Allerletzte Zigaretten

Die Besten immer zum Schluss. Auf dem Dach an der Spree, 2003, eine halbvolle Flasche in der linken Hand, in der rechten die letzte Zigarette, und da, wo heute die Mercedes-Benz-Arena steht, spielen irgendwelche Leute vor ein paar Bauwagen Gitarre. Du stinkst nach Bier und Nacht und viel zu vielen Zigaretten, und neben dir sitzt der J.2 und lamentiert, dass er niemals mit der Diss fertig wird, wenn du ihn ständig zwingst, mit ihm auszugehen. Irgendwo hinterm Treptower Park wird es schon hell. Alle paar Minuten schiebt sich die U 1 über die Oberbaumbrücke und du ziehst die Schuhe aus, die wunderschön sind, aber höllisch schmerzen, und legst dich flach auf den Rücken und bläst den Rauch in die warme Luft. Gleich wirst du schlafen.

***

Auf dem Schreibtisch des Vaters von B. Morgens um halb fünf. 1990. Wenn alle in ihren Schlafsäcken schliefen, die N. und der G. auf dem Sofa, die S. und ich im Bett und der J.2 und der T. auf dem Boden. Überall lag Asche, die halbgespielte Partie Risiko auf dem Tisch, ein paar Hefte Mad und PM, ein paar leere Flaschen Heidelbeerwein und Kriss, und ich irgendwann barfuß nach unten schlich, und B’s Vater schon oder noch auf dem Sofa saß und rauchte und las. Wir rauchten alle Lucky oder Gauloises, aber er rauchte Ernte 23 und wenn er zum Automaten musste West. B.’s Vater schenkte mir jedesmal einen Cognac ein, so eine winzige Pfütze in einem riesigen Schwenker. Er saß in einem kamelfarbenen, fusseligen Sessel, gestikulierte mit der Linken, einen riesigen, grünen Glasaschenbecher in der Hand, und erzählte Geschichten über Reisen und Politik und Frauen. Ich blieb immer genau drei Zigaretten und die Pfütze Cognac, und wenn ich wieder in meinen Schlafsack kroch, schlief ich sofort ein.

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Nach einer Lesung im Lass uns Freunde bleiben. 2005. An der Theke noch ein Glas Wein. Und noch eins. Und noch eins. Als die Bar schließt ins 103. Die hatten den schlechtesten Riesling der Welt damals, deswegen Umstieg auf Gin Tonic und auf der Tresenseite, wo das noch ging, sitzen und rauchen. Die riesige, magere Kellnerin mit den Zöpfen, der Mann mit dem schwarzen Hut, und wir erst zu viert, dann zu dritt, schließlich zu zweit, rauchend bis zur vorletzten Zigarette.

Die allerletzte dann auf dem Weg zu mir. Immer abwechselnd ziehen. Der Himmel hängt schon bleich und blaugeädert in den kahlen Ästen, die Nacht hat sich an den Nordpol verzogen. Kommst du noch mit, liegt es mir auf der Zunge, aber dann ziehe ich doch die Tür von innen zu und steige langsam in den vierten Stock und schaue ihm nach, wie er zur Straßenbahn geht und rauche eine aller-, allerletzte Zigarette, die halb zerbröselt auf dem Küchentisch lag.

24 Gedanken zu „Allerletzte Zigaretten

  1. Bei gesellschaftlichen Anlässen, wo geraucht werden darf, empfinde ich es als besonders bemerkenswert, wie die Leute sich teilweise alle 15 Minuten eine anstecken. Und auf Nachfrage kann mir keiner erklären, warum? Als wirklich krass empfinde ich es dann aber, dass später kaum einer leben will von seinen Erinnerungen an solch vergangene Genüsse. Joan Didion etwa genoss als eine Ikone des amerikanischen Journalismus ein sehr mondänes Leben in New York und Hollywood. Als man sie, nach dem Tode ihres Mannes und ihrer Tochter, dann aber trösten wollte mit den vielen herausragenden Erinnerungen, die sie zweifellos gesammelt hatte, und die ihr ja bleiben würden, wehrte sie diese Art des Trostes fast höhnisch ab! Da leben die weitaus meisten Menschen also für ihre Erinnerungen, ziselieren mit Alkohol, Zigaretten und wasweißichnichtalles jeden Moment auf das Intensivste aus, und wollen sich dann später weder daran erinnern, noch daran erinnert werden!

