Über Maschinen

Die Entspannungsmaschine

„Fühlen Sie sich wie im Siebten Himmel.“, lese ich auf der Homepage eines bekannten Berliner Spa, und für einen kurzen Moment denke ich ernsthaft darüber nach, am Samstag Vormittag nach Mitte zu fahren und mich mal so richtig zu erholen. Den Siebten Himmel habe ich, glaube ich, nach dieser Woche nämlich mal so richtig verdient. Ich fühle mich wie jemand, der mehrfach hintereinander am Schleudergang einer Waschmaschine als Unterhemd teilgenommen hat und habe bei jeder S-Bahnfahrt Angst, einzuschlafen und erst an der Endhaltestelle wieder aufzuwachen. Und zwar am nächsten Morgen.

Auf einen Fußwickel mit Lavendel und Rosenholz habe ich trotzdem keine Lust. Außerdem  müsste ich dann meine Füße vor Leuten entblößen, die als neuzeitliche Bademägde vermutlich sehr, sehr viel Wert auf eine gepflegte Erscheinung legen, und über den halb abgeblätterten Nagellack auf dem linken Zehennagel und meine eher schuppigen Füße entsetzt wären und den ganzen Tag darüber sprächen. Aus demselben Grund traue ich mich auch nicht zu einem Ganzkörperpeeling. Da müsste ich erst einmal … und dann –, na. Lassen wir das.

Vom Siebten Himmel bliebe da nicht viel übrig. Im Himmel denken die Leute nämlich nie an ihre Körper, weil sie keine mehr haben. Ich dagegen würde auf dieser Liege liegen, sphärische Musik, Wohlgerüche in Duftschälchen, eine sehr gepflegte Frau würde meinen Rücken massieren, und ich ziehe die ganze Zeit den Bauch ein und gräme mich, weil ich es morgens nur ausnahmsweise schaffe, mich einzucremen.

Aber selbst in perfektem Zustand macht mir das Eingewickelt-, Eingeölt- und Massiertwerden nur bedingt Spaß. Ich unterhalte mich nämlich ungern während solcher Aktionen. Fremde Leute strengen mich an, und Kosmetikerinnen haben bemerkenswert oft eine Tendenz ins Strapaziöse.

Von mir aus sollten also am Besten alle wahrnehmungslos schweigen. Dass man so keine entspannende und verschönernde Dienstleistung erhält, ist zwar klar. Da aber da, wo Gefahr droht, auch das Rettende wächst, kam mir erst kürzlich eine Idee: Ich will eine Maschine. Eine Entspannungsmaschine zum – von mir aus – öffentlichen Gebrauch.

Die Maschine wäre optimal von einem beruhigenden, nur leicht medizinisch anmutenden strahlendem Weiß. Sanft geschwungen, flach. Länglich, aber ohne an einen Sarg zu erinnern. Bevor man in die Maschine geht, würde man sich entkleiden, eine Art Lichtkanal betreten, und würde sodann mit Lasern umfassend abgetastet und ein elektronisches Modell berechnet. Weil der Laser so richtig supergut wäre, könnte er auch unterscheiden, wo die Oberfläche aus Hornhaut und wo aus normaler Haut bestände, und wenn er leise, aber sehr beruhigend fertig gerattert hätte, würde man sich in die Maschine begeben. Da läge man dann, machte die Augen zu und würde zunächst mit einem feinen, angenehm temperierten und wohlriechenden Nebel besprüht.

Anschließend kämen die Behandlungen. Man könnte das vorher einstellen, ebenso die Musik, Helligkeit und Düfte. Man würde massiert, eingeseift, abgeschliffen, na, all das eben, was in diesen Bädern eben so angeboten wird. Niemand würde sprechen. Niemand denkt laut oder leise außer dem Behandelten selbst.

