Gelegentlich, zum Glück nicht allzu häufig, fährt man ja durch die Außenbezirke der Städte, dort, wo die Häuser niedrig werden und die Gärten groß, und schaut älteren Ehepaaren, nicht unähnlich den eigenen Eltern, bei der Gartenpflege zu. Ein wenig verloren sehen sie aus in ihren Vorgärten, und noch viel verlorener, denkt man, sitzen sie am Abend in ihren Häusern herum, die sie sich vor über zwanzig Jahren einmal gekauft haben, als sie zwei kleine Kinder hatten, und ein drittes zwar nicht direkt geplant war, aber immerhin wäre Platz gewesen, und mit mehr Gästen, als dann schließlich jemals auf einmal erschienen, hatten sie auch gerechnet.
Nun sitzen sie also da in ihren fertig eingerichteten Häusern, die viel zu groß sind für zwei ältere Leute, wenn sie denn überhaupt noch zu zweit sind, und richten sich immerzu neu ein, kaufen Bassetti Plaids und indische Vasen, vanillefarbene Couches und immer neue Lampen, installieren in einem ehemaligen Kinderzimmer einen begehbaren Kleiderschrank, ein Bügelzimmer in einem der Gästezimmer, stellen Schränke in alle Ecken, in denen dann mehr Tischdecken liegen, als ein durchschnittliches Restaurant im Gebrauch hat, und lauter Dekorationen für Ostern, Weihnachten, Herbst und Winter. Ein wenig melancholisch schaut das Ergebnis aus, wie es jeder Perfektion eigen ist: Irgendetwas fehlt, und man kann sich ordentlich vorstellen, wie eine ältere Dame im zitronengelben Cardigan mit sanft verhangenem Blick am Fenster sitzt, irgendeinen Roman, den das Feuilleton empfohlen hat, in der Hand oder eine Biographie, und ihren Gatten anschaut, der aus purer Gewohnheit auch Jahre nach der Pensionierung immer noch den Wirtschaftsteil der FAZ liest. Viel zu groß ist das Haus, und ab und zu überlegen sie, das Haus zu verkaufen, einfach wegzuziehen, ein Haus in Oberitalien zu kaufen oder in Asien, wo es warm ist, und eine kleines Haus noch einmal ganz neu einzurichten. Unterwegs sind sie ohnehin immerzu, als hätten sie Angst, in ihrem Haus allein zu sein, ganz so, wie ihre Kinder Angst hatten vor fast drei Jahrzehnten, wenn sie am Abend in die Stadt fuhren, die zehn Kilometer oder dreißig entfernt ist, so nah jedenfalls, um viel öfter zu fahren, als sie es tun und jemals getan haben.
Vollkommen angefüllt sind ihre Häuser mit den abgelegten Schalen ihres ganzen Lebens, die ersten Regale noch aus dem Studium im Keller, die Kiefereinrichtung aus den Siebzigern, als sie jung waren und die Kinder klein, ganz oben unterm Dach, und das Leben ihrer Eltern, Tanten, Großeltern ruht verpackt in viele Kisten im Keller. Das Silber freilich, das Meissner Porzellan, das hat seinen Platz gefunden im Erdgeschoss, die Dinge jedoch, an denen das Herz der längst verstorbenen Eltern hing, und über die sie schon zu Lebzeiten der Mutter gespöttelt hatten, weil das Geliebte die Liebe nicht immer zu verdienen schien, wie es halt so geht.
Verkaufen konnte man die Dinge dann freilich doch nicht, weil die Mutter einmal so an den Weihnachtstellern gehangen hat, die Großmutter an den Nymphenburger Figurinen, die Schäferinnen darstellen oder einen verliebten Harlekin, weil irgendein vor Jahrzehnten verstorbener Onkel die Bowlenschüssel liebte, die ein Schiff darstellte. Die roten und blauen Römer, die Uhren und die Porzellanfiguren, die Szenen sehr bekannter Opern darstellen. Die Kristallschwäne und die Vasen mit großen roten Drachen, verpackt in viel Papier und aufgehoben für wen auch immer. Ein Band aus Glas und Porzellan zwischen ihnen und den Toten mag in den Kisten liegen, und die Keller sind groß genug.
