Bewegte Bilder

Aus einer kalten Welt

Schöne Bilder zeigt dieser Film des Österreichers Michael Haneke, allzu schöne Bilder, die die rückwärtsgewandte Sehnsucht nach einer gerundeten, ganzen Welt aufrufen, als habe jemand eine Taste bedient: Ein kleines Dorf, Eichwald, irgendwo im Nordosten Deutschlands, Mecklenburg vielleicht, Pommern, möglicherweise noch weiter Richtung Osten. Über das Dorf herrscht der Gutsherr (Ulrich Tukur), flankiert wird diese Herrschaft durch den Pfarrer (Burghart Klaußner) mit verhärmter Frau und vielen, vielen Kindern, den Verwalter (Josef Bierbichler) und den Arzt (Rainer Bock). Jeder hat seinen Platz in diesem preussischen Universum, und ganz unten in dieser Ordnung stehen die Kinder.

Überall laufen Kinder herum. Immer sind sie da, wenn etwas geschieht, und was geschieht, wird erschreckender von Mal zu Mal. Der Arzt fällt vom Pferd über eine dünne, straff gespannte Schnur. Der Sohn des Gutsherrn (hübsch, ein langhaariger Tadzio wie von Visconti) wird verprügelt und kopfüber aufgehängt. Eine Scheune brennt, ein Kanarienvogel wird gekreuzigt, und nach und nach kristallisiert sich heraus, dass es vielleicht die Kinder waren: Unjugendlich sehen sie aus, hart, mitleid- und freudlos.

Wie schwere, steinbeschwerte Bretter lastet die Herrschaft der Erwachsenen auf den Kindern. Mit Ruten und Strafen, dem weißen Band aus dem Titel als Stigma verlorener Unschuld, mit Druck und Angst regieren die Eltern ihre Kinder, und doch gewinnt man kaum den Eindruck, hier werde ein abnormaler Ausnahmefall, ein seltener Sadismus abgebildet. Hier regiert – erzählt von dem sensiblen Lehrer des Dorfes (Christian Friedel) – eine harte, strenge, protestantische Fürsorge. Selbst im Sommer sieht diese Welt steinern und gefroren aus, und man verübelt es den Kindern zunächst nicht, sich tückisch und verquer an der Welt zu rächen, die sie aus kleinsten Anlässen bestraft, um zu unterwerfen und zu zerbrechen, was in diese enge Ordnung nicht passt.

Dann aber richtet sich die Gewalt gegen ein behindertes Kind. Um den Sohn der Hebamme geht es, einen kleinen geistig behinderten Buben, der halb totgeschlagen wird, und am Ende gleichzeitig mit dem Arzt – monströs auch er – und seiner Familie verschwindet. War jede der früheren Untaten noch als Reaktion, als Zurückschlagen gegen eine böse Erwachsenenwelt verständlich, so steht jedes Verständnis, jedes Mitleid gegenüber diesem sinnlosen Gewaltakt gegen den behinderten Knaben mit hängenden Schultern dem Bösen gegenüber. Die verhinderte, unterdrückte Vitalität der Kinder wendet sich nicht gegen ihre Unterdrücker, sondern wird weitergereicht an einen Wehrlosen, der sich noch weniger widersetzen kann als die Kinder des Pfarrers, die Tochter des Arztes oder die Verwalterssöhne, und wenn in den letzten Minuten des Filmes der Krieg ausbricht, im Sommer 1914, ahnt man den Terror und die Brutalität, die die Kinder aus dem Dorf in andere Dörfer und Städte tragen werden ein ganzes Leben lang als den Preis der Ordnung dieser alten Welt, die es so nicht mehr gibt, im deutschen Nordosten, aber – so sagt man – vielleicht noch andernorts, wo andere Kinder wohnen.

Das weiße Band
2009

In der Manege

Rigoletto, Komische Oper am 20.09.2009

Es glitzert. Auf der Bühne der Komischen Oper blitzt es aber nicht wie Juwelen oder Ordenssterne, sondern wie die Phantasieuniformen eines Zirkus: Barrie Kosky hat den Hof von Mantua in eine Zirkusmanege verlegt, in der der Herzog (gesanglich schwach: Hector Sandoval) Damen zersägt, wo Clowns herumlaufen, unter einem großen, schwarzen, glitzernden Tuch Personen erscheinen und verschwinden, und wo Rigoletto, der Narr, als Komödiant unter Komödianten seine Witze reißt und die vom Herzog verführten Damen ebenso herzlos verspottet, wie man ihn selbst verspotten wird, wenn im zweiten Akt seine Tochter Gilda trotz aller Vorsichtsmaßnahmen dem Herzog zum Opfer zum Opfer fällt.

