen immer sofort mit Einheimischen an der Bar und schlachten zwei Stunden später mit denen Kamele und tanzen auf der Hochzeit ihrer Kinder den tatarischen Säbeltanz vor. Dafür bin ich Äonen zu distanziert. Deswegen kommt mir Japan entgegen: Jeder ist freundlich, aber niemand will meine Lebensgeschichte hören und keiner fasst mich an. Das mag ich nämlich auch nicht so, wenn ich Leute nicht kenne.

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Dafür mag ich Megacities. Ich bedaure eigentlich nie, Juristin zu sein, aber meine Chancen, ein Jahr hier oder in Bangkok oder San Francisco zu leben, wären mit einem anderen Job deutlich besser. Nun ist da derzeit nicht mehr viel zu ändern, aber wenn der F. einmal deutlich größer ist als heute, rede ich vielleicht mal ein paar Takte mit ihm über den unfassbaren Rausch, ganz woanders zu sein und eine Weile dort zu leben.

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Tokyo riecht so gut. Es ist heiß und etwas feucht, es riecht nicht so parfümiert wie Bangkok, allein schon, weil hier weniger wächst und die Leute keine Räucherstäbchen abbrennen, aber ich könnte den ganzen Tag an jeder Straßenecke stehenbleiben und fünf Minuten kräftig herumschnuppern. Leider lässt man mich nicht einmal zehn Minuten irgendwo stehen oder sitzen, weil der F dann unweigerlich weiterwill. Allein am ersten Tag sind wir am Meiji-Schrein, im Aquarium der Stadt am Meer und im angrenzenden Park, essen irgendwo in der Nähe des Bahnhofs Akihibana, fahren weiter zur Shibuya und laufen durch die Nacht zu unserem Airbnb-Apartment zurück. Am Ende sind es 14 km zu Fuß.

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Die japanischen Studentinnen bis so circa 25 sind total süß. Sie sind hübsch, sie sind gut frisiert, sie wirken heiter und sie sind gut angezogen. Dafür fehlen im Straßenbild In ganz auffälliger Weise schöne Frauen um die 35. Rund ums Mittelmeer sehen Frauen dieser Altersgruppen oft atemberaubend aus, man möchte jeden männlichen Verwandten sofort mit jeder dieser Frauen verheiraten, aber hier scheint irgendetwas schiefzulaufen. Frauen über 30 lachen hier irgendwie nie, wirken bestenfalls gepflegt-verhuscht und oft deutlich sichtbar unglücklich. Ob es an den Japanern liegt? In Deutschland ist ja oft etwas Ähnliches zu beobachten, und das hat auf jeden Fall mit Deutschlands Männern zu tun.

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Am Essen liegt es jedenfalls nicht. Mir schmeckt alles. Ich esse kalte Nudeln und will mich den Rest meiner Tage davon ernähren. Ich esse Reis und Eier und irgendwelche fermentierte Zeugs, ich stopfe gemeinsam mit Mann und Sohn so viel Sushi, dass sogar der ausgesprochen dezenten Kellnerin die Irritation anzumerken ist, und beim nächstgelegenen Supermarkt kaufen wir so viel Sake, dass der F. im Kindergarten nach seiner Heimkehr vermutlich wieder sehr irritierende Dinge über uns verbreitet.

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Ich habe unfassbaren Jetlag und schlafe nie.

4 Gedanken zu „Konfetti

  1. Ein Problem vieler japanischer Frauen ab 30 scheint zu sein, dass viele japanischen Männer irgendwas zwischen bindungsunwillig und bindungsunfähig zu sein scheinen (oder, wenn man Männer fragt, scheinen die Frauen viel zu anspruchsvoll zu sein). Ich habe auf BBC vor einiger Zeit ein Feature über das Problem gehört. Es scheint schwierig, jemanden kennenzulernen, und noch schwieriger, diesen jemand zur Paarbildung zu bewegen. Ganze Stadtverwaltungen richten mittlerweile Singleverkuppelungsabende für die Bürger aus, Architekten rätseln darüber, wie Wohnungen verpartnerungsfreundlich eingerichtet werden können usw.

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