    1. Dass man für den Moment lebt, schließt doch nicht aus, dass man bedauert, wenn er vorbei ist. Warum man raucht, leuchtet mir komplett ein. Es ist schön. Ich habe sehr gerne geraucht und nicht gern aufgehört

  2. Wir rauchten alle Lucky oder Gauloises (…)

    Fast alle. Ich rauchte Benson & Hedges, aber die letzte war eine West, weil es die Bensons nicht am Automaten in meiner Nachbarschaft gab.

    Das ist fast 13 Jahre her, aber nachts im Traum stecke ich mir manchmal noch eine an.

      1. Habe ich zum Glück schon lange nicht mehr geträumt. Anfangs häufiger, dann erst wieder nach etlichen Jahren, was mich damals schon beunruhigt hat. Man wird halt nie wieder Nichtraucher, sondern bleibt immer Ex-Raucher. Ich bin schon froh darüber, dass man vielerorts nicht mehr rauchen darf.

    1. Benson & Hegdes rauchte die Freundin, die denselben Nachnamen hatte. Die gab es doch in verschiedenen Farben, nicht wahr? Schwarz, gold und rot, wenn ich das richtig in Erinnerung habe. Und die Farbe sagte auch etwas über die eigene Coolness aus.

      Anfangs rauchte ich noch Eve oder so lange dünne braune, keine Ahnung, wie die noch hießen (M? DuMont?), sehr bald dann aber Camel, jahrelang. Zwischendurch habe ich auch gedreht und gestopft (Samson) und in London Marlboro geraucht, weil Camel damals dort noch teurer war. Mein schottischer Mitbewohner rauchte Silk Cut, wir teilten uns öfter unsere letzten Zigaretten, wenn wir nachts nicht schlafen konnten. Die letzten zwei, drei Jahre vertrug ich Camel nicht mehr und griff daher meistens zu L&M, aber so genau weiß ich das nicht mehr. Ganz schlimm waren diese Bidis, die zeitweise mal angesagt waren.

        1. Ah, Silk Cut, die habe ich immer als das Frauen-Pendant zu Benson & Hedges gesehen. Meine Ex-Freundin, die sehr starken England-Bezug hatte, rauchte die gelegentlich.

          Ich habe im Landschulheim 1979 angefangen, und die ersten Jahre war ich auf Camel Filter eingeschworen, bis die irgendwann ihre Tabakmischung änderten. Ich habe daraufhin eine ganze Weile alles mögliche an Nischenmarken durchprobiert, Pall Mall de luxe, Winston, die weißen Kent und landete dann irgendwann bei Benson & Hedges, die es zu der Zeit nur in der goldenen Schachtel gab. Die silberne Variante hat mir später optisch besser gefallen, aber die Zigaretten waren mir zu leicht.

          An die Bidis kann ich mich auch noch erinnern. aber die eigentliche Mutprobe waren die filterlosen Gitanes mit Maisblatt. Da hat sich jeder die Seele aus dem Leib gehustet.

        2. Oh ja, Gitanes mit Maisblatt, fürchterlich. Mindestens genauso schlimm, wenn nicht sogar schlimmer waren Papyrossi. Wir bekamen mal welche von unserem Russischlehrer mit der ausdrücklichen Warnung, sie nicht über Lunge zu rauchen. Wir haben die dann zwischen Russisch- und Sportkurs ausprobiert und natürlich aus Gewohnheit den ersten Zug über Lunge geraucht. Uns war danach so was von elend und wir taumelten ziemlich herum beim Sport, so dass uns der Lehrer sogar darauf ansprach.

  3. Wieviele allerletzte Zigaretten ich schon geraucht habe, kann ich gar nicht mehr zählen. Besonders die REYNO macht es besonders schwer aufzuhören, siehe Helmut Schmidt, der sie bis zum Schluss gequalmt hat.

  4. Verstehe die Romantisierung, kann sie nachempfinden und habe das Rauchen auch selbst zelebriert. Allerdings kommt man nicht umhin, finde ich, sich angesichts dieses genialen Schachzugs der Tabakindustrie zu ärgern. Sind die Gründe (des Zur Zigarette Greifens) für Sie überhaupt nicht wert, analysiert oder zumindest hinterfragt zu werden?

    1. Kürzlich mal wieder Gagas alte Bilder von den Lesungen 2005 und 2006 gesehen. Wie jung wir alle waren. Nur Du sahst natürlich genauso fabelhaft aus wie heute; 100 hin oder her.

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