Schön gesungen wird auf der Bühne unter den Linden. Besonders Bruno Caproni als Rigoletto und ganz besonders (ach!) Julia Novikova als Gilda singen großartig, aber trotz vereinzelt hübscher Bilder rührt die Inszenierung mich nicht an. Nun mag dies einerseits daran liegen, dass sowohl eine verlorene Jungfräulichkeit als auch ein mutwillig gebrochenes Herz uns heute gewiss als ein Ärgernis erscheinen mögen, als ein Grund für Trost und Tränen, aber nicht als eine Lebenskatastrophe, und erst recht nicht als eine Katastrophe, die mit unseren Eltern irgendetwas zu tun hätte: Betrügt uns der eine, nun, so wird es ein anderer vielleicht wieder gut machen.

Glauben wir aber nicht mehr an die Irreversibilität des Herzbruchs, so verliert Rigoletto viel von seiner emotional zwingenden Logik, und das tut einem Stück selten gut. Indes ist diese letztlich unüberbrückbare Distanz gegenüber der Gefühlswelt vergangener Zeiten nur ein Teil der Wahrheit, und ein anderer liegt in der Zirkuswelt, die Kosky entfaltet: Ist alles, was auf der Bühne geschieht, ohnehin nur Teil einer Show, so gibt es keinen Grund, den Ernst, den die Musik vielfach transportiert, auch ernst zu nehmen. Ein travestiertes Drama ist keins. Dass – abgesehen von Allgemeinplätzen, wie sie für jede Opernhandlung gelten – keinerlei innerer Zusammenhang zwischen Oper und Inszenierung erkennbar ist, hat die Zurückhaltung des Publikums beim Applaus für die Regie sicher ebenfalls befördert, das – ebenfalls im Einklang mit meinem persönlichen Empfinden – Bruno Caproni und Julia Novikova bejubelt und Hector Sandoval kräftig ausgebuht hat.

Die neuen Stühle und die Textanzeige auf der Rückseite des jeweiligen Vordersitzes immerhin sind ganz und gar zu begrüßen.

Journal :: 30.06.

Wie einfach es einmal war, sich zu verlieben. Sich auf einer Party zu küssen, am nächsten Tag miteinander Eis essen zu gehen, sich etwas zu erzählen über sich und alles, was man über die Welt weiß und denkt, und sich wieder zu trennen, wenn es sich nicht ausgehen wollte miteinander. Eine Woche traurig zu sein und dann wieder zu lachen.

Schwierig ist es geworden, sich kennenzulernen in den letzten Jahren. Soviel Vergangenheit klebt an der Haut von Leuten, die dreißig sind oder älter, und man kann sich kaum vorstellen, wie mühsam das Geschäft der Liebe sein muss, wäre man noch einmal zwanzig Jahre älter. Bis zu den Haarwurzeln steckt man in seinem Leben, seinen Ängsten, seiner Rolle, die man nicht mehr ablegen kann, man verlöre sich denn. Viel zu viel erwartet man nach wie vor von der Liebe, und die Statik einer Beziehung auszutarieren erscheint bisweilen so schwer wie die eines Hauses. Dies aber zu verfilmen scheint schwer. Dies so zu verfilmen, dass es gut aussieht, von einer leichten, nur ganz wenig schmerzlichen Melancholie fast unmöglich, und so verlasse ich die Kulturbrauerei nach Alle Anderen mit viel Hochachtung vor Maren Ade, die die Hymnen des Feuilletons, scheint mir, verdient hat.

