The happy Kollwitz Family

Die kleine Anna-Lena wirft einen bunten Ball hoch, fängt ihn wieder, wirft ihn höher und lässt ihn auf den Boden fallen. Ihre Mutter sitzt auf der niedrigen Mauer des Spielplatzes am Kollwitzplatz, isst Kirschen aus einer Papiertüte, und Anna-Lenas Vater trinkt Erdbeerbowle. Der Vater trägt ein gestreiftes Hemd, vielleicht Paul Smith, beigefarbene Hosen, asics in beige und braun an den Füßen, und bestimmt hatte er in den Achtzigern einmal so eine Föhnfrisur und war blond. Jetzt hat er nur noch wenig Haare und die ganz kurz rasiert, denn dann fällt das nicht so auf. Ansonsten sind hier alle blond, außer uns, der kleine Junge mit dem adrett verwuschelten Stufenschnitt und dem roten Halstuch zum kurzärmligen Hemd. Das Mädchen im schilffarbenen Kleid mit geblümter, seidiger Taille von Noa Noa, und ihre Mutter, die mit einer rotblonden Freundin Törtchen löffelt, Pâtisserie von Lautz, und ihr irgendetwas erzählt. „Nein!“, reißt ihre Freundin amüsiert die Augen auf und breitet die Arme aus zum Zeichen, dass sie das nun wirklich nicht gedacht hätte, also nie im Leben….worum es geht, verstehen wir aber leider nicht.

Ob der Mann in den hellen Cargo-Hosen mit blauem Hemd und riesengroßer Sixties-Sonnenbrille zur Mutter oder zur Freundin gehört, können wir auch nicht sehen. Mit ein paar Tüten in der Hand steht er vor den beiden Frauen. Aus einer Tüte schauen ein paar Lauchstangen hervor, Sellerie, Brot scheint er auch gekauft zu haben, und vielleicht noch irgend etwas Verderbliches, denn er schwenkt ungeduldig zwei-, dreimal die Tüte, sagt etwas und verschwindet dann, die Kollwitzstraße abwärts Richtung Schönhauser. Die Mutter und die Freundin reden weiter, das kleine Mädchen hat auf einmal ein anderes, noch viel kleineres Mädchen, noch viel blonderes Mädchen an der Hand, und die beiden laufen kreischend und lachend hintereinander her.

Ein drittes Mädchen will auch mitspielen, zerrt ihre Mutter ungeduldig an der Hand in Richtung der anderen Kinder, aber die hat keine Zeit und beide Hände voll mit Tüten und Taschen. In einer Tüte beult der Spargel, den man durch die Lücke zwischen zwei Ständen sehen kann, hoch aufgetürmt.

Der kleine Junge mit dem Halstuch hat jetzt keine Lust mehr zu spielen und sitzt neben seiner Mutter. Die bindet ihm das Tuch neu, und er hebt den Kopf ein bißchen an, wie Männer, wenn man ihnen spaßeshalber einmal die Krawatte bindet. Gute Schuhe hat er an, fällt mir auf, und mein Begleiter erinnert mich an die Kinderabteilung letzte Woche bei P&C, wo man Kinder vollausstatten kann, die in zwanzig Jahren immer noch Sohn sein werden, weil ihnen nichts einfallen wird, was einträglicher und amüsanter sein wird als einfach so zu bleiben, wie man sowieso gerade ist. Das aber, sind wir uns einig, finden wir eigentlich ziemlich blöd. Nie im Leben, finden wir alle drei, würden wir Cashmerepullover mit dem big pony drauf in Größe 144 kaufen oder ein Burberry-Hemdchen für Dreijährige oder so. Auf keinen Fall würden wir eine weitere Generation von Leuten aufziehen, denen es mit zwölf so gut geht, dass sie keinerlei Anstalten machen werden, erwachsen zu sein, bevor sie 35 sind.

Niemals aber auch, fällt uns ein, würden wir solche Kinder haben wollen, wie wir sie schon in der Schule nicht ausstehen konnten. Kinder mit Koffern, die gut in Mathe wären und hässliche Brillen mögen. Kinder, die Mitglied der Umwelt-AG würden, wegen toter Robben weinen und dann den ganzen Haushalt terrorisieren, weil man den Müll nicht trennt und Pfandflaschen ab und zu wegschmeißt, weil man keine Lust hat, zu Kaisers zu gehen. Natürlich würden wir auch keine Kinder haben wollen, die später Bankangestellte würden und Einfamilienhäuser kaufen, in denen dann so Kunstdrucke aus dem Baumarkt hängen. Mit den zerlaufenden Uhren von Dali drauf. Und Kindern, die Kevin heißen und jeden Satz mit „wa!“ beenden, hätten wir natürlich auch nicht.

