Schöne Bilder zeigt dieser Film des Österreichers Michael Haneke, allzu schöne Bilder, die die rückwärtsgewandte Sehnsucht nach einer gerundeten, ganzen Welt aufrufen, als habe jemand eine Taste bedient: Ein kleines Dorf, Eichwald, irgendwo im Nordosten Deutschlands, Mecklenburg vielleicht, Pommern, möglicherweise noch weiter Richtung Osten. Über das Dorf herrscht der Gutsherr (Ulrich Tukur), flankiert wird diese Herrschaft durch den Pfarrer (Burghart Klaußner) mit verhärmter Frau und vielen, vielen Kindern, den Verwalter (Josef Bierbichler) und den Arzt (Rainer Bock). Jeder hat seinen Platz in diesem preussischen Universum, und ganz unten in dieser Ordnung stehen die Kinder.
Überall laufen Kinder herum. Immer sind sie da, wenn etwas geschieht, und was geschieht, wird erschreckender von Mal zu Mal. Der Arzt fällt vom Pferd über eine dünne, straff gespannte Schnur. Der Sohn des Gutsherrn (hübsch, ein langhaariger Tadzio wie von Visconti) wird verprügelt und kopfüber aufgehängt. Eine Scheune brennt, ein Kanarienvogel wird gekreuzigt, und nach und nach kristallisiert sich heraus, dass es vielleicht die Kinder waren: Unjugendlich sehen sie aus, hart, mitleid- und freudlos.
Wie schwere, steinbeschwerte Bretter lastet die Herrschaft der Erwachsenen auf den Kindern. Mit Ruten und Strafen, dem weißen Band aus dem Titel als Stigma verlorener Unschuld, mit Druck und Angst regieren die Eltern ihre Kinder, und doch gewinnt man kaum den Eindruck, hier werde ein abnormaler Ausnahmefall, ein seltener Sadismus abgebildet. Hier regiert – erzählt von dem sensiblen Lehrer des Dorfes (Christian Friedel) – eine harte, strenge, protestantische Fürsorge. Selbst im Sommer sieht diese Welt steinern und gefroren aus, und man verübelt es den Kindern zunächst nicht, sich tückisch und verquer an der Welt zu rächen, die sie aus kleinsten Anlässen bestraft, um zu unterwerfen und zu zerbrechen, was in diese enge Ordnung nicht passt.
Dann aber richtet sich die Gewalt gegen ein behindertes Kind. Um den Sohn der Hebamme geht es, einen kleinen geistig behinderten Buben, der halb totgeschlagen wird, und am Ende gleichzeitig mit dem Arzt – monströs auch er – und seiner Familie verschwindet. War jede der früheren Untaten noch als Reaktion, als Zurückschlagen gegen eine böse Erwachsenenwelt verständlich, so steht jedes Verständnis, jedes Mitleid gegenüber diesem sinnlosen Gewaltakt gegen den behinderten Knaben mit hängenden Schultern dem Bösen gegenüber. Die verhinderte, unterdrückte Vitalität der Kinder wendet sich nicht gegen ihre Unterdrücker, sondern wird weitergereicht an einen Wehrlosen, der sich noch weniger widersetzen kann als die Kinder des Pfarrers, die Tochter des Arztes oder die Verwalterssöhne, und wenn in den letzten Minuten des Filmes der Krieg ausbricht, im Sommer 1914, ahnt man den Terror und die Brutalität, die die Kinder aus dem Dorf in andere Dörfer und Städte tragen werden ein ganzes Leben lang als den Preis der Ordnung dieser alten Welt, die es so nicht mehr gibt, im deutschen Nordosten, aber – so sagt man – vielleicht noch andernorts, wo andere Kinder wohnen.
Das weiße Band
2009