Vordergründig handelt Alle Anderen von fast nichts. Chris (Lars Eidinger aus der Schaubühne) und Gitti (die großartige Birgit Minichmayr) machen Urlaub auf Sardinien im Haus seiner Eltern. Er ist Architekt, erfolglos und weich. Ein Mann, wie man viele kennt, die das Erwachsenwerden so lange herausgeschoben haben, bis sie über ihrer Unentschiedenheit zwischen vielen Möglichkeiten alle verpassen. Gitti dagegen, PR-Frau bei einem Musiklabel, erscheint tough. Burschikos, ein wenig zu laut, leicht ordinär, betont unkonventionell und dann doch in einem Maße auf die Liebe und Chris bezogen, das erschreckt: Bereit, sich an Erwartungen anzupassen, und dann doch nicht in der Lage, den Rollenwechsel durchzuhalten. Vibrierend vor Vitalität, die keinem anderen Zweck dient als der Liebe. Am Ende wird sie kaum einen Satz ausgesprochen haben, der nichts mit der Beziehung zwischen Chris und Gitti zu tun hat.

Es ist der erste gemeinsame Urlaub. Fast wolkenlos, verspielt und kindlich vor Sommer liegen beide im Ferienhaus. Dort, wo es brechen soll zwischen ihr und ihm, verlaufen feine, kaum sichtbare Markierungen, und erst als ein zweites Paar auftaucht, bröckelt es sichtbar, um dann mit einem hörbaren Krachen zu bersten. Ob und wie es sich wieder zusammenfügt, bleibt offen.

Das zweite Paar zu verabscheuen, liegt nahe. Er ist ein großspuriger, lauter und ungleich erfolgreicherer Kollege von Chris, in dessen Gegenwart Chris wie ein Bub erscheint, kaum männlich zu nennen. Sie ist gepflegt, feminin und konventionell, und himmelt ihren Mann auf eine durchaus etwas quälende Weise an. Man kennt derlei Paare, die man gleichzeitig verachtet und denen man sich unterlegen fühlt für Dinge, denen man doch nicht so gleichgültig gegenübersteht, wie man es gern täte.

Chris reagiert ähnlich ambivalent. Erst versucht er, die Begegnung zu vermeiden, dann lässt er sich in eine Art Kumpanei verwickeln und verrät darüber seine Freundin wie seine Mutter, die das Haus auf eine gleichermaßen komische wie mitleiderregende Weise mit Porzellankatzen und Glasvögeln eigerichtet hat. Ein wenig verachtet man diese Rückgratlosigkeit, bemitleidet Gitti für eine Weile, um dann doch ein wenig genervt zu reagieren ob ihrer theatralischen Seiten, ihrer Hyperaktivität und dieses stetigen Viel-Zuviel.

Ein wenig traurig trotz der vielen Sonne und der bisweilen komischen Sequenzen lässt der Film mich am Ende zurück: Wie schwierig doch die Liebe geworden ist. Und bisweilen: Wie unmöglich, sich so zu lieben, wie man es gern möchte, aber vielleicht (wer weiß das) gar nicht kann.

Alle Anderen
Deutschland 2009

Journal :: 24.06.

Thalheimer mag ich manchmal. Thalheimers Orestie etwa würde ich sogar ein zweites Mal sehen, „Was Ihr wollt“ in einer Arena aus Schlamm war nicht übel, aber als ich kurz vor zehn das Deutsche Theater nach Thalheimers Wildente verlasse, weiß ich gerade gar nicht so, ob es mir gefallen hat.

In der Wildente geht es um zwei Freunde, oder vielleicht besser: frühere Freunde, von denen der eine der Sohn des Mannes ist, für den der Vater des anderen im Gefängnis war. Das ist bekannt. Nicht bekannt – zumindest dem Betroffenen unbekannt – ist aber, dass der Vater des Freundes auch der Vater des Mädchens ist, das er für seine Tochter hält, und also der frühere Liebhaber seiner Frau. Im Rokoko etwa oder in einem Konversationsstück der Zwanziger wäre dies eine Exposition für eine Komödie mit viel hin und her und Gesang, aber weil die Wildente dem 19. Jahrhundert angehört, als man Probleme ernst zu nehmen pflegte, geht am Ende alles höchst dramatisch in Scherben: Der Freund verrät dem scheinbaren Vater die Wahrheit über seine vermeintliche Familie, die darüber zerbricht, und um das Maß voll zu machen erschießt sich am Ende die Tochter nur halb aus Versehen und liegt tot und blutend auf dem Dachboden herum.

