Weil Freundin I. Schwangerschaftsdiabetes hat, habe ich schon am Freitag eine chinesische Tomatensuppe geplant, also so eine angedickte Hühnerbrühe mit Tomaten und verschlagenem Ei und Sesamöl, und danach Rindfleisch mit Paprika und Austernsauce aus dem Wok. Ananas und Zitronensorbet geht nur ganz wenig.
Weil am Samstag nach Leipzig keine Züge fahren, können M. und M. mit den Kindern nicht zum Familiengeburtstag fahren und melden sich kurzerhand auch noch bei uns an. Wir kennen uns alle ganz lange und so gut, dass wir in den Küchen der jeweils anderen bedenkenlos die Kühlschränke aufreißen und wissen, wo was in den Schränken steht, deswegen wundere ich mich überhaupt nicht, sondern kaufe einfach noch Tofu und Rindsgehacktes hinterher. Mit Knoblauch, Ingwer, Miso und Gochujang köchelt mein Mapo Tofu kurz vor vier auf dem Herd. Reis und Suppe stehen fertig in der Loggia.
Neben mir schneidet der F. sehr exakt und konzentriert Lauch in schmale Streifen. Der F. ist jetzt sechs und viel, viel geschickter als ich. Ich glaube, ihm ist noch nie etwas kaputtgegangen, und er hackt Ingwer, deckt Tische und verteilt Servietten durchaus gekonnt und mit beständig guter Laune. Das halbe Internet ist voll von Texten, in denen Eltern mit einem merkwürdigen Stolz auf ihre ungezogene Brut von lauthals plärrenden Gören berichten, die alles zertrümmern, was ihnen zu nahe kommt, bevor sie allnächtlich lautstarke Parties feiern, aber der F. isst und schläft wie eine eins, ist quasi nie krank und hilft bereitwillig im Haushalt. Auf einem Hocker steht er schließlich am Herd, rührt mit Stäbchen in einer Pfanne Rindfleisch und Paprika, damit sie nicht ansetzen, und schüttet mit der linken Hand gekonnt den ganz fein gewiegten Ingwer dazu.
Als ich noch klein war, mussten die Kinder in der Küche essen und die Erwachsenen saßen im Esszimmer. Bei mir sitzt jeder in der Küche, die Kinder lärmen direkt neben uns an einem Campingtisch, und verschlingen unglaubliche Mengen Reis mit Sojasauce und mikroskopisch kleine Portionen aller anderen Speisen. Der ganze Rest geht auf uns.
Urlaubsbedingt haben wir uns wochenlang nicht gesehen. Es geht um Urlaubsziele und Essen, alte Freunde und noch ältere Feinde, große und kleine Politik, Pläne für demnächst und später, und ab und zu rennt – längst sind die Kinder aufgestanden – ein einzelnes Kind in aberwitzigen Verkleidungen durch den Raum. Der M. holt beim Späti noch mehr Bier, ich trinke ein drittes Glas Scheurebe und der F. jagt eigenem Bekunden nach mit den beiden Kindern von M. und M. in seinem Zimmer eine Mücke.
Kurz vor acht ist Schluss. Der Besuch verabschiedet sich, der F. gähnt und während der J. in der Küche die Spülmaschine einräumt, lese ich dem F. vor. Der kleine Vampir, gestern frisch gekauft, wird als „zu spannend“ abgelehnt, Bullerbü soll es sein, und so liegt der F. mit roten, runden Wangen gelöst auf meinem linken Arm, während ich Lisa und Britta auf Oles kleine Schwester aufpassen lasse, und der F. auf meinem Arm langsam schwerer und schwerer wird, bis sein Kopf zur Seite fällt. Leise gehe ich raus.
Schön, schreibe ich meiner Mutter auf WhatsApp, die wissen will, wie mein Wochenende war. Dass ich im Kino war, zweimal, und spazieren, und Freunde gesehen habe und Besuch hatte, und dass es mir sehr, sehr gut geht, und vielleicht ist das schon das Glück.
Ziemlich sicher sogar. Jedenfalls klingt es so an. 🙂
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Gerne gelesen
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Das IST Glück! Auf jeden Fall! Eine liebe Familie mit gesundem Kind, gute Freunde, Zeit füreinander. Geht mehr Glück?
Ja. Das ist Glück.
Ja klar, was denn sonst!
Und der J. war sicher auch Golf spielen… Herzlichen Dank für einen weiteren Einblick in das Glück des Bildungsbürgertums. Als Kind ließ ich mich davon verzaubern: Kinobesuche, chinesisch Essen gehen, und wie gewichtig die Erwachsenen das Weltgeschehen besprachen, als hätten sie dort etwas zu bewegen. Während der Pubertät dann waren es zuerst Schachspieler, die mich aus der Beliebigkeit des Bildungsbürgertums entführten: diese Leidenschaft, mit welcher manche ihre Kunst unsterblich machten, unsterblich! Derweil um mich herum die Erwachsenen verläpperten, sich einem lieben Gott anvertrauten und sagten, dass das Leben eben so sei…
Nun hielt ich das Bildungsbürgertum über Jahrzehnte für eine schlechte Angewohnheit, die sich mit etwas Aufklärung leicht austreiben lassen sollte. Mittlerweile aber muss ich anerkennen, dass sich wohl auch im Bildungsbürgertum ein starkes Triebgeschehen verschanzt hält. Der freundliche Herr Notar aus Ihrem letzten Beitrag etwa, der sich wegen einer neuen Frau alle paar Jahre sein Leben um die Ohren fliegen lässt, als sei es ein Freudenfeuerwerk: “Da packt es Dich einfach!” beschwor mich mein Vater immer. “Da kannst Du Dich gar nicht gegen wehren.” Und selbstverständlich ordnen die Hormone dann auch weitere Kinder an… In diesem Sinne sehe ich mein Bemühen als so grotesk an wie jene Szene, wo ein Kaufmann gerade mit der Ladenkamera den Busen einer Kundin ranzoomt, während Robert De Niro als Vertreter ihn für seine Waren interessieren will…
Danke allerseits!
Ja, das ist das kleine Glück. Leider wird es ganz oft übersehen beim Warten auf oder dem Suchen nach dem ganz großen Glück. Dabei ist das große Glück nur die Summe vieler solcher kleiner Momente.