An der Ampel

Stellen Sie sich also eine Ampel vor. Vielbefahrene Straße, hinten Plattenbauten, weiter vorn ein Park. In der Mitte fährt die Tram.

An die Ampel steht eine Frau. Also so eine ganz normale Frau, mittelalt und mittelschwer, eher so ein bisschen kurzgewachsen. In einem so schon  etwas egalen blauen Kostüm, sichtbar auf dem Arbeitsweg. Auf dem Kopf trägt sie Kopfhörer, also das internationale Zeichen für: Bitte keine Kommunikation.

Die Frau hat es eilig. Sie wissen das nicht, aber in zehn Minuten schließt die Kita, sie muss laufen. Ungeduldig hämmert die Frau auf dem Ampelknopf herum.

Was in den nächsten Sekunden passiert, weiß ich nicht genau. Fühlen Sie sich von dem technischen Unverstand der Frau herausgefordert? Glauben Sie, die Aufklärung über die Wirkungslosigkeit der Knopfbetätigung verbessere Ihr Leben oder zumindest das Leben der fremden Frau? Hat mein geschätzter Gefährte, der exemplarisch zurückhaltende J., recht, und es handelt sich um eine berlinerisch verkümmerte und ganz und gar nicht erfolgversprechende Form der zwischengeschlechtlichen Kontaktaufnahme? Wie auch immer: Sie treten also auf die Frau zu, räuspern sich und erklären ihr, dass es rein gar nichts brächte, dieses Malträtieren des Knopfes.

Die Frau reagiert irgendwie weniger dankbar als gedacht. Sie lassen sich aber gar nicht irritieren. Möglicherweise sind Sie sogar mit dem Fahrrad angehalten, um Ihre Erklärung loszuwerden, da fahren Sie doch nicht ohne Erläuterung einfach wieder los. Vermutlich sind Sie sogar etwas enttäuscht über die unfreundliche Frau. Sie reden also einfach weiter  bis die Ampel grün wird. Die garstige Frau läuft Ihnen dann nämlich einfach davon.

Frauen, seufzen Sie vermutlich in diesem Moment. Es gibt einfach keine Dankbarkeit mehr. Selbst wenn Sie wüssten, dass Sie im laufenden Jahr des Herrn 2017 der vierte waren, der der fremden Frau das Berliner Ampelwesen erklären wollte, würden Sie immer noch sehr schlecht über die undankbare Frau denken, aber die ist schon längst über alle Berge, spurtet durch den nahegelegenen Park und denkt sich vielleicht nur leicht genervt ihren Teil.

 

9 Gedanken zu „An der Ampel

  1. Als sie eillig auf der anderen Straßenseite im Getümmel verschwand, leicht kippelig mit ihren etwas zu hohen Absätzen auf dem Kleinsteinpflaster, wurde ihm klar dass sie ihn gar nicht hören konnte.
    Sie hörte bestimmt die komplexe Polyrhythmik von Meshuggah und versuchte den komplexen Bassläufen konzentriert zu folgen. Da entgeht einem blödes Gequatsche an der Ampel schon mal.
    Lächelnd stieg er aufs Rad, machte den Helm fest und fuhr einfach weiter.

    Nicht erschrecken:
    https://www.youtube.com/watch?v=qc98u-eGzlc

    1. Den Helm hat er natürlich aufbehalten. Also, einer von den vier Ampelerklärern des Jahres. Es will mir nicht in den Kopf. Warum machen Leute das.

      1. Die Frage stellen die Ampelerkärer sich bestimmt mit der gleichen Intensität.
        Vielleicht Grüne die den Impuls anderen alles vorzuschreiben was sie selber richtig finden nicht unterdrücken können.
        Emotionen an einer Ampel auszudrücken (sic) ist für mich allerdings auch ziemlich eigenartig. Leiden bei ihnen auch Fahrstuhlknöpfe obwohl die Lampe bereits leuchtet?

  2. oder auch: wer auch immer da draussen seine Impulskontrolle so wenig im griff hat, das so Aktionen sowohl der Handelnde an der Ampel als auch vom Beobachter passieren, sollte sein Zimmer eher nicht verlassen. Und „Hör auf mit dem Scheiss“ ist kein Mansplaining. 😛

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