„Hah, Frieden!“, trompetet die A. und zieht die Nase kraus. Eine Datscha sei überhaupt nie eine friedliche Angelegenheit, und die Abende, die man sich so vorstellt, im Garten inmitten von Rittersporn und Rosen, die gebe es so selten, die fielen quasi nicht ins Gewicht. Tatsächlich gehe sozusagen täglich etwas schief. Ein Kind werde etwa von Hornissen gestochen, der Holzschuppen mit dem Gartengerät brenne ab oder sowohl Vater wie Mutter reisten ohne Lebensmittel an, weil jeder gedacht habe, der andere kaufe ein. Sei aber einmal alles ruhig, so langweile man sich zu Tode. Sie beispielsweise ekele sich vor natürlichen Gewässern wegen der darin lebenden defäkierenden Tiere, so dass Baden quasi ausfalle, verabscheue Brettspiele und verachte die Gartenarbeit als schieren Stumpfsinn. Dass es das Wochenendhaus in der Uckermark überhaupt gebe, sei deswegen allein auf ihren Lebensgefährten zurückzuführen, der, irgendwo in der Fränkischen Provinz aufgewachsen, sich ein Kinderleben ohne Kaulquappenfangen und Kürbisschnitzen im Garten nicht vorstellen könne.
Dabei, fährt sie fort, könne man noch froh sein, wenn einen das Haus nur langweile. Ihre Freundin E. etwa habe die Datscha an der Prignitz am Ende Ehe wie Dach über dem Kopf gekostet, denn um der erwähnten Langeweile des Landlebens zu entgehen, hätten die E. und ihr Gatte eine alte Schäferei, bis dato halbverfallen, gemeinsam mit zwei anderen Paaren erworben und mit ihren zusammen ungefähr zehn Kindern saniert und genutzt.
Mehrere Jahre lief alles prächtig. Man fischte, grillte, badete und bastelte an Haus und Garten herum. Wir sind ja alles entlaufene Landkinder. Das wertet derlei Aktivitäten schon aus nostalgischen Gründen mächtig auf, und weil niemand von uns ein Stadthaus, sondern alle nur Etagenwohnungen haben, kommt das Zaun Streichen oder Beete Bepflanzen auch so selten vor, dass es nicht zu lästigen Pflichten wie Staubsaugen oder so ausartet. Die E., so behauptet ihre Freundin, sei glücklich gewesen.
Doch Glück sei ja ein bekannt flüchtiger Zustand, und wenn es uns am Besten geht, werden wir unaufmerksam und behäbig. Der E. sei deswegen – oder auch einfach aus Gutgläubigkeit – komplett entgangen, dass ihr Gatte sich ihr ab-, und dafür dem weiblichen Teil eines der anderen Paare zugewandt habe, mit denen sie das Haus erworben hatten. Es sei, so meint jedenfalls die A., zwar nicht recht nachzuvollziehen, wieso sich ein mit einer Brot backenden Mutter verheirateter Vater von zwei Kindern, dem langweilig sei, nicht einer lustigen, 15 Jahre jüngeren Praktikantin aus Neukölln, sondern einer anderen Brot backenden Mutter zuwende, aber vielleicht habe es mit einer lustigeren Person ja schlicht nicht geklappt.
Ein lebensklügeres Wesen als die E. hätte nun, so meint die A., ihren ideellen und monetären Kassen gesichtet und sich zu einem stolz-beleidigten Schweigen entschieden. Zu ihrem Unglück allerdings sei die E. schon seit ehedem eher denjenigen Menschen zuzurechnen gewesen, die von sich selbst beschönigend behaupten, sie folgten stets ihrem Herzen. Mit anderen Worten: Die E. habe nicht im Ansatz nachgedacht, sondern sei erst ziemlich laut geworden und dann mit dem jüngsten, noch nicht schulpflichtigen Kinde zu ihrer Mutter gefahren. Die wiederum bestärkte die E. darin, sich nicht dauerhaft an einen Wüstling zu verschwenden. Die E. teilte also mit, sie wolle sich scheiden lassen. Der Ehemann und Kindsvater war einverstanden.
Es werde, schlug er vor, das ältere Kind bei ihm in der gemeinsamen Ehewohnung am Helmholtzplatz bleiben. Das jüngere Kind ziehe mit der E. an einen Ort ihrer Wahl. Um den Zugewinn der immerhin sechsjährigen Ehe auszugleichen, erhalte sie den gemeinschaftlichen Anteil an dem Haus an der Prignitz ganz, und in Ansehung des für den gewohnten Lebensstil vermutlich nicht ausreichenden Unterhalts für das jüngere Kind suche sie sich wohl besser einen Job. Die dann folgende Bezifferung der von ihm zu erwartenden Summe Geldes war erschreckend. Laut der A. geht es um circa 900 Euro. Die E. war fassungslos. Für 900 Euro gibt es im Prenzlberg derzeit kaum mehr eine Garage.
Mehrere konsultierte Anwälte gaben keine günstigere Auskunft zur Unterhaltshöhe. Eine Berufstätigkeit scheint – die E. hat ein Pädagogik-Studium zwar begonnen, aber nicht beendet – nicht unmittelbar in Sicht, zumal die E. eher unscharfe Vorstellungen davon hat, in welcher Funktion sie berufstätig werden will, aber auf jeden Fall eine Vollzeittätigkeit unter Verweis auf ihr Kind ablehnt. Aktuell wohnt sie in der Wohnung einer aus beruflichen Gründen für vier Monate absenten Freundin in Mitte und sucht eine neue Bleibe. Ein grauenhaftes Schicksal, so die A. erwarte ihre Freundin E., und schuld sei nur die unglückselige Datscha.