„Aber warum?“, insistiert Kind F. auf der Frühstücksterrasse, stopft sich weitere Pfannkuchen in den Mund und fordert ein ums andere Mal eine vernünftige Erklärung, wieso unter den anderen Eltern seiner Kindergartengruppe gerade der Spaltpilz umgeht, aber das kann ich ihm auch nicht beantworten. Vielleicht langweilen sie sich, auch wenn ich keinen blassen Schimmer habe, wieso Leute sich gleich scheiden lassen, nur weil sie sich langweilen. Langweilt sich nicht jeder normale Mensch, weil das bürgerliche Leben eben recht wenig Überraschungen für jedes halbwegs normal entwickelte Unterhaltungsbedürfnis bereithält?
„Ihr trennt euch aber nie!“, fordert der F. und der geschätzte Gefährte und ich schauen uns leicht betreten an. Nun ja, besagt J.s Blick. Ganz, wie man es nimmt. Denn der J. und ich sind sozusagen die Könige der theatralischen Trennung.
Wir haben uns beispielsweise auf dem Weg von Amsterdam nach Cochem an der Mosel mehrfach getrennt. Wir waren so ungefähr Anfang 20, im Fiat Punto des J. gab es kein Navigationsgerät, und keiner von uns kann Karten lesen. Erst warfen wir uns unsere Unfähigkeiten nur vor, dann beschlossen wir, uns gleich morgen jeweils jemanden zu suchen, der einfach alles besser kann als der jeweils andere, während mein Vater unablässig anrief und fragte, wann wir denn nun eigentlich in dem Hotel erscheinen würden, in dem er seinen Geburtstag zu feiern beschlossen hatte. Als wir endlich da waren, geriet der Trennungsvorsatz aber schon so ein bisschen in Vergessenheit und wurde im Zuge der väterlichen Feierlichkeiten der nächsten Tage schlicht abmoderiert. In Tunis haben wir die Trennung immerhin zwei Tage durchgehalten, in dem knappen halben Jahr in Hannover haben wir, aber das ist eine ziemlich chaotische Geschichte mit mehreren Beteiligten, uns eigentlich alle paar Tage getrennt, aber nur manchmal mit vollem Programm inklusive Rücktausch der Schlüssel. Die Geschichte mit dem Plüschnilpferd, die hier zuerst stand, musste ich auf den besonderen Wunsch eines einzelnen Herrn leider streichen. Erinnern Sie mich bei Gelegenheit an die auch eher abseitige Suche nach dem silbernen Ring.
Meistens haben wir uns schneller wieder vertragen als es selbst Anfang der Nuller Jahre in Berlin gebraucht hätte, um eine neue Wohnung zu finden, deswegen haben wir nur ein knappes Jahr so richtig in getrennten Wohnungen gelebt, allerdings stand der Anschaffung neuer Lebensgefährten der Umstand entgegen, dass wir wechselseitig die Schlüssel hatten und unangemeldet in die jeweils andere Wohnung zu platzen pflegten, um dort Wäsche zu waschen oder ein wenig zu schlafen. Außerdem war des J. Wohnung von innen teilweise komplett verkorkt. Als ich irgendwann feststellte, dass der J. seiner Familie die Trennung sowieso verschwiegen hatte, um seine Oma nicht aufzuregen, zogen wir wieder zusammen und kauften uns von dem ersparten Mietzins noch mehr gutes Essen.
Fragt man den J., dann reagiere ich beispielsweise überaus hartherzig auf seine vielfachen gesundheitlichen Kalamitäten und bin beruflich wie privat ungefähr gleich nervig hyperaktiv. Fragt man mich, so ist des J. Neigung, ausgesprochen lange quasi nichts zu tun, in Verbindung mit äußerster Reizbarkeit in Hinblick auf Benehmen und Beschaffenheit anderer Leute schon eher anstrengend. Wir haben weder über Religion noch über Politik ähnliche Ansichten und nur teilweise dieselben Freunde und finden die merkwürdigen Menschen, mit denen der jeweils andere sich teilweise so umgibt, unangenehm und komisch. Der J. etwa unterhält eine ganze Riege nichtsnutziger inzwischen nicht mehr so junger Männer aus gutem Hause mit schlechten Noten, aber hohen Einkommen, peinlichen Autos und ziemlich bornierten Ansichten. Ich dagegen kenne haufenweise Streber. Immerhin teilen wir dieselben Ansichten über den Wert guter Manieren bei Kindern und Erwachsenen und die Spätromantik in der Musik.