Da es Thalheimers Vorzügen gehört, den Zeithaushalt der stets eiligen Berliner nicht zu überfordern, dauert das Ganze nur so ungefähr zwei Stunden. Damit aber auch in knapp zwei Stunden alles passiert und auch der letzte Zuschauer des Stücks Zusammenhänge und Botschaft mitbekommt, wird jeder Ausdruck, jede Geste, jeder Satz ein bißchen zu sehr aufgedreht, leicht übersteuert, und das nervt. Familienglück muss aussehen wie eine Werbung für Margarine, Unglück krümmt den Unglücklichen wie eine rheumatische Erkrankung, und die Tochter drückt sogar für eine Vierzehnjährige ein wenig sehr intensiv Empfindungen aus, die man vielleicht gerade deswegen kaum teilt. Trotz der Kürze der Inszenierung komme ich am Ende ein wenig ermattet aus dem Zuschauerraum.

Schön immerhin ist das Bühnenbild, eine runde, schwarze, abschüssige Ebene, sehr schlicht. Man sieht das öfter, nicht zu Unrecht, weil es Möglichkeiten bietet, die Räume oft nur mit Hilfsmitteln oder Tricks eröffnen, doch bei allem Können, bei allen überzeugenden Leistungen der Schauspieler (Sven Lehmann sei besonders hervorgehoben), fällt mir auf dem Vorplatz des Theaters bei einer späten Limonade auf, dass die Inszenierung gut war, alles rundherum technisch gelungen, aber gleichwohl zwei Stunden lang nichts auf der Bühne mein Herz berührt hat, und ich weiß nicht, liegt es Thalheimer oder gar an Ibsen.

Journal :: 13.05.

John Gabriel Borkmann, Schaubühne

Etwas hakt. Nicht ganz klar ist, ob es an Bierbichler liegt, der zu erdhaft, zu bäuerlich, zu verwachsen mit den Elementen scheint, als dass man ihm den betrügerischen, inhaftierten und entlassenen Bankier John Gabriel Borkmann abnehmen würde. Die Illusionen über sich, über die eigene Bedeutung und die eigene Zukunft – das ja. Nicht aber das geisterhaft verstiegene, das ganz und gar unsinnliche Hingegebensein an die abstrakte Macht des Geldes, das in diesem Stück von Ibsen etwas Dämonisches ausstrahlt, ohne doch die Sinnlichkeit zu gewinnen, die Bierbichler verkörpert.

Vielleicht ist es auch der Sohn, den Sebastian Schwarz mit angemessener Erbärmlichkeit darstellt, denn wie soll auch jemand beschaffen sein, an dem jedes Familienmitgliedes Wünsche hängen wie schwere Steine. Den Freiheitsdrang jedoch, der ihn am Ende das Gespinst fremder Erwartungen zerreißen lässt, ist in der Darstellung der ersten 45 Minuten kaum angelegt. Ein wenig kretinhaft wirkt er, und nicht ganz überzeugend ist, dass Mutter und Tante ihre Erwartungen an jemanden heften, der so ist, wie er scheint. Die Macht der Illusionen, die Kraft unserer Wünsche, die Welt so anmuten zu lassen, wie wir sie gern hätten: Ein wenig Nahrung braucht sie halt doch, und so hätte ein wenig mehr Elastizität diesem Erhard Borkmann gut getan.

Immerhin: Es wird nicht langweilig. Der Abend rauscht mit Tempo und schnellen Wechseln durch nicht ganz zwei Stunden. Auf der karg ausgestatteten Bühne strahlen wenige Möbel der schon leicht museal wirkenden letzten Moderne eine Lebensfeindlichkeit aus, die diesem Stück des endgültigen Ruins nicht nur der Existenz, sondern auch aller Chancen, einen Rahmen bietet, auf dem ich fast mit ein wenig Rührung Kirsten Dene und Angela Winkler als feindlichen Schwestern zusehe, wie sie scheinbar um den Sohn und wirklich um das eigene scheiternde und vergehende Leben kämpfen, um am Ende beide zu verlieren.

„Nett war’s.“, sage ich schließlich, eine Stunde später in der Bahn, den Hörer am Ohr. Viel zu viel habe ich heute gesprochen, fällt mir auf. Ein Vortrag, vier Telefonate, ein bißchen Geplänkel. Ein Empfang. Ich bin so müde.

„Ich schreibe später auf wie’s war.“, sage ich und lege auf.

Spaß mit Strindberg

Ein Traumspiel, Deutsches Theater im Berghain

Heute abend, meine Damen und Herren, habe ich eine wirklich amüsante Revue besucht. Grell geschminkte Menschen in Tutus tanzten über die Bühne und zogen sich immerzu um. Es wurden eine Menge unterschiedlicher Musikstücke gesungen, welche – wie ich dem Programmheft entnehme – u. a. von John Dowland, Gesualdo und Mozart stammen, aber auch ein Musical war dabei und ein bißchen Operette.

