Doppelherz

„Denk dir!“, schallt es ein bisschen zu laut aus dem Hörer. „Da haben sich doch die I. und die K. kürzlich …. bist du noch dran?“ – „Ja!“, antworte ich und hole mir möglichst unauffällig einen Kaffee. Dieses Gespräch kann dauern.

Als der Akku fast alle ist, bin ich im Bilde. Es geht also um den K. Herrn K., genauer gesagt. Lehrer für Englisch und Erdkunde am Gymnasium einer kleinen Stadt, die so langweilig ist, dass es man Herrn K. vielleicht nicht wirklich übelnehmen kann, dass er den vielfältigen Versuchungen, die damals, Mitte der Neunziger, um einen jungen Studienrat herumtanzten, nicht immer ganz gewachsen war. Heute käme wahrscheinlich die Polizei, damals kam keiner, jedenfalls nicht im wörtlichen Sinne, und so lebte der Herr K. vergnügt vor sich hin und fiel ab und zu in tiefe Liebe, um nach dem Abitur der jeweiligen Herzdame verlassen zu werden, weil die jeweilige Herzdame dann wegzog, um irgendwo zu studieren.

Die Jahre kamen und gingen. Herr K. wurde älter. Auch seine früheren Herzdamen alterten. Die I. und die K. etwa haben nächstes Jahr 25-jähriges Abitreffen, was den Abijahrgang so etwa halbwegs wieder zusammengebracht haben dürfte, jedenfalls gibt es nun eine WhatsApp-Gruppe, und um sich so etwas neben der großen Gruppe, die das Treffen vorbereitet, zu unterhalten, gibt es ungefähr vier bis fünf weitere WA-Gruppen, in denen unterschiedliche Freundeskreise sich austauschen.

Oha, sage ich und trinke, weil kein Kaffee mehr da ist, einen Tee.

Nach einigen Tagen und Wochen wurden die Gespräche in den Untergruppen zunehmend intim. Man kennt das: Die Teilnehmer kennen sich ganz gut, irgendwann ist es Samstagnacht und alle halbwegs angetrunken: Nach und nach kamen erst die unschuldigeren Geständnisse auf den Tisch, also wer wen gern geküsst hätte, so zwischen 93 und 95, und dann die weniger unschuldigen. Wer also mit wem mehr so im Indikativ.

Manche Leute haben ein Elefantengedächtnis. Andere zumindest verlässliche Aufzeichnungen. Ob nun die I. das Tagebuch und die K. das Mordsgedächtnis oder umgekehrt … alles egal. Jedenfalls war die Erkenntnis nicht zu vermeiden: Es gab Parallelen. Und zwar im wörtlichsten Sinne. Nach dem Oberstufenfest im Herbst 94 etwa. Da muss Herr K. den Abend bis gegen 23.00 Uhr mit der K. und sodann mit der I. verbracht haben. Und nach dem Chorkonzert in L. Und am Vorabend des Abiballs sowieso.

Die I. ist nun offenbar trotz der vielen, vielen Jahren rechtschaffen sauer. Die K. nimmt es leicht, wie sie ohnehin nicht zum Schwernehmen neigt. Aber Herr K. kann vermutlich spätestens auf dem Abitreffen nächstes Jahr etwas erleben, das ihn von den Herzdamen kurieren wird, wenn er denn nicht ohnehin den schönen Mädchen zwischenzeitlich altersbedingt entwachsen sein sollte.

5 Gedanken zu „Doppelherz

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