In Konsequenz dieser Vorgeschichte haben wir eine der ausgefeiltesten Trennungsregelungen, die nicht getrennte Paare überhaupt so unterhalten. Wir präferieren das Wechselmodell, dann ist wenigstens ab und zu mal Ruhe. Das alles verraten wir dem F. indes nicht, sondern sagen nur in aller Ruhe: Wir trennen uns nicht.
Ist den Aufwand nicht wert.
(Aus Anlass, aber natürlich nicht in Beantwortung der Fragen von Frau B.)
Solche Beziehungen können sehr haltbar sein. Der Liebste und ich leben schon 35 Jahre zusammen, obwohl weder unsere Freunde noch unsere Talente zusammen passen. Blond und schwarzhaarig, schneckenlangsam und blitzgescheit, pragmatisch und fantasievoll.Es geht immer noch und unser Filius ist heil dabei geblieben.
Das Geheimnis einer langen Ehe ist, sagt man, ja generell sich nicht zu trennen.
Großartige Geschichte. Sie hatten mich spätestens bei dem Satz: Als ich irgendwann feststellte, dass der J. seiner Familie die Trennung sowieso verschwiegen hatte, um seine Oma nicht aufzuregen, zogen wir wieder zusammen und kauften uns von dem ersparten Mietzins noch mehr gutes Essen.
Ja, tatsächlich, kam er eines Tages ganz kleinlaut an und teilte mit, seine Großmutter bestehe auf meinem Erscheinen an ihrem 80. Geburtstag. Da kam die ganze Sache dann auf.
Der kleine F. hatte aber verflixt Glück, dass er dann doch nicht den Namen Kork bekam.
Entgegen unserer ursprünglichen Pläne haben wir ihn ja noch nicht einmal Oberon genannt. Meine Schwiegermutter war schon ganz azfgeregt
Ich kann es ihr nicht verdenken. Ich hörte mal von zwei Berliner Müttern, die den Sohn Helios genannt haben – gegen den ausdrücklichen Wunsch und Willen des Kindsvaters.
Vielleicht nach dem Geburtskrankenhaus? Oder tatsächlich nach dem Sonnengott, vermutlich mit den besten Wünschen zugunsten eines möglichst sonnigen Gemüts?
Auch ich gehe im Geiste immer wieder ratlos durch die “Studentenbude”, die mein Vater teilte mit seiner zweiten Ehefrau, zwanzig Jahre jünger als meine Mutter. Im Schlafzimmer, das man lediglich eingerichtet hatte mit einer Matratze, hingen Aktfotos der jungen Frau, und das Wohnzimmer wurde beherrscht von einem Bild von ihr in Postergröße… Ratlos bin ich allerdings nur, weil ich es nicht unbedingt als Lebensleistung ansehe, in eine überbevölkerte Welt weitere Kinder gesetzt zu haben. Gehe ich hingegen davon aus, dass der F. auch für Ihre Lebensbilanzierung eine immer zentralere Rolle spielen wird, dann hat die zweite Ehefrau meinem Vater den J1 und den J2 geschenkt. Drei Söhne, die meinem Vater all die Entbehrungen sichtlich wert waren…
Wenn man sich nicht gut fühlt, sollte man etwas ändern, insofern mag es für Ihrem Vater richtig oder falsch gewesen sein, in die Studentenbude zu ziehen, wer könnte das beurteilen. ebenso mit den Kindern. Manchem ist das was, anderen nicht. Man kann das nicht beurteilen. Nur leben.