Wenn aus dem Land des Lächelns gesungen wurde, trug man dazu passend monströse Geisha-Kostüme, einmal erschien der (fabelhafte) Chor mit Anubis-Masken, die reichlich blasse Schauspielerin Stephanie Eidt wurde geheiratet, beschmiert und geschlagen, und gesprochen wurde eher etwas weniger: Barrie Kosky hat den Text ganz offensichtlich erheblich gekürzt, ohne dass dies direkt stören würde.

Wie es sich für eine Revue gehört, war die Beleuchtung mehr als ordentlich. Schwarze Luftballons flogen, Wunderkerzen wurden abgebrannt, der Abend hatte Tempo, und es wurde deutlich mehr gelacht, als es im Berghain, vor dessen strenger Tür es schon Tränen gegeben haben soll, ansonsten der Fall ist.

Wenn Sie Strindberg nicht mögen, sind Sie hier richtig.

Im Dekorationstheater

Shakespeares Sonette im Berliner Ensemble

Es gehört zu den sonderbaren und eher etwas befremdlichen Seiten von Robert Wilsons Theaterkunst, alle Protagonisten in die Gestalten eines jener Kinderbücher zu verwandeln, die unter Rückgriff auf historische Kostüme deren Eigenheiten ins Groteske verzerren. Aus Pluderhosen werden also wahre Ballons, und Keulenärmel erschlagen fast denjenigen, der sie anhat.

Nun ist das Drollig-Puppenhafte ja nun nicht ganz ohne Gefahr für ein Stück, und dann, wenn es – wie aktuell am Berliner Ensemble – nicht um ein Märchenspiel geht, sondern um 24 der Sonette Shakespares, bleibt von der Verzweiflung, der Vergeblichkeit, der Gier und dem Wüten der Liebe nichts über ein lustiges, sehr, sehr harmloses Herumtrippeln in einer wahrhaft erschreckenden Fülle der Bühnenbilder. Man kichert also wie ein ziemlich beschwipster Kindergeburtstag. Gegenstände und Personen fliegen an Schnüren herum, ein fetter Amor tanzt und singt aufs Allerpossierlichste, man wechselt die Bühnenbilder öfter als Paris Hilton die Handtaschen, und die gelegentlich charmante, gelegentlich auch nur ein wenig banale Musik des ansonsten ja sehr schätzenswerten Rufus Wainwright macht die Sache dann auch nicht mehr besser.

Ich habe mich gelangweilt. Und zwar nicht zu knapp und das auch gleich über drei Stunden.

Me voici

Am Ende aber hebt sich die Kulisse, und hinter den Gefängnismauern wartet ein Bankett auf die gerettete Margarete. Dass alle Schuld in solcher Versöhnung mündet, wünscht du dir für fünf Minuten, und vergisst die Ewigkeit des ersten Aktes, die Müdigkeit, und dass du nach Applaus und kurzen zehn Minuten in der Kälte auf den Linden zurück musst in dein Büro, wo die Hölle tobt und alle Teufel tanzen.

Was hat der Berti im Auto gesagt?

Irgendwann so eher in der zweiten Hälfte des Films sitzt also der Berti – Freund und Auftraggeber des Privatdetektivs Brenner (wieder gespielt von Josef Hader) – im Auto. In einem fremden Auto, und zwar hinten, auf der Rückbank. Ein paar Einheimische (der ganze Film spielt in einer ziemlich abgelegenen Gegend der Steiermark) haben ihn mitgenommen, und weil es zu einer Faschingsfeier geht, sind alle, bis auf den Berti natürlich, wüst verkleidet. Fürchterlich sehen die Einheimischen aus und viel spricht dafür, dass das auch unverkleidet so wäre. Alle miteinander wirken leicht deformiert, ein wenig brutal, billig, plump und grell, und so fahren sie also zum Löschenkohl, einem durch den gleichnamigen Wirt betriebenen Landgasthof, berühmt für seine Hendln, um da mal so richtig zu feiern. Immer mehr Leute setzen sich ins Auto, so viele, dass man kaum glauben kann, dass das geht, und dann sagt der Berti irgendetwas, von dem ich annehme, dass es sich auf die Situation in dem herzlich überfüllten Wagen bezieht.

