Besser als nichts

Die Tante K. der B. ist jetzt auch schon tot. Die Tante war die Lieblingstante der B., lustig und langhaarig in jungen Jahren, auch wohl sehr hübsch, und dass sie nie geheiratet hat, hat wirklich keiner verstanden. Die Tante hätte noch als Siebzigjährige heiraten können, Kinder hätte sie haben können, aber so hatte sie nur zwei Nichten und einen Neffen und einen kleinen Hund so gegen Ende. Den hat jetzt der Bruder der B.

Als wir 14 oder 15 waren, wurde uns klar, dass die Tante nicht einfach keinen fand, sondern schon einen gefunden hatte. Der wollte sie wohl einfach nicht. Oder er war schon verheiratet. Ob da überhaupt jemals etwas war, bekamen wir nicht raus. Es mag sein, dass die B. es weiß, aber die hat es mir nie verraten.

Angeblich hat die Tante nie einen anderen Mann auch nur angesehen. Sie war Bibliothekarin, sie liebte ihren Beruf, sie hatte zeitlebens viele Freundinnen und unternahm mehr als alle anderen Erwachsenen, die ich so kenne. Die Tante hat ein reiches Leben geführt, trotz ihrer Entscheidung, wenn es das Beste nicht gibt, aufs Zweitbeste zu verzichten, aber trotzdem, sage ich zur B., würde ich in den kleinen wie in den großen Dingen immer anders entscheiden, weil etwas mehr ist als nichts: Weil ein Glas Saft weniger als ein Glas Wein ist, aber mehr als Wasser. Weil man dem Bißchen die Chance geben möchte, am Ende doch gut genug zu sein. Und weil Wünsche manchmal verschwinden, wenn man sie zur Hälfte erfüllt.

Aber ja, Tante K.: Meistens nicht.

6 Gedanken zu „Besser als nichts

  1. Ich mag die Tante. Und ich finde es gut, dass sie sich nicht mit dem Zweitbesten zufriedengegeben, sondern einfach ihr eigenes Ding gemacht hat. Ein interessanter Job, viele Freundinnen, Reisen, Neffe und Nichten… Also für mich klingt das viel besser als so ein mittelmäßiger Mann, der erwartet, dass frau auf dem Sofa sitzt und strickt, wenn er Fußball guckt. Nachdem frau Abendessen gekocht und Bier geholt hat, natürlich.
    Ob sie wirklich nie einen anderen angeguckt hat, wer weiß? Ich sage aus Erfahrung, dass es sehr viel besser ist, solche Dinge für sich zu behalten. Ansonsten gibt es nämlich jede Menge Leute, die einem ungefragt ihre Meinung dartun oder gar (ihrer Meinung nach) passende Kandidaten anschleppen.
    Es ist tatsächlich möglich, auch ohne Ehemann und Kinder ein nicht nur sinnvolles, sondern auch glückliches und ausgefülltes Leben zu führen.

    Liebe Grüße von einer, die vielleicht mit Siebzig noch heiratet – aber nur, wenn bis dahin der Traumprinz aufgetaucht ist 😉

  2. Ja. So ist das. Manchmal. Manchmal nicht. Manchmal, das mag komisch klingen: beides gleichzeitig.

    PS: schaue seit längerem Mal wieder her und es ist anders geworden, aber mehr noch bezaubernd. „Herz, was willst noch mehr“ hätte man bei uns zu Hause gesagt. Danke Dir!

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