The happy Kollwitz family, fällt uns ein, finden wir ja irgendwie alle nicht so, aber über the happy Spandau family lohnt es sich ja nicht einmal mehr zu lachen, und das Weddinger Familienglück existiert ja eigentlich überhaupt nur noch als Problem. The happy Passau family geht natürlich gar nicht, zum Amokläufer würde man da oder anfangen, sehr heavy zu trinken, und mit dem Familienglück wäre es wieder nichts. Aber wie man es richtig macht, das wissen wir alle drei nicht, die wir da sitzen, am Kollwitzplatz, ein Glas Cidre von Wegehaupt in der Hand, und den anderen Leuten zuschauen auf dem Weg vom Markt nach Hause.

12 Gedanken zu „The happy Kollwitz Family

  1. Ein epigrammatischer Hebbel…

    „Kinder sind Rätsel von Gott und schwerer als alle zu lösen,
    Aber der Liebe gelingt’s, wenn sie sich selber bezwingt.“

    Wie man’s richtig macht…wer weiß das schon?
    Aber auch die Frage, ob man’s richtig gemacht hat, ist genau so wenig
    abschließend zu beantworten.
    Ich kann mir ein Leben ohne Kinder jedenfalls gar nicht mehr vorstellen…
    und in meiner Vorstellung erschien es mir auch nie wirklich als eine in Frage kommende Möglichkeit!

    Ich freue mich, einen erwachsenen Sohn zu haben, der mir „Faserland“ in die Hand drückt und „Ließ mal, Papa!“ sagt…
    Ich freue mich eine heranwachsende Tochter zu haben, der ich noch die eine oder andere Lektüre empfehlen kann…

    „Familienglück“ als solches ist eine Schimäre; es löst sich auf, je schärfer man es ins Auge fasst.

    Das gilt – möchte ich behaupten – für die Anrainer von Schlossalleen genauso, wie für die Behauser von Mietskasernen.

    P.S.: Ich mag P.S.

  2. REPLY:
    Ja Walhalladada,

    und meine Erfahrung ist: es müssen nicht mal nur die eigenen Kinder sein. Wir sind viel mit Kindern beschäftigt; bald fahren wir mit sechs Kindern in den Urlaub; nur eines davon ist „meine“ Tochter; meine Erfahrung dabei ist: Kinder machen (beziehungs-)reich durch ihr bloßes Dasein und Kommunizieren. Und: Wichtig ist, sie in ihrer je eigenen Art zu respektieren und ihnen Gemeinschaft (auch zum gegenseitigen sich Abschleifen und Reiben) zu geben. Dann gedeihen sie prächtig, egal in welche Richtung.

  3. Den Kindern geht es ja auch nicht besser. Sie kommen auf die Welt, finden, sie sind in Ordnung, und schauen sich dann um und erschrecken: dies ist also meine Familie? Wääääääh.
    Auch für Kinder kann es hart sein, falsch geliefert worden zu sein.
    Und Sie hätten mich als Kind nicht leiden mögen? Ich war gut in Mathe und hatte eine Brille.
    Nochmals :wäääääh ……

  4. Überlegend

    Kinder – wenn man genau hinschaut – lehren uns eines: wir müssen auf hundertprozentige Sicherheit verzichten, um überhaupt frei sein zu können. Wir müssen abwägen lernen: mach ich das jetzt, ohne alle Auswirkungen im Detail zu kennen? Oder habe ich einfach zuviel Angst, es könnte was schief gehen und ich mach vielleicht jetzt was falsch, was in zwanzig Jahren fürchterliche Folgen hat?
    Die Gesellschaft, die Sie, liebe Frau Modeste, hier trefflich beschreiben, ist zu einer überlegenden – was das genaue Gegenteil von einer überlegenen ist – geworden: sie denkt sich zu Tode. Menschen, die unangemessen viel denken, fürchten sich auch unangemessen viel – dann erstarren sie.
    Kinder würden uns einen anderen Weg zeigen, aber mittlerweile gibt es schon zu wenige. Aber – auch das kann man nicht wissen.

  5. Es muss einen anderen Weg geben, und sei es der Weg des Flüchtigen, Heimatlosen, oder auch der des mehrfach Verankerten, den es mal hier und mal dort hin zieht, aber niemals sollte man irreversible Entscheidungen treffen und dann werden wie diese oder jene. Und wenn es nur der scharfe Witz ist, der an ihren Speckringen der Selbstzufriedenheit ritzt, ist es doch schon oft genug damit getan.

  6. REPLY:

    Es muss einen anderen Weg geben hört sich nicht sehr zuversichtlich an.

