Vielleicht liegt’s an der dreimonatigen Theaterabstinenz. Aber trotz der fast durchweg abscheulichen Kritiken, die man so liest: Mir hat es gefallen.
Gut, den speziellen Charme von Thomas Manns Tetralogie strahlen die rund drei Stunden“Joseph und seine Brüder“ im DT nicht aus. Das stellt man sich auch schwierig vor: Dieses Oszillieren aller dramatis personae, in der jeder einerseits er selbst in reinster menschlicher Dimension, andererseits aber sein eigener Mythos, also Archetyp wie Individuum gleichermaßen, darstellt und dies gleichzeitig auf unsagbar delikate Weise sowohl weiß als auch nicht weiß, ist kaum zu reproduzieren, und so hat es Dramaturg John von Düffel wohl auch gar nicht versucht. Einen Hauch der – wie soll man es anders sagen – lieblichen Heiterkeit der Geschichte vom hübsch-schönen Joseph und seinen ungeschlachten, ungeliebten Brüdern jedoch vermag die Inszenierung durchaus zu vermitteln, und die vielfach eingesetzten scherenschnitthaften Sequenzen hinter großen Laken wirkten auf mich (aber die bestallte Kritik sah das anders) liebenswürdig und nicht schlichter, als die an sich ja durchaus märchenhaft orientalische Geschichte verträgt.
Natürlich fehlt Einiges, was mir lieb ist. Die Eltern des Potiphar etwa, die ganze Geschichte um dessen Eunuchentum. Ganze Sequenzen, die den Roman umranken, derer er aber für den Fortgang nicht bedarf. Der Tod der Rahel, diese rührend unkitschige Sterbeszene, die wohl schönste, die Thomas Mann schuf, schöner noch als die beiden Kindestode, die des Hanno und die des Nepomuk Schneidewein, schöner auch noch als den Tod Aschenbachs in Venedig. Auch taucht Pharao nur kurz und schemenhaft auf, wo Thomas Mann den Echnaton, diese wohl interessanteste Figur der ägyptischen Geschichte, in einen weiten Bogen stellt. Zuletzt kommt auch Gott, der große Puppenspieler, Vaterbild und -vorbild, durchaus nicht so allwaltend auf, wie es in Thomas Manns Roman durchaus auch dort der Fall ist, wo man gerade nicht von ihm spricht. Die Regiesseurin Zandwijk hat also eine Art atheistischen Joseph auf die Bühen gebracht.
Gut unterhalten habe ich mich gleichwohl gefühlt. Einsam saßen wir, der W. und ich, oben im zweiten Rang, Reihe 1, ganz in der Mitte, und sahen auf die Bühne herab. Kalt war es geworden nach einer ganzen Woche Sommer, und ziemlich zufrieden fuhr ich heim, vorbei an den Bars, vorbei an den Restaurants, durch die sonderbar leere Torstraße unter nächtlich-schwärzlichen Bäumen und wog, einmal daheim, die vier beige-braunen Bände in der offenen Hand, die wohl nicht den wichtigsten deutschsprachigen Roman des 20. Jahrhunderts darstellen, wie man so sagt, aber, befragte man mich, den schönsten, den lichtesten, den, über den sich am weitesten ein blauer, lächelnder Himmel spannt von uns bis zu denen ganz am Anfang und vor aller Zeit.
Ach Joseph und Mut-em-enet auch Eni oder Enti geheißen, die Zwerge Gottlieb und Dudu, ja Montkaw und das ganze äffische Ägypterland und wäre der Stapel an Arbeit nicht so hoch wie der Berg Sinai selbst, so packte man die vielgeliebten Bände und versänke sofort in ihnen und dankt so nur aus der Ferne für den Blick durch das Schlüsselloch und die Erinnerung an die Bühne die wohl das Leben ist, wie man so sagt.
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Hach, ich habe auch gleich wieder angefangen. Derzeit sitze ich noch mit Joseph und Jaakob am Brunnen, und es wiederum ein nicht auszumessender Genuss.
Ja am Brunnen mit Urgeblök. Das ist solch ein Herzensbuch. Das erste Buch das ich ganz auf Deutsch las, aus einem winzigen Antiquariat in Tel Aviv erstanden und vor den Augen der Familie verborgen-deutsche Muttersprachler die „danach“ nie wieder Deutsch sprachen, sondern ein holperndes Hebräisch, das ihnen immer ein fremder, schwerer Kiesel im Mund blieb.
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Als ich Ihren Kommenta las, da hatte ich wieder das Hebräisch im Ohr, dem man (ich verstehe nur sehr wenig und spreche so gut wie nichts) immer anhört, dass es keine Muttersprache ist. Ich habe mich damals oft gefragt, wie man sich fühlt, ausschließlich eine Sprachee zu benutzen, die einem nie ganz heimatlich wird, und stellte es mir stets ein wenig fremd und kalt und steinig vor.
Fremd blieben sie in einem Land das nie Zuhause werden sollte, nicht richtig in einer Stadt in der sie Kirchtürme, den Fluss, die Philharmonie, das Theater und die Häuserzeilen Wiens und Berlins suchten und verloren gaben, fremd die Buchstaben, denn ihnen fehlten die Worte und mit der flachen Hand schlug sie mir in mein Gesicht, meine Großmutter und schrie, ob ich auch in die Grube fahren wollte, auf Deutsch schrie sie und das Buch flog gegen die Wand.