Am Ende der Behandlung würde es langsam heller. Man hätte noch ein wenig Zeit, um wieder in der Welt mit ihren vielen Bewohnern und ihrem omnipräsenten Krach anzukommen. Dann zöge man sich wieder an. Vor der Tür würde man erst einmal blinzeln, weil es so hell ist, und die Massen an Leuten leicht irritiert ansehen. Ich war sehr weit weg, würde man sagen, und das wäre ausgesprochen wahr.

Außerdem habe ich jetzt sehr schöne Füße.

Heimwerkerin

Wissen Sie, ich koche wirklich passabel. Ich kann auch Vorhänge nähen und Marmelade kochen. Ich kann mindestens zwanzig Kuchen ohne Rezept und Waage mit einer Tasse, einem Löffel und einem Schneebesen zubereiten. Ich weiß, wo man einen Kardinal hinsetzt, wenn ein Minister kommt, kann Servietten zu Blumen, Frackhemden oder Segelschiffen falten und fehlerfrei einen Hasen abziehen, spicken und braten. Einen Hammer allerdings hatte ich noch nie in der Hand, und vor Bohrmaschinen habe ich Angst.

So ungefähr 30 Jahre meines Lebens war das kein Problem. Munter kaufte ich drauflos, Bilder, Spiegel, Lampen und Möbel wurden erworben, und wenn ich mit der Beute daheim eintraf, lagerte ich alles auf der Mitte der Dielen und griff (nein, nicht zum Werkzeugkasten) zum Telephon, denn stets gab es mindestens einen Freund, der von diesen Dingen etwas verstand. Immer gab es zumindest einen guten Bekannten, der einen wohlausgestatteten Werkzeugkoffer, erstaunliche Fähigkeiten und hinreichende Bereitschaft besaß, und unter den glücklich befestigten Lampen, in gestrichenen Wohnungen und auf zusammengeschraubten Möbeln servierte ich zum Dank für diese Mirakel der Heimwerkerskunst irgendetwas zu essen.

Die Jahre aber kamen und gingen. Die Freunde und Bekannte mutierten von Studenten mit einem Haufen Zeit erst zu Doktoranden, Referendaren und Assessoren ohne Job und dann zu Anwälten, Redakteuren, Richtern und Beratern, deren Terminkalender ungefähr so voll ist wie die U 2 morgens um acht. Ungefähr zeitgleich – man muss sich das als einen sehr allmählichen Prozess vorstellen – setzte sich der J. in meiner Wohnung fest, erst ein bißchen und bevorzugt zu den Mahlzeiten, dann auch mal für länger, ein Wochenende oder so, und schließlich zog er ein.

An sich – und so war der Plan – hätte nun der J. meine Spiegel anbringen, meine Duschen reparieren und meine Wände streichen sollen, weil man, so will es die Konvention, nur dann Dritte um handwerkliche Gefallen bitten kann, wenn man keinen Gefährten hat. Einen vollen Werkzeugkoffer mitsamt Akkuschrauber und Winkelschleifgerät hätte daher, so hatte ich es mir vorgestellt, der Herr meines Herzens in meine Wohnung schleppen müssen, der J. indes schleppte nur sich selbst, seine hundert Hemden und ein paar Möbel zu mir und ließ sich aufatmend nieder, denn in vom J. gestrichenen vier Wänden kann nur ein Blinder wohnen, und wo der J. haust, tropfen die Wasserhähne. Der J. nuschelt derweil irgendetwas von Installateuren.

Jahr um Jahr lebten der J. und ich sodann in derselben Wohnung. Rund um uns herum renovierte man die ganze Stadt östlich des Alex von grau, billig und ostig zu chic, neu und ganz schön teuer, und nur bei uns daheim nagte der Zahn der Zeit an den gebrechlichen Einrichtungen der zeitlichen Welt, die nach und nach mürbe wurden, um dem Ansturm der Vergänglichkeit schließlich nachzugeben wie mürbe Zähne von Greisen: Silikonfugen wurden dunkel. Vom einen Wasserhahn fiel auf einmal etwas ab und der Wasserstrahl spritzte fortan in jede erdenkliche Richtung. Am anderen Waschbecken funktionierte auf einmal der Stöpsel nicht mehr, und als der Duschkopf nicht mehr so wollte wie ich, fuhr ich irgendwann selbst zu OBI und kaufte einen neuen. Auch zerfetzte irgendwann die Katze Teile unserer Tapete. Die Farbe an den Wänden ließ nach. Über dem Badezimmerspiegel hatte ich nie eine Lampe und entferne meine Kontaktlinsen bis heute in einem intuitiven Näherungsverfahren, das auch ganz ohne Licht funktioniert.