    Kinder lehren uns einiges, beispielsweise, dass sie selten eine Projektionsfläche eigener Wünsche sind.

    Klar will ich kein Kind, dass ein Mathestreber ist. Aber ich kann mich nicht wehren, wenn mein Erstklässler stolz erzählt, dass er jetzt bei den Zweitklässlern den Matheunterricht mit macht.

    Gerade das ist es, was viele vom Familiegründen abhält. Das Leben ist nicht mehr berechenbar. Die Äusserlichkeiten sind nur ein Ausweg ein wenig Berechenbarkeit in den Alltag reinzubekommen. Im übrigen Bruberry & Co erübrigt sich schnell, wenn man die Preise sieht und den Hosenverschleiss eines Halbwüchsigen.

  7. Ich hoffe, Herr Wallhalladada, mein Vater freut sich auch, zwei Töchter zu haben, die ihm Bücher schenken oder Musik zu hören geben, auf die er so nicht käme. Ich glaube schon, ich glaube auch, er kann sich ein Leben ohne Kinder auch nicht vorstellen, aber ich weiß bis heute nicht, wie man amüsant und allseits angenehm Familienleben veranstaltet. Ich amüsiere mich lieber selber, als andere zu amüsieren, und Kinder finde ich ja selber eher nicht so amüsant. Da würde bei mir nichts gedeihen, Herr Sokrates, und neurotische Gören gibt es schon genug. Und mein eigener Alltag ist schon ohne Kinder dermaßen schlecht berechenbar, dass mir dieses Maß an Unberechenbarkeit völlig reicht, Herr Strappato.

    Eine hässliche Brille, Frau Croco, hatte ich als Kind auch. In Mathe war ich aber nie gut, meiner Erfahrung nach sind die weiblichen Mathe-Kinder aber weitaus unterhaltsamer als die kleinen kurzsichtigen Jungs mit den Aktenkoffern, die später Wirtschaftsinformatik studiert haben. Die sind bis heute nicht so besonders lustig, glaube ich. Und von Kindern, Herr Reuter, mag ich mir nichts zeigen lassen, ich habe keine Lust, Tigerentenfahrräder zu kaufen oder jeden Sonntag ins naturhistorische Museum gehen zu müssen, weil da der Dinosaurier steht.

    Das Ritzen und Spicken anderer Leute, Don, amüsiert mich auch eher weniger. Ich wäre schon froh, wüsste ich selber, wie diese ganze Veranstaltung richtig, gut und gutaussehend dazu über die Bühne geht, und was die anderen Leuten tun…sollen sie. Solange ich nicht muss.

    Und ich kenne Passau, Herr Rationalstürmer. Nichts für mich. Dann doch lieber die Kollwitzplatzvariante. Ohne Familie wohlgemerkt.

  8. Fragen Sie…

    Ihren Vater und ersetzen Sie die Hoffnung durch Gewissheit…

    Ich bin in diesem Punkt frei von jeglicher Eiferei und so etwas wie ein Sendungsbewusstsein zu entwickeln will mir erst recht nicht gelingen.
    Mir fällt lediglich auf, dass Sie dieses Thema
    immer mal wieder so „fruchtbar“ zum Ausdruck bringen…
    Folgendes hatten wir schon, aber mir scheint es so zu passen, dass ich mich nicht scheue, mich selbst zu zitieren:

    Vielleicht stellt die Realisierung des eigenen Lebensentwurfs gar keine Entscheidungsfragen, die sich mit einem simplen Ja/Nein z. Bsp. hinsichtlich der „Kinderfrage“ beantworten ließen?

    Wir sind abgeklärt genug, um zu wissen, dass das Leben nicht lebt, unabhängig davon , ob man Kinder hat oder nicht!

    Wir sind davon überzeugt, dass Vitalität ihren Ausdruck lediglich in dessen gelebten Deutungsversuchen erlangen kann, unabhängig davon, ob man Kinder hat oder nicht!

    Zum Phantasma jedes gelungenen Lebensentwurfs gehört dessen Bewahrung und Verteidigung gegenüber den Ansprüchen und Zumutungen des je anderen Lebensentwurfs, unabhängig davon, ob man Kinder hat oder nicht!

    Wer die Hoheitsgewässer meines Phantasmas mit Kanonenbooten befahren will, muss mit erbittertem Widerstand rechnen; das ist nie amüsant!
    wer darin ein Stück weit segeln möchte, dem schicke ich günstige Winde;
    das ist immer amüsant!

  9. REPLY:
    Ja,

    und das ist bei vielen anderen Dingen ähnlich. Wozu ich keinen Mut habe es zu realisieren, das läuft mir ewig nach und klopft immer wieder an.

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