In diesem Moment aber habe ich nicht aufgepasst. Vielleicht hat der J. zu meiner Linken etwas gesagt, vielleicht die C. auf dem Sessel rechts ihre wahrlich grässliche und zudem abstrus teure Burritotasche kommentiert, die sie sich vorm Kino in dem Tapas-Laden rechts unten in der Kulturbrauerei mitgenommen hat, und so ist mir entgangen, wieso die Steirer den Berti aus dem Wagen werfen. Ein blaues Auge hat er auch, als er sich auf der Straße wiederfindet und geht zum Löschenkohl über die verschneiten Straßen durch den Wald sodann zu Fuß.

Angekommen wird es dann wahrhaft finster. Oder vielmehr bunt. Sehr bunt und sehr laut dazu. Wer schon immer eine gesunde Abneigung gegen die robuste Seite des Landlebens hegte, wo die Alleinunterhalter die Hendlstation rocken, wird hier vollauf bestätigt. Wer auch immer den Film ausgestattet hat, hat das Landleben mit ebenso großer Präzision wie – wie ich vermuten darf – Abneigung studiert. Zumindest hinsichtlich der Schankräume darf man sagen: Das Portrait ist voll und ganz gelungen. Wer unter den Besuchern dieses Films zudem Fleischspeisen gegenüber ein gewisses Grundmisstrauen hegt, wird wohl gleichfalls zustimmend nicken, selbst wenn in der Knochenmahlmaschine des Gastwirts Löschenkohl gerade einmal nur Hühnerreste und keine menschlichen Überreste zerkleinert werden, um dann abtransportiert und anderen Hühnern zum Verzehr vorgeworfen zu werden.

Weil es sich bei dem – sehr, sehr lustigen und schön grotesken – Film um einen Krimi handelt, geht es bei dem ganzen Treiben zunächst einmal um die Frage, wo der Leasingnehmer eines Wagens abgeblieben sei, und ob der Privatdetektiv Brenner ihn für besagten Berti findet. Sodann geht es um eine eher zufällig aufgedeckte Erpressung, es geht um mehrere Tote, einen unfähigen Erben und seine derb-attraktive Frau (die großartige Brigit Minichmayr aus der Volksbühne). Am Ende aber geht es um die Liebe, um eine Frau, die der Gastwirt Löschenkohl liebt, um die Vergeblichkeit dieser Liebe wie jeder anderen auch, um die blutige Suche nach dem Ankommen in fremden Armen und den Opfern, die es kostet, geliebt zu werden oder zumindest: Sich geliebt zu glauben.

Dass am Ende alle leer ausgehen, bedarf da kaum noch einer Erwähnung, denn die Liebe wird niemanden retten. Nicht einmal im Film.

Der Knochenmann
Österreich, 2008

Kutya éji dala (Nachtlied des Hundes)

Berlinale 2009

„Mir ist langweilig.“, flüstert die B. und schaut verstohlen auf die Uhr. Ich langweile mich auch. Auf der Leinwand wechseln sich verschiedene, ziemlich zusammenhanglose Szenen ab, in denen ein Paar sich streitet, ein Priester hält eine Predigt und ein kleiner Junge läuft mit einem Deutschen auf Heimattrip an einer Hochzeitsgesellschaft vorbei. Das Ganze in den merkwürdigen Rottönen, die manche Filme der Siebziger und der frühenAchtziger angenommen haben. Insbesondere die Gesichter der Leute sind fast durchweg violett. Die englischen Untertitel überzeugen mich auch nicht.

„Willst du den zu Ende sehen?“, fragt die B. weitere zehn Minuten später. „Muss ich nicht haben.“, beschließe ich und taste zwischen meinen Füßen nach meinen Sachen. Vor mir schaut sich eine Frau um, als unterbreche man gerade eine heilige Handlung durch einen schmutzigen Witz.

Als eine Gruppe vier oder fünf Reihen vor uns aufsteht, gehen wir auch. Es ist leer geworden im Foyer des Cinemaxx, und sehr langsam und fast wortlos laufen wir den Potsdamer Platz hinunter zur U-Bahn, denn viel haben wir beide nicht zu erzählen, was wiederzugeben lohnt.

Kutya éji dala
Ungarn 1983
Nochmals Dienstag, 18.30 im Zeughauskino