Ab und zu sprach ich den J. an, der auf professionelle Handwerkern verwies oder einfach nur folgenlos nickte. Irgendwann stellte ich das Ansprechen ein und arrangierte mich mit dem Gegebenen, denn geworfen ist der Mensch in die vorhandene Welt und die Auflehnung ebenso nutzlos wie töricht. Stets nutzte ich daher das Waschbecken, bei dem das funktionierte, was ich gerade zu benötigen meinte, sah nicht hin, wie die Silikonfugen aussahen, und immer weiter wäre der Verfall sacht und leise um mich herumgeschlichen, bis ich umzuziehen beschloss und erwarb vor zehn Tagen eine Wohnung unweit von hier gemeinsam mit meinem geschätzten Gefährten.

Ein Nachmieter für meine alte Wohnung fand sich schnell. Auch ein Übergabetermin war zügig vereinbart, doch zur Übergabe gehört, wie die Welt weiß, die Wiederherstellung eines vertragsgemäßen Zustandes, und dieser lässt sich für ein vernünftiges Verhältnis von Aufwand und Zeit nur in begrenztem Maße an Handwerker delegieren.

Der J. sah irgendwie schon eher nicht nach Aktivität aus. Also wurde ich selbst aktiv. Einen Werkzeugkoffer habe ich letztlich erworben. Im Internet habe ich Anleitungen für die Reparatur etwa von kaputten Waschbeckenarmaturen gesucht. Ersatzteile habe ich gekauft bei dem Heimwerkerladen in der Schönhauser Allee, der irgendwie alles hat, obwohl der ganze Laden nicht größer ist als meine Küche. Den ganzen Samstag kauerte ich auf den Fliesen im Bad und probierte hintereinander alle Schraubenzieher und Zangen aus. Samstag abend funktionierten beide Waschbecken reibungslos.

Dass die von meinem Vater gebohrten Dübellöcher mit einer Substanz namens Moltofill gefüllt werden können, habe ich gleichfalls dem Internet entnommen. Auch habe ich gelesen, dass die Tapete ohne Weiteres mit Flüssigrauhfaser geflickt werden kann. Voraussichtlich werde ich selbst demnächst ganze Lampen unter die Decken der neuen Wohnung hängen, und sobald der J. sich anschicken sollte, Vorhänge zu nähen und Marmelade zu kochen, greife ich möglicherweise selbst zu einer veritablen Bohrmaschine des Fabrikats Bosch und versehe eine echte Wand mit nützlichen Löchern.

Telephon

Eine Technik, sagt man, habe dann gewonnen, wenn sie auch von Leuten verwandt wird, die nichts von Technik verstehen. Die Leute, die so etwas sagen, meinen mich: Ich kann nicht Auto fahren. Ich habe noch nie tapeziert, nie gestrichen, noch nie einen Bohrer in der Hand gehabt, und wenn ich einen Fernseher mein eigen nennen würde: Ich bekäme ihn nicht an.

Zum Problem wird das ganz selten. Mein Fahrrad reparieren die netten Männer von Radkraft um die Ecke zuverlässig, kostengünstig und schnell. Meine Bilder hängt der J. auf. Dass in meinem Bad im rechten Waschbecken seit ganz lange der Stöpsel nicht mehr geht: Was soll’s. Nur mein Telephon, mein Telephon brauche ich wirklich: Ich bin so gut wie nie daheim und wickele mein gesamtes Sozialleben über das Ding ab. Ich habe gar keinen anderen Wecker. Ich habe alle Telephonnumern nur, nur, nur da, und wenn ich an einem Dienstag morgen auf dem Weg ins Büro in meine Tasche greife und mein Telephon ist weg, dann muss ich mich erst einmal setzen. Verdammt, denke ich und trauere meinem sehr alten Sagem hinterher, das nichts konnte, was neue Telephone so können; aber das wenige konnte ich auch.