Ab und zu, eher selten, lassen sich die Kinder sehen, die weit weg ihr kellerloses Leben führen und viel zu oft umziehen. Vitrinen haben sie keine, kaufen kein geschliffenes Glas und kein Porzellan, und vielleicht werden sie eines Tages die Häuser ihrer Eltern verkaufen und die indischen Vasen dazu, den Inhalt der Kisten zum Flohmarkt tragen oder dem Auflöser überlassen. Vielleicht kaufen sie selber aber auch einmal ein Haus, dessen Keller voll sein wird, noch voller, denn die Familien werden kleiner und der Erbschaften mehr, und vielleicht werden auch jene Dinge, an denen das Herz ihrer Eltern hängt, die japanischen Schalen und die italienischen Alabastervasen, die Zeitungshalter von Manufactum und das toskanische Brotkörbchen, einmal in Kisten liegen, die man kopfschüttelnd behält, weil denen, die man liebte, diese Dinge einmal lieb waren und teuer.
Aber vielleicht kommt alles anders, und es verschlingen unruhige Zeiten noch einmal die Kisten, das Glas, das Silber, den viel zu klobigen Schmuck der Großmutter und am Ende die Kinder dazu.
Wow! Und wieder einmal ein echtes Kleinod der präzisen Beobachtung und akkuraten Wiedergabe.
„verpackt in viel Papier und aufgehoben für wen auch immer“ – wie so vieles, wie fast alles. auch die eigenen schätze der kindheit. das zeigt zugleich wertschätzung und abgelegt-haben.
wahrlich melancholisch – und ich sehe keine guten alternativen zu einem solchen „späten“ leben. die traurigkeit des gelebthabens und des blicks zurück, mit dem rücken an einer unüberwindbaren mauer.
wunderschöner text!
..man erwischt sich beim lesen selbst, wird es bei mir auch mal so sein oder ist es schon so?
Der Jäger und Sammler stirbt nie aus.
Wenn ich etwas in ihren Geschichten mag, dann ist es die Melancholie die man fast in jeder ihrer Geschichten findet.
Leider ist die Melancholie so unwichtig wie die dinge die man sein ganzes Leben lang anhäuft.
Eine schauerliche Projektion haben Sie da wieder entworfen, Frau Modeste. Man will beinahe für das Vielleicht Ihrer letzten drei Zeilen eine Kerze anzünden.
Als ich zu Beginn meines Studium in ein 300 Jahre altes Haus in der Augsburger Uraltstadt zog, fand ich hinter einer falschen Wand ein etwa 15 Zentimeter hohes Buberl (Hans im Glück?), zweidimensional aus Laubsägeholz. Ich wusste sofort, dass das ein Penat (penes?) war und habe ihn natürlich dort hinter der Wand gelassen.
(Sentimental und wurzellos – ist das ein zeitgenössischer Zustand?)
REPLY:
Wunderbar beobachtet, wobei ich wiedereinmal merke, wie weit weg das von meiner Welt ist. Meine Eltern, die wirklich alt sind, wohnen in einer 6-Zimmer-Wohnung mit zwei Badezimmern in der Innenstadt, die neuesten Möbel wurden in den 80ern angeschafft, der Schreibtisch meiner Mutter so um 1990 das letzte Mal aufgeräumt, Besuch von Kindern oder Neffen gibt es nahezu täglich, die Mieter kommen öfter auf ein Schwätzchen vorbei, die Möbel, die die Eltern beim Einzug hatten, sind alle noch in Nutzung, darunter ein kugelsichrerer Kleiderschrank, der hat nämlichTüren aus 6 cm starkem Eichenholz und wurde in einer Zeit angefertigt, als Deutschland noch einen Kaiser hatte. Meine große Schwester wohnt mit Mann und ohne die erwachsenen Kinder im Einfamilienhaus auf dem Dorfe, auch hier ist die Einrichtung in den 80er Jahren stehengeblieben, und es wird sicherlich nichts Neues mehr hinzukommen, aber die ständige Betriebsamkeit beider Bewohner lässt, außer bei Familienfeiern, eh wenig Muße aufkommen. Meine kleine Schwester wohnt mit Kind, Hund und Meerschweinchen und ohne Mann im Einfamilienhaus in einem proletarischen Viertel einer großen Stadt, ein Teil ihrer Einrichtung ist selbstgebaut (zum Beispiel die knallbunt gestrichenen Boxen ihrer Stereoanlage aus Massivholz), die unbehandelten Kiefermöbel drücken das Lebensgefühl der 70er Jahre aus, dem Schwesterherz verhaftet ist. Ich wohne alleine mit einer Schlange in einer 4-Zimmer-Etagenwohnung, Innenstadt, mit Möbeln aus den 50ern bis 90ern (und einem Kirschbaum-Jugendstilschrank im Keller), und habe nicht die blasseste Ahung, wie es in meinem Alter aussehen wird. Meine Großmutter starb, hochbetagt, im Pflegeheim in den Armen ihrer Altenpflegerin, aber nicht abgeschoben, sondern regelmäßig betreut und besucht von unserer Familie, nur am letzten Tag, in der letzten Stunde waren wir nicht dabei. Meine Tante, die langsam die 90 erreicht, lebt gut betreut in einem komfortablen Wohnstift. Ich hoffe, dass meine Eltern ihre Wohnung nie verlassen müssen. In meiner Familie wird man 100, insofern hoffe ich, dass alle Beteiligten noch viel Zeit haben.
