In vorweihnachtlicher Versöhnlichkeit, meine Damen und Herren, wollen wir einmal nicht darüber urteilen, was in einer uns sozusagen entfernt bekannten Dame vorgegangen sein muss, als sie, obschon verheiratet und Mutter, einfach so letzten Donnerstag ihr Herz an einen ganz anderen Herrn als ihren Eheherrn verschenkt hat. Vielleicht ging es aber auch gar nicht in erster Linie um ihr Herz.
Nun ist es mit Herzen ja so eine Sache. Die Dame gilt generell als ein klein wenig, gar nicht so arg sehr, aber vielleicht ein bisschen flatterhaft. Der Herr, um den es hier gehen soll, ist dagegen, wenn auch anderweitig verheiratet, ein schon als ausgesprochen beständig bekanntes Wesen, und vielleicht macht das die ganze Sache zwar in den Augen aller billig und gerecht Denkenden nicht besser, aber zumindest für den Romantiker ein wenig leichter verdaulich, denn der ihr nunmehr zumindest lose zugehörige Herr behauptet steif und fest, er sei überhaupt schon immer bis über beide Ohren, na, und so weiter. Was Leute in solchen Situationen eben so sagen.
Am Freitag Abend jedenfalls stand besagter Herr nun einigermaßen spontan vor der Haustür der Dame, die dort mit ihrem Gatten und den gemeinsamen Kindern ein verhältnismäßig kultiviertes, wenn auch möglicherweise etwas reizarmes Leben führt, spielte eine Runde Backgammon mit dem Herrn des Hauses, plauderte mit besagter Dame, las den Kindern etwas vor und verabschiedete sich über die Weihnachtsfeiertage, weil er die mit seinen Kindern bei seinen Eltern verbringt. Die Verhältnisse sind nämlich allseitig ein wenig kompliziert. Dem besuchten Paar ließ er einen belgischen Gewürzkuchen da, den Kindern schenkte er belgische Schokolade, und die Dame bekam so halb heimlich eine Bonbonkette, also so eine zusammengebundene Kette mit so vielen Bonbons, wie Tage vergehen, bis man sich wiedersieht. Die meisten Leute findet das kitschig, aber die sind wahrscheinlich schlicht gerade nicht verliebt.
Auch unsere Dame ist schon sehr angetan von dem wirklich sehr hübschen Mann, aber verliebt ist sie definitiv nicht. Damen verlieben sich einfach nicht so schnell. Diese Dame schnitt die Bonbonkette deswegen einfach auseinander, stellte eine ihrer wirklich schönen, englischen Silberschalen auf den Tisch und drapierte die Bonbons darin. Ein paar Stunden später waren die Bonbons weg.
Im Laufe des Tages dachte die Dame nicht mehr an die Bonbons. Abends allerdings erhielt sie eine E-Mail von dem abgereisten Herrn. Das war an sich nicht weiter erstaunlich, weil der abgereiste Herr ihr ständig schreibt, aber diesmal war ein Bild von einem Bonbon dabei – offenbar hatte er auch sich eine Kette gebastelt – das er malerisch auf ein aufgeschlagenes gutes Buch geschoben hatte, und das Buch wiederum lag auf einem Intarsientischchen vor einer sehr, sehr schönen seidenen Tapete. Unter diesem Bild stand nur „Und Dein Bonbon?“
Die Dame fluchte. Noch unromantischere Leute hätten vermutlich einfach zugegeben, die Bonbons verfüttert zu haben, aber zum einen ist unsere Dame nicht so unromantisch, wie es für ihr Seelenheil vorteilhaft wäre, zum anderen will sie den hübschen Mann behalten und vermutet, dass er ein solches Gestädnnis übel nehmen könnte. Unsere Dame begab sich also am Samstagmorgen zum Einkaufen und erwarb dort, unter anderem, einen ganzen Beutel gleichartiger Bonbons, die sie zähneknirschend zusammenband, um vermutlich mindestens zwei Wochen Bonbon für Bonbon stimmungsvoll drapiert zu fotografieren. Wie man hört, überlegt unsere Dame inzwischen, ob es in der Stadt nicht doch noch irgendwo ähnlich reizende, aber weniger romantische Leute gibt, also mehr so ohne Bonbons, und lässt sich von lieben Freunden hänseln, die ihr vorhalten, kleine Sünden bestrafe der liebe Gott halt sofort.