Am Samstag drauf, so gegen 13.00 Uhr, habe ich dann wieder eine SIM-Karte und ein altes Handy vom geschätzten Gefährten. Die nette Frau, die bei O2 so gegen 14.30 abnimmt, als ich anrufe, aktiviert das Gerät, ich frage alle Leute, die ich kenne, nochmal nach ihrer Nummer, und dann sitze ich auf dem Sofa und drehe das Telephon hin und her. Das Telephon ist von Sony Ericsson. Es heißt K 610i. Es ist silbrig und – hier beginnt das Problem – wesentlich neuer als mein verlorenes, schwarzes, steinaltes Sagem.

Moderne Menschen lachen vermutlich über mich und das neu-alte Sony. „Das läuft ja noch mit Dieselmotor!“, höre ich wirklich zeitgemäße Menschen wiehern. Ich nicke dann traurig und schaue auf den Boden. Mein Sagem, so erinnere ich mich mit Wehmut, fraß sozusagen noch Gras, und neumodische Funktionen wie Ganzworterkennung bei SMS oder sprachgesteuertes Irgendwas oder Bilder verschicken, im Internet surfen oder Musik hören war komplett nicht drin. Mein Sagem war ein kleines, schwarzes, tragbares Telephon und so unsmart wie ich.

Nun gibt es mehrere Möglichkeiten. Ich könnte das Sony solange benutzen, wie es funktioniert, und irgendwann kenne ich K 610i so gut wie das alte Sagem. Dazu habe ich aber keine Lust. Ich will nicht das abgelegte Telephon vom geschätzten Gefährten nutzen. Ich mochte schon als Kind keine abgelegten Kleider. Ich könnte auch versuchen, ein anderes altes Sagem zu finden, aber die gibt es regulär gar nicht mehr zu kaufen. Oder ich hole ganz tief Luft und kaufe mir ein iPhone, denn alle haben iPhones, ich kenne nur noch zwei, drei Leute ohne iPhones, und weil alle iPhones haben, können sie mir alles erklären und es wieder in Ordnung bringen, wenn es nicht geht. Überdies kommt Apple meinen Defiziten entgegen – ich nutze seit Jahren ein kleines, weißes Macbook, das mir freundlich lächelnd verschweigt, was es alles könnte, wenn ich mehr nutzen würde als Firefox und Word.

iPhones aber haben einen Nachteil: Aus irgendwelchen Gründen verkauft O2 keine, die Beschaffung eines vertragslosen Telephons ist kompliziert und funktioniert nur im Ausland, und so rufe ich also am Samstag gegen 15.30 die J. an und schlage einen Termin vor. Die J. sagt sofort zu. Ich kaufe zwei Bahnfahrkarten Berlin-Prag, ich buche ein Hotel, ich denke darüber nach, wie das Café heißt, in dem ich beim letztenmal die perfekte Buchtel gegessen habe, und dann sitze ich auf dem Sofa und schaue mir das iPhone meines geschätzten Gefährten zum ersten Mal genauer an. Es sieht kompliziert aus, finde ich. Es hat ziemlich viele Funktionen.

Es sieht nicht aus wie ein Telephon für Leute, die nichts von Technik verstehen.

Die Lautlosigkeitsmaschine

Als sich im Anna Blume die Mixer drehen und jedes Wort zerhäckseln, fällt mir die Maschine wieder ein.