Der Alternativen sind, wie ich, Herr Ecce, fürchte, nicht allzu viele, und die Melancholie speist sich in diesen Fällen nicht zuletzt aus der Tatsache, dass es sich ja um gelungene Leben handelt, um gerade, erfolgreiche Lebensläufe von Menschen, deren Wünsche zum großen Teil in Erfüllung gegangen zu sein scheinen: Die Kinder, die Häuser, letztlich materielle Sicherheit. Der Erfolg, scheint’s, ist melancholisch, das Scheitern dagegen depressiv, und ob man dermaleinst, Lemonendres, der Melancholie oder der Depression anheim fällt, das werden die nächsten Jahrzehnte zeigen. Ich persönlich habe ja sowohl vorm Tod wie auch vorm Alter Angst, insofern kann es, Herr Rationalstürmer, ohnehin nur schauerlich werden. Da kann man nur hoffen, dass das Bild nicht so zutreffend ist, wie es mir der Herr Booldog attestiert, dem ich herzlich danke: Ich liebe Komplimente.
Die Penaten des Hauses, in dem ich wohne, Frau Kaltmamsell, habe ich noch nicht gefunden, ich fürchte auch, dass die Bauarbeiter bei der großen Sanierung 2001 nicht so pietätvoll gehandelt hätten, wie Sie, und den Penaten (oder wie auch immer) einfach beiseite geräumt hätten oder haben, während sich das Leben der Che’schen Anverwandten doch recht behütet anhört, reicht heimelig und haimatlich zugleich, und auch wenn ich niemals so leben möchte oder könnte: Das Schlechteste scheint es mir nicht. Und vielleicht weder melancholisch noch depressiv.
(Aber sage einmal – Du hast wirklich eine Schlange?!?)
REPLY:
Seit 14 Jahren teilt eine Schlange mein Quartier, ja.
unruhige zeiten,
die gutes und liebgewordenes gleichermaßen wie schlechtes und überflüssiges
verschlingen, wünsche ich niemandem – ein leben wie das oben beschriebene
allerdings auch nicht. mir scheint, dass für solch freudloses dahinvegetieren
jene menschen prädestiniert sind, die nie andere lebensperspektiven hatten als
beruf und familie und somit mit erreichen des pensionsalters und dem auszug
der kinder in ein tiefes existenzielles loch fallen, das sich durch materiellen
wohlstand nur mühsam kaschieren lässt …
REPLY:
Unruhige Zeiten mögen ja genau das Richtige sein für unruhige Existenzen, aber vielleicht lässt sich auch in ruhigen Zeiten ein Daseinsmodell finden, das mehr zu bieten hat als Kinder, Kombi und einen Job, der genug abwirft, um allerlei Habe anzuhäufen.
REPLY:
Wunschkonzert
Von der Schlange möchte ich mehr hören, Che. Kannst Du nicht mal über deine Schlange schreiben? Mit Bild, wenn möglich?
REPLY:
Snakecharmer
Aber gerne doch. Nur will das etwas Weil haben, den darüber schreibe ich nicht
so locker dahin wie über Politik, Sex and Crime. Spätestens zum Wochenende, ich
versprech´s!
Ein paar Gedanken zur Vorbeugung…
… nicht die meinen, doch kamen Sie mir bei der Lektuere Ihrer wieder einmal wundervoll poetischen Beobachtungen wahrend des Landeanflugs auf San Francisco in den Sinn – ein Ausschnitt aus einem Liedtext von The Beautiful South:
„And the Sunday sun shines down on San Francisco bay
And you realise you can’t make it anyway
You have to wash the car
Take the kiddies to the park
Don’t marry her, f*** me“
dE
REPLY:
Dass jede Entscheidung ihre eigenen Lächerlichkeiten nach sich zieht, gehört zu den Wahrheiten, an die man glücklicherweise selten denkt.