Gut, so eine Pandemie ist eine ernsthafte Sache. Leute werden krank, manche Leute sterben sogar, Unternehmen kommen in ernsthafte Schwierigkeiten, und ganz unabhängig von Corona altern rund um mich herum die Eltern aller meiner Freunde in einem beängstigenden Tempo. Bei meinen Eltern ist inzwischen auch immer was.
Unsere Jobs wachsen außerdem proportional zu unserem Körperumfang. Ernsthaft, ich habe gar keine Taille mehr. Und wenn ich um mich herumschaue, sind eigentlich alle Menschen, die jemals Erfolg haben wollten, heute ein bisschen bis ziemlich erfolgreich. Ich in den Grenzen meiner schmerzlos mittelmäßigen Fähigkeiten auch. Erfolg bedeutet aber nicht nur, dass man ziemlich viel von den Dingen zu tun hat, die man gern und gut macht, sondern alle möglichen Aufgaben, die einem irgendwie, keiner weiß, wie und warum, vor die Füße fallen, vor allem Ehrenämter und unbezahlte Publikationen. Und außerdem verschlingen Kinder mehr elterliche Zeit als Würstchen und Schokolade. Das ist alles sehr schön, wenn man seinen Beruf sehr liebt und völlig unverdient das liebenwürdigste Kind der westlichen Hemisphäre beherbergt. Aber seien wir ehrlich: Hier sitzt die gelangweilteste Frau von ganz Berlin. Ach, des Universums.
Angeblich feiert ganz Berlin irgendwo exzessiv den Weltuntergang, aber erstens lädt mich jedenfalls niemand dazu ein, und zweitens bin ich so langweilig vernünftig, dass ich nicht hinginge. Weil ich eine vernünftige Frau bin, lasse ich mich ja sowieso nur noch von der Kunst erschüttern, aber die findet aktuell eigentlich nicht statt. Vermutlich ist es eh weit mit einem gekommen, wenn das emotional aufregendste Ereignis des Winters jeweils in einer besonders gelungenen Operninszenierung besteht.
Dates habe ich auch nicht. Das ist jetzt nicht weiter erstaunlich, weil ich 44 und verheiratet bin und Verwaltungsrechtlerinnen als wahnsinnig langweilig gelten. Oder – ich bekomme das zum Glück ja nicht so mit – es sogar sind. Auf der einen Seite ist das jetzt nicht so schlimm, weil ich mit meiner Lebenssituation an sich total zufrieden bin. Auf der anderen Seite wäre es mal wieder nett, wenn es zumindest mal einen Anlass gäbe, sich was Vernünftiges anzuziehen, denn aktuell trage ich aus einer Mischung aus Hitze und Gleichgültigkeit in einer festen Reihenfolge alle 12 blauen Sommerkleider, in denen ich aussehe wie eine ältliche Stewardess.
Weil man derzeit auch nirgendwo hinfahren kann und es zu heiß ist, Sport zu treiben, verbringe ich eigentlich meine gesamte freie Zeit mit Essen. Ich esse ganz gern, aber ist gutes Essen wirklich ein Lebensinhalt? Ich habe dieses Jahr schon über 30 Bücher gelesen, und natürlich ist es nett, sich zumindest literarisch mit Leuten zu umgeben, die mehr erleben als ich. Bei meinen Freunden passiert auch eher wenig wirklich Überraschendes, und wenn das so weitergeht, habe ich spätestens zum Jahresende ein echtes Problem, überhaupt noch morgens aufzustehen, weil ich ja eh schon weiß, was passiert.