Maximal mittelgroß müsste sie sein, damit man sie stets dabeihaben könnte. Vielleicht könnte man die Maschine sogar mit dem Telephon kombinieren, das eine Extrataste für Stille haben sollte, vielleicht eine kleine Raute am Rand. Ähnlich wie ein schalldämpfender Teppich sollte die Maschine Geräusche verschlucken. Still würde die Welt, drückte jemand die Maschine, und wer anderen etwas mitzuteilen hat, könnte das nur noch schriftlich tun. Um sehr wichtige und angemessene Konversation nicht zu unterbinden, könnte man (als Vorschlag zur Güte) vielleicht auch das menschliche Wort abweichend von allen anderen, komplett zu eliminierenden Geräuschen nur auf ein leises Flüstern und Zirpen dämpfen. Weil sich „Sie Hornochse“ oder so gewispert gar nicht so gut macht, würden Gespräche auch viel weniger aggressiv.

Endlich hätten die meisten Menschen ausgeschlafen. Die Geschlechterbeziehungen würden unendlich profitieren, hörten die meisten Menschen endlich mit den Versuchen auf, sich einander verständlich zu machen. Im Berufsleben würde eine drastische Verkürzung der Arbeitszeiten aus dem Wegfall endloser Meetings resultieren. Statt dessen schrieben Kollegen sich kurze, präzise E-Mails. Auch die Tierhaltung würde weniger strapaziös. Eine gemischte Bebauung auch in urbanen Siedlungsräumen würde reibungsloser und frei von Störungen fast jedweder Art. Die Wirtschaft würde gleichfalls proftieren von dem Boom der Lautlosigkeitsmaschinen, die sich sicher auch als echter Exporthit erweisen würde, und wer die Vorteile der Lautlosigkeit dauerhaft genießen wollen würde, würde sich zum wirtschaftlichen Vorteil der Mediziner auf eigene Kosten die Trommelfelle entfernen lassen.

Falls man es sich anders überlegt, kann man jene ja für den späteren Gebrauch irgendwo aufbewahren lassen.

Bobby Fischer

Am 25. Dezember mache ich die Spülmaschine an, und die Spülmaschine macht merkwürdige Geräusche. Irgendetwas schabt, und das Geschirr bleibt schmutzig. Am 26. Dezember versuche ich es noch mal. Das Ergebnis überzeugt mich nicht: Meine Teller sind nach wie vor nicht sauber, das Besteck schimmelt inzwischen, und der Geschirrspültab liegt unaufgelöst im Sieb. Diese Maschine, soviel ist klar, ist kaputt. Am 29. Dezember rufe ich beim Wartungsdienst an. Man werde, verspricht man, bis sechs jemanden schicken.

Um zehn vor sechs klingelt es an der Tür. „Vierter Stock“, posaune ich in die heftig knackende Gegensprechanlage und bleibe in der Wohnungstür stehen. „Wir haben auch einen Fahrstuhl!“, rufe ich, als ich Treppensteigen höre. „Schon da, schon da.“, keucht es von unten. Dann erscheint – gütiger Gott! – Bobby Fischer. Der Schachweltmeister von 1972 steht selbst, höchstpersönlich und unverkennbar in der Tür. Ich bin überwältigt.

„Sind sie es wirklich?“, verkneife ich mir mühsam, denn hier – das ist mir sofort klar – soll ein Inkognito gewahrt werden. Ganz schön mutig, denke ich, einfach so in einer Monteursjacke durch Berlin zu laufen. Nicht einmal den Bart hat er abgelegt. Auch der leicht irre Blick belegt die Identität mit dem offenbar keineswegs in Island am Nierenleiden Verstorbenen.

Keuchend, schließlich ist Fischer auch nicht mehr der Jüngste, macht sich der Schachmeister an der Maschine zu schaffen. Es sei der Spülkasten, höre ich. Mit irgendwelchen Geräten werkelt Fischer im Inneren meines Haushaltsgeräts herum. 200 Euro, höre ich, koste die Reparatur. Dann taucht Fischer wieder auf. Ob er ein Glas Wasser ….? Aber klar. Ich fülle einen Becher. – „Spielen Sie Schach?“, frage ich nun doch so harmlos wie möglich. Fischer, so meine ich, schaut durchaus ein wenig irritiert. „Früher mehr als heute.“, antwortet er aber tatsächlich. Er scheint sich sehr sicher zu fühlen, schießt es mir durch den Kopf. Nun, denke ich. Vielleicht doch besser nicht bohren. Paranoiker können manchmal unberechenbar sein. Fischer hantiert weiter, diesmal an den Schaltern. Die Elektronik, sagt er, sei okay.

Die Reparatur mache quasi keine Arbeit. Drei Tage würde ich warten müssen, maximal. „Das weden sie schon schaffen!“, wird Fischer jovial, zwinkert tatsächlich ein bißchen und hält mir die Auftragsbestätigung hin. „Sie müssen hier unterschreiben.“, deutet er auf eine punktierte Linie. Neben meiner Unterschrift unterschreibt, etwas umständlich, Fischer selbst. Ein unleserlicher Schnörkel. – „Wie heißen sie?“, frage ich, starre auf den Zettel und lächele. Fischer schaut auf, öffnet verlegen ein paar Mal die Spülmaschine, schließt sie wieder und sagt sehr schnell etwas, was Neumann heißen könnte. Oder so ähnlich.

Das müssen sie sich doch vorher überlegt haben, liegt es mir auf der Zunge. Nun, denke ich. Vielleicht ist Fischer noch nicht arg lange hier? Möglicherweise ist dies der erste Auftritt nach dem geheimen Umzug nach Berlin? Oder Fischer ist schon monatelang in der Stadt, hat Hunderte von Spülmaschinen repariert, aber es hat noch nie jemand gefragt? Oder er hat sein Inkognito zwischenzeitlich vergessen?

„Ich fahr’ dann mal.“, beeilt er sich auf einmal, loszukommen. Die Maschine nimmt er mit. Man werde mich anrufen, wenn die Reparatur abgeschlossen sei, teilt er mir zum weiteren Procedere mit und verabschiedet sich mit einem herzhaften „Tschüssikowski.“

Besichtigung der Maschinen

Möglicherweise (und dies ist tunlichst zu vermeiden), gerät man auch selbst in den offenen Trichter. Wenn man beispielsweise sich etwas zu weit vorbeugt, um zu sehen, was innerhalb des Gehäuses geschieht, so könnte man – Gott verhüte das – das Gleichgewicht verlieren und fiele nach vorn.

Schon oft hat die Geschäftsführung erwogen, den Trichter durch eine Befestigung zu sichern. An Gitterstäbe hat man gedacht. An einen Zaun. Am sichersten wäre es natürlich, man würde die Besichtigungen ganz und gar verbieten, aber solche Pläne haben mehrfach eine solche ganz unglaubliche und unwiderstehliche Entrüstung der Öffentlichkeit ausgelöst, dass die Geschäftsführung eilig dementierte. Niemand habe vor, die Menschen auszusperren von dem, was hier geschieht.

Die Öffentlichkeit hat, was solche Dinge angeht, ein feines Gespür. Tatsächlich kann man nirgendwo sonst die Maschinen so deutlich arbeiten sehen wie hier. Nur hier sieht man bis auf den Grund. Nur hier, am Rand unseres Trichters, kann man den Druck der Kolben verfolgen über die Schwungräder hinweg bis zum Federwerk, und sogar, wie manche sagen, bis zur Innenkammer und bisweilen hinein.

Nicht jeden lässt die Geschäftsführung ins Maschinenhaus. Die Wartelisten sind lang. Viel mehr Menschen würden zum Trichter drängen, ließe man jeden zu. Nehmen sie es also als eine Auszeichnung, bis hierher vorgedrungen zu sein. Sie werden alles sehen, aus nächster Nähe. Vor ihren eigenen Füßen.

Aber passen sie auf.

Die Maschine

Die Gänse sitzen also auf einer Art Fließband, sagt er und zeigt mit der Hand, wie schnell das Fließband zur Maschine führt. Sehr surreal sehe das aus, die vielen weißen Gänse, die alle zur Maschine fahren. Die Werkshalle hätte übrigens nichts Bäuerliches an sich, keine kopftuchtragende, resche Magd säße da, wie man sich das ja so vorstellt, naiverweise, sondern erst einmal wäre da nichts als eine Art Falltür, aus der jeweils eine einzelne weiße Gans auf das Fließband fällt, und dann geht die Klappe für einen Moment wieder zu, damit die Gänse jeweils im richtigen Abstand zur Maschine fahren.

Das alles sei sehr genau aufeinander abgestimmt. Wenn das Band still stünde, so fielen automatisch keine Gänse mehr aus der Klappe, und umgekehrt. Die ganze Taktung verlaufe aber vollständig maschinell, so dass in der ganzen großen Halle voller Gänse nur zwei Menschen stünden. Einer der beiden säße in einer Art Führerhäuschen und hätte die Aufgabe, die Maschine an- und abzuschalten, wenn Fehler auftreten oder irgendetwas sonst nicht funktioniert. Das sei sehr langweilig, denn an den meisten Tagen verlaufe alles reibungslos, und selbst wenn mal etwas sein sollte, dann hielte der Mann in dem Häuschen eben die Maschine an, die Klappe bliebe verschlossen, und Leute kämen, die die Maschine wieder in Ordnung brächten. Eine wenig anspruchsvolle Arbeit sei das also, genau das richtige für Rentner, die sich etwas dazu verdienen möchten.

Der zweite Mann in der Halle stünde direkt neben der Maschine. Seine Aufgabe sei es, die heranfahrenden Gänse zu packen und ihnen ein langes Rohr in den Hals zu schieben. Dieses Rohr sei mit einem Schlauch verbunden, durch den stetig ein Futterbrei geleitet werde. Dieser Futterbrei sei es, dem die Gänse ihre außerordentliche Konstitution verdanken.

Wenn das Rohr im Hals der Gans stecken würde, so sei es die weitere Aufgabe des Mannes an der Maschine, das Rohr rechtzeitig zu entfernen. Die Gans könne sich gegen die Nahrungsmittelzufuhr nicht wehren und würde Schaden nehmen, wenn ihr mehr Futterbrei eingeführt würde, als in ihren Magen passt. Es seien schon Gänse geplatzt, wenn der Mann an der Maschine unachtsam gewesen sei. Damit dies nicht geschehe, blinken immer dann, wenn der Mann das Rohr in die Gans einführt, Lämpchen auf, die wieder erlöschen, wenn genug Futterbrei geflossen ist.

Die Arbeit dieses Mannes kann nicht durch eine weitere Maschine ersetzt werden. Zwar habe es Versuche gegeben, die Gänse mit einer Art automatisierter Rundzange am Kopf zu packen und ihr den Schnabel zu öffnen. Da die Gänse sich aber in stetiger Bewegung befinden, würde oftmals eine Gans nicht richtig erfasst und deswegen auch nicht gefüttert. Manche Gänse würden sich außerordentlich heftig bewegen, so dass die Greifzange der Maschine sie so unglücklich packen würde, dass es mancher Gans den Kopf abgerissen habe. Dann hätte die Maschine stundenlang stillgestanden, der Mann im Häuschen habe die Wartung rufen müssen, und die anderen Gänse hätten über Stunden keinen Futterbrei erhalten. Nur die menschliche Hand habe das erforderliche Feingefühl für das Zusammenspiel von Gans und Maschine.

Nach der Fütterung durch die Maschine gebe es eigentlich nichts mehr zu berichten. Die Gänse werden auf einem weiteren Fließband wieder abgefahren und landen in ihrem Stall. Dieser sei sehr warm und recht eng, da die Bewegung der Gans dem Prozess unzuträglich sei. Hier würden die Gänse verdauen und Fett ansetzen. Nach einigen Monaten habe die Gans dann ein bestimmtes Gewicht erreicht, und werde abtransportiert.

Das aber sei eine andere Geschichte.

Anregung an Wissenschaft und Technik

Verbrennen denkt man sich ja recht appetitlich, wenn man die Alternativen bedenkt, aber ich habe gehört, der Kopf platze, bevor man ganz verbrennt, und selbst wenn ich es nicht mehr erlebe, ist das keine Vorstellung, mit der man sterben möchte. „So, das war’s jetzt offenbar, die Luft wird reichlich knapp, und morgen schieben sie dich in einen großen Ofen und dann platzt dir der Kopf.“ – Nein danke.

Auf der anderen Seite fürchtet man natürlich auch die Würmer. Nimmt das Kopfplatzen immerhin recht wenig Zeit in Anspruch, so schaut es mit den Würmern ja schon anders aus. Die dicken, weißen Maden, die sich aus und in das Fleisch bohren, brrr…, die hässlichen Löcher in der Haut, die ja ohnehin ein wenig leidet in den ersten Monaten, die auf das Ableben folgen, das alles schreckt ja nicht wenig. Auch das Schmatzen, das selbst dann, wenn es keiner hört, als Geräuschkulisse des Endes meines zeitlichen Seins ein wenig unwürdig erscheint.

Die alten Ägypter haben sich bekanntlich aus Angst vor dem Verfall einbalsamieren lassen, auch fürchtete man, seine Überreste im Jenseits eventuell noch zu brauchen. Eines Tages in den Museen späterer Zeitalter herumzuliegen, ist aber keine hübsche Vorstellung, die mir im Übrigen auch ein wenig unbescheiden scheint, denn wo, fragt man sich angesichts einer tatsächlich wachsenden Weltbevölkerung, kämen wir denn hin, wenn sich jeder dahergelaufene Hans und Franz einbalsamieren lässt. Am besten noch mit Aufbewahrung der Mumie in einem riesengroßem Mausoleum, das für Bedürftige in einer einfachen Plattenbauversion von der AOK bezahlt wird. Binnen weniger Jahre wäre Deutschland voller exorbitant hässlicher Totenhäuser, die großen Baumarktketten würden Mausoleen in jedweder Ausstattung zum Selberbauen anbieten, und man kann sich vorstellen, wie ein Mausoleum aussehen würde, das etwa der Praktiker Markt anböte. Oder das in Vorarlberg handgefertigte Bakelitmausoleum von Manufaktum.

Mein Mausoleum wäre dem gegenüber natürlich sehr individuell und äußerst geschmackvoll. Trotzdem dünkt mich die Einbalsamierung nicht als vollkommen angemessen bezüglich der Überreste einer Allerweltsperson wie mir, und nicht nur qualvoll, sondern auch noch unbescheiden zu versterben, ist vielleicht wirklich ein bißchen viel.

Nicht übel wäre es, man löste sich mit dem Moment des Ablebens einfach in seine chemischen Bestandteile auf und würde teilweise durch unauffällige Abflüsse, die findige Architekten unter den Betten der Krankenhäuser anbringen, der Erde zufließen, und zum anderen entwiche man gasförmig einfach in die Luft. Auch in dieser Beziehung erweist sich aber die Schöpfung als durch und durch defizitäres System.

Wie auch immer, auch bezüglich der letzten Maßnahmen, die auf dieser Erde die eigene Person betreffen werden, besteht noch erheblicher Innovationsbedarf, und so rufe ich hiermit die deutsche Wissenschaft und Industrie auf, sich dieses Problems endlich anzunehmen und Lösungen zu entwickeln, die sich als geeignet erweisen, uns einen würdigen und umweltfreundlichen Umgang mit unserem Körper zu ermöglichen, wenn wir ihn eines Tages nicht mehr brauchen.

(Im Rahmen einer noblen Geste an diejenige Dame, die den Anstoß für die Lösung dieses Problems, das so alt ist wie die Menschheit, gegeben hat, dürfen freundliche Ingenieure die Maschine, die irgendetwas Appetitliches, aber Wirkungsvolles mit menschlichen Überresten macht, übrigens gern „